Bellizistische Mogelpackung
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Warum Guttenbergs Vorschlag zur Abschaffung der Wehrpflicht keine Friedens- sondern eine Kriegsinitiative ist –
Von THOMAS WAGNER, 14. Juni 2010 –
„Frieden schaffen mit immer weniger Waffen“. Manch einer, der in diesen Tagen die Verlautbarungen aus dem Verteidigungsministerium vernimmt, mag sich an die bekannte Verfälschung des Slogans der Friedensbewegung in den 1980er Jahren erinnert fühlen. Schließlich klingt die von Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) angekündigte Truppenreduzierung, die mit einer Verringerung des Wehretats und dem Aussetzen der Wehrpflicht in den nächsten Jahren verbunden werden soll, zunächst wie ein beachtlicher Schritt in Sachen Abrüstung und Rückbau der Bundeswehr. Spätestens nach seinem Interview mit dem Spiegel vom Montag haben sich solche Hoffnungen jedoch als bloße Augenwischerei entpuppt. Nicht um die perspektivische Abschaffung der Bundeswehr geht es dem Minister, sondern um die Verbesserung ihrer Befähigung zur Kriegsführung in der ganzen Welt. In zehn Jahren werde die Truppe „kleiner und für die Herausforderungen asymmetrischer Bedrohungen ausgebildet sein.“ (1), sagte Guttenberg gegenüber dem Spiegel. Sprich: die Bundeswehr soll für den Partisanenkrieg fit gemacht werden.
Der kriegserfahrene, konservative Publizist Peter Scholl-Latour hat immer wieder betont, dass der asymmetrische Krieg „ein schmutziger Krieg“ ist (2), „der keine Fairness kennt.“ Ungeachtet dessen will der Verteidigungsminister „unsere Soldaten potentiell auf der ganzen Welt einsetzen können“ (3). Damit dies aber möglich werde, gehöre die Wehrpflicht abgeschafft. „Im Grundgesetz wird es sie noch geben. Faktisch wird sie in zehn Jahren wohl abgeschafft sein“, sagte Guttenberg: „Bei einer hochprofessionellen, bestens ausgerüsteten und flexiblen Einsatzarmee haben Sie kaum noch die Kapazitäten, Rekruten auszubilden.“ (4) Der Publizist Ulrich Sander, ein Bundessprecher der VVN-BdA (5), sagte zu den Sparplänen Guttenbergs : „Die Verringerung des Wehretats betrifft für unbestimmte Zeit allenfalls Waffenarten, die derzeit nicht benötigt werden, und die Beseitigung der Kosten für die Rekrutenausbildung. Diese bindet derzeit 8000 Ausbilder“.
Die von Guttenberg anvisierte komplette Umrüstung der Bundeswehr zur weltweit einsetzbaren Kampftruppe ist im Lager der Großen Koalition noch nicht durchgesetzt. Der Unionsfraktionsvorsitzende Volker Kauder (CDU) sprach sich für ein Festhalten an der Wehrpflicht aus. Sie sei „das Instrument, Gesellschaft und Bundeswehr miteinander zu verbinden“, sagte er der Süddeutschen Zeitung am Samstag. Familienministerin Kristina Schröder (CDU) kündigte an, bis zum September prüfen zu lassen, was eine Aussetzung der Wehrpflicht für den Zivildienst bedeuten würde.
Nachdem der Verteidigungsminister einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zufolge während der Sparklausur der Regierung mit Rücktritt gedroht hatte, falls die von ihm geplante „Strukturreform“ blockiert werden würde, stellte sich nun aber die CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag vorsichtig hinter Guttenberg und teilte der Nachrichtenagentur dpa durch ihren Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich mit, dass man die Wehrpflicht „möglicherweise in der jetzigen Struktur und Form nicht mehr aufrechterhalten werden“ könne. Auch die Bundeskanzlerin sagte, dass es in der Diskussion „keine Denkverbote“ geben würde. Die Bundesregierung will zunächst im Eilverfahren eine Verkürzung der Wehrdienstzeit zum 1. Juli von 9 auf 6 Monate beschließen.
Die SPD scheint den Guttenberg-Kurs zur strukturellen Umrüstung der Bundeswehr hin zu einer überall auf der Welt einsetzbaren Kriegstruppe unterstützen zu wollen. Gegenüber der Illustrieren Super Illu sagte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier zur Abschaffung der Wehrpflicht: „Wenn die Union jetzt diesen Weg geht, werden wir uns den Gesprächen sicher nicht verweigern.“ .
(1) Der Spiegel, N. 24, 14.06.2010, S. 30
(3) Der Spiegel, N. 24, 14.06.2010, S. 30
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(4) Der Spiegel, N. 24, 14.06.2010, S. 31
(5) Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten