Innenpolitik

Ausweitung der Anti-Terrorgesetze?

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

1359390596

Die Sicherheitsgesetze sollen von einer Kommission noch vor der Bundestagswahl überprüft werden. Dabei bewies vor allem der Bundesinnenminister schon im Vorfeld die Richtung seines Blickfeldes: Der Feind steht links.

Von SEBASTIAN RANGE, 28. Januar 2013 –

Eine Regierungskommission zur Überprüfung der deutschen Sicherheitsgesetze hat am heutigen Montag ihre Arbeit aufgenommen. Vorsitzende der Runde sind Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) und Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Die Kommission soll die Gesetzgebung zur Terrorismusbekämpfung seit den Anschlägen in den USA vom 11. September 2001 bewerten und Schlussfolgerungen ziehen. Dazu gehören auch und vor allem Konsequenzen aus den „schwerwiegenden Versäumnissen“ im Fall der rechtsextremen Zwickauer Terrorzelle.

Weitere Mitglieder der Kommission sind unter anderen die frühere Generalbundesanwältin Monika Harms und der ehemalige Vizepräsident des Bundestages, Burkhard Hirsch (FDP).

Der Konflikt scheint vorprogrammiert. Während sich Friedrich für eine Ausweitung der Videoüberwachung, der Vorratsdatenspeicherung sowie einer Verschärfung der Ausweisungsgesetze ausspricht, will Leutheusser-Schnarrenberger den Fokus der Untersuchung auf eine „kritische Gesamtschau“ der bisher erlassenen Gesetze richten.  

Für unverändert hoch hält der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), die terroristische Gefährdung Deutschlands. Es sei verständlich, dass man die umfassenden Sicherheitsgesetze, die nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in einer besonderen Situation gemacht wurden, überprüft, sagte er dem Tagesspiegel. „Aber es gibt leider keinen Grund zur Entwarnung.“  

Innenminister Friedrich pflichtet ihm bei und sprach von einer „angespannten“ Sicherheitslage. Neben den aktuellen Entwicklungen in Mali berief er sich dabei ausgerechnet auf den Anschlag am Frankfurter Flughafen im März 2011, bei dem zwei US-amerikanische Soldaten getötet und zwei weitere schwer verletzt wurden.  

Allerdings handelte es sich dabei um das Werk eines Einzeltäters, das auch durch die von Friedrich befürworteten erweiterten Befugnisse der Sicherheitsbehörden nicht hätte verhindert werden können.

Der Feind steht nach wie vor links

Es war nur eine Frage der Zeit, bis Friedrich das Anliegen vortragen würde, das anlässlich des NSU-Terrors eingeführte Rechtsextremismus-Register, das die Trennung von Polizei und Geheimdiensten aufweicht, um ein Register für Linksextremismus zu ergänzen.

Welche neue Gefährdungssituation vorliegt, die die Einführung eines solchen Registers  rechtfertigen würden, wollte oder konnte der Bundesinnenminister nicht benennen. Es hat den Anschein, als werde hier reflexartig im Sinne der Totalitarismus-Doktrin eine Gleichsetzung der von links und rechts ausgehenden Gefahren betrieben. Die Forderung nach der Errichtung eines Linksextremismus-Registers ist offenkundig ideologisch motiviert, denn eine mit dem NSU auch nur annähernd vergleichbare Struktur lässt sich auf der linken Seite auch unter Zuhilfenahme ausschmückender Fantasien, mit denen eine linksextreme terroristische Gefahr herbeigeredet werden könnte, nicht ausmachen.

Um das Bild einer „wehrhaften Demokratie“, die gleichzeitig vom linken wie dem rechten politischen Rand bedroht werde, aufrecht erhalten zu können, wird im Zweifelsfall auch ein rechtsstaatlicher Offenbarungseid geleistet. Anders lässt sich das kürzlich vom Dresdner Amtsgericht verhängte Urteil gegen den 36-jährigen Tim H. aus Berlin kaum beschreiben.

Der nicht vorbestrafte Familienvater wurde zu einer 22-monatigen Haftstrafe wegen der angeblichen Beteiligung an einer Blockade eines Neonazi-Aufmarsches in Dresden im Februar 2011 verurteilt. Der Berliner soll per Megafon zum Durchschreiten einer Polizeikette aufgefordert haben, was schließlich zu Verletzungen von Polizeibeamten geführt haben soll. Tim H. konnte zwar weder aufgrund von Zeugenaussagen noch anhand eines Polizeivideos zweifelsfrei identifiziert werden, für das Gericht spielte eine konkrete Tatbeteiligung aber ohnehin nur eine untergeordnete Rolle. „Was andere getan haben, müssen Sie sich mit anrechnen lassen“, so der Richter. (1)

Die Ankläger befanden das Urteil als zu milde und legten Berufung ein. „Das Strafmaß wird dem Unrechtsgehalt der Tat und der Persönlichkeit des Angeklagten nicht gerecht“, so die Staatsanwaltschaft, die auf ihrer ursprünglichen Forderung von 30 Monaten Haft beharrt. (2)

Gleichzeitig verurteilte das Landgericht Dresden fünf Führungspersonen der verbotenen Neonazi-Gruppierung „Sturm 34“ wegen schwerer Körperverletzung, Sachbeschädigung und Bildung einer kriminellen Vereinigung zu Bewährungs- und Geldstrafen.

„In Sachsen ist es – gemessen an den Urteilen – offenkundig besser, eine neonazistische kriminelle Vereinigung zu gründen, als Neonazis zu blockieren“, kommentierte Katharina König, die für die Linke im thüringischen NSU-Untersuchungsausschusses sitzt, das unterschiedliche Ermessen der Justiz. (3) Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse sprach diesbezüglich von „eigentümlichen Dresdner Justizverhältnissen“. (4)

Um in Deutschland als Rechtsextremist in den „Genuss“ einer mehrjährigen Haftstrafe zu kommen, muss man schon Menschen halb totschlagen. Kürzlich verurteilte das Landgericht Dortmund drei Neonazis zu Haftstrafen, die Ende 2011 zwei türkischstämmige Jugendliche auf dem Dortmunder Weihnachtsmarkt zusammengetreten hatten. Das Strafmaß bewegt sich zwischen einem Jahr und zwei Jahren und neun Monaten. Einer der Verurteilten war der Justiz kein unbeschriebenes Blatt. Sieben Jahre zuvor hatte Sven K. in Dortmund einen Punker erstochen. Nach dem Überfall auf die beiden Jugendlichen auf dem Weihnachtsmarkt wurde er in Untersuchungshaft genommen, aus dieser aber schließlich auf Anordnung des Gerichtes entlassen – denn eine Wiederholungsgefahr seitens des Wiederholungstäters bestand laut Auffassung des Gerichts nicht. (5)

Noch wenige Monate vor Bekanntwerden der Existenz des NSU wollte das Bundesinnenministerium trotz intensiver Beobachtung der rechten Szene „keine Hinweise auf rechtsterroristische Aktivitäten“ erkannt haben. Zur selben Zeit wurde ein Aussteigerprogramm für Linksextremisten ins Leben gerufen. Diese Prioritätensetzung hat mittlerweile Früchte getragen. In über einem Jahr wurde es geschafft, eine Person der „autonomen Szene ohne Führungsfunktion“ mit Hilfe des Programms zum Ausstieg zu bewegen. (6)

Der Verfassungsschutzbericht für Mecklenburg-Vorpommern für das Jahr 2011 belegt, dass das Auffliegen des NSU nicht zu einem nachhaltigen Umdenken der verantwortlichen Behörden geführt hat, die das Thema Terrorgefahr von rechts über Jahre ignoriert und kleingeredet hatten.

Obwohl der NSU in Mecklenburg-Vorpommern mutmaßlich einen Menschen ermordete, eventuell auch Überfälle durchführte und dort zudem auch mutmaßliche Unterstützer des einst flüchtigen Trios leben, hielt es der Landes-Verfassungsschutz für geboten, in dem Bericht der sich gegen Rechtsextremismus engagierenden Punkrock-Band Feine Sahne Fischfilet mehr Platz einzuräumen als dem Treiben des NSU. Passagen des zweifelhaften Machwerks mussten inzwischen geschwärzt werden – aufgrund einer erfolgreichen Klage gemeinnütziger Vereine, die dort als linksextrem gebrandmarkt wurden. (7)

Verklärung statt Aufklärung

Ein besonderes Anliegen ist dem Bundesinnenminister die Einführung der Vorratsdatenspeicherung, die vor drei Jahren vom Bundesverfassungsgericht gekippt worden war. Das Thema will er auch als Munition im Wahlkampf gegen die FDP verwenden, der er vorwirft, seit drei Jahren eine Neuregelung zu blockieren. „Es gibt ein klares Versäumnis, das man der FDP nicht durchgehen lassen darf“, so Friedrich gegenüber der Augsburger Allgemeinen. (8)

„Wir brauchen die Vorratsdatenspeicherung zur Kriminalitätsbekämpfung“, betonte er. Den Vorschlag von Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger, Daten von Handy- und Internetverbindungen erst ab dem Zeitpunkt des Verdachts einzufrieren und zu speichern, hält Friedrich für ungeeignet: „Es geht nicht um die Daten in der Zukunft, sondern um die Daten aus der Vergangenheit.“ Um sein Anliegen durchzusetzen, schreckt der Innenminister nicht vor einer Instrumentalisierung der NSU-Morde zurück.

„Es hätte sicherlich für die Aufklärungsarbeit geholfen, wenn man alle Kontakte per Telefon und E-Mail des Neonazi-Trios ein halbes Jahr hätte zurückverfolgen können, um zu sehen, welches Netzwerk möglicherweise damals bestand“, erklärte Friedrich im Vorfeld der nun tagenden Regierungskommission. (9)

Damit stellt der CSU-Politiker einen äußerst fragwürdigen Umgang mit der Realität unter Beweis. Nicht der Mangel an auf Vorrat gespeicherten Daten ließ den NSU unbeschadet über Jahre im Untergrund agieren, sondern der mangelnde Aufklärungswille der verantwortlichen Dienste und Behörden.

Über ein engmaschiges Netz an V-Leuten waren diese bestens über das Unterstützer-Netzwerk der drei flüchtigen Neonazis informiert – und das von Anfang an. Ermittler fanden bei der Durchsuchung der zu einer Bombenwerkstatt umfunktionierten Garage im Januar 1998 eine Liste mit Namen, Adressen und Telefonnummern von insgesamt 35 Kontaktleuten aus der rechtsextremen Szene. Trotz des Fundes von fünf funktionsfähigen Rohrbomben und knapp eineinhalb Kilogramm TNT wurden die Neonazis nicht verhaftet. Ein Haftbefehl wurde erst zwei Tage später erlassen. Da war das Trio bereits abgetaucht und somit der Grundstein für den Nationalsozialistischen Untergrund gelegt.

Die gefundene Liste der Kontaktpersonen landete in einem Papp-Karton in der Asservatenkammer des LKA. Die Ermittler hatten seltsamerweise befunden, sie sei „für das hier geführte Ermittlungsverfahren ohne Bedeutung“. (10)

Wenn Innenminister Friedrich fehlende Vorratsdatenspeicherung dafür verantwortlich machen will, dem NSU nicht auf die Spur gekommen zu sein, dann betreibt er eine politisch motivierte Tatsachenverdrehung. Selbst die ihm unterstehenden Sicherheitsbehörden mussten einräumen, dass mindestens fünf „relevanten Personen im NSU-Umfeld“ Polizei und Verfassungsschutz als „langjährige V-Leute“ dienten. (11)

Ausgerechnet das als „Versagen“ kaschierte Verhalten der Geheimdienste möchte Friedrich nutzen, um diesen per Gesetz noch mehr Befugnisse einräumen zu können und jeden Bürger verdachtsunabhängig überwachen zu lassen.

Die Rechtsterrorismusexpertin Anetta Kahane von der Amadeu Antonio Stiftung machte auf das wirkliche Dilemma aufmerksam, namentlich der Verwobenheit der Neonazi-Szene mit den deutschen Geheimdiensten. „Es ging Ende der Neunziger darum, bekannt zu machen, dass es in Thüringen eine hochaggressive Neonaziszene gibt, die in Teilen auch mit dem Verfassungsschutz kooperiert hat“, sagte sie gegenüber der Deutschen Welle. „All meine Kollegen haben damals dieselbe Erfahrung gemacht: Wir haben versucht, die zu große Nähe zwischen rechtsextremer Szene und Verfassungsschutz an die politische Öffentlichkeit zu tragen. Und da wurde uns gesagt, das habe alles seine Richtigkeit – falls unsere Informationen überhaupt wahr seien.“ (12)

Im Juli dieses Jahres sollen die Ergebnisse der Regierungskommission der Öffentlichkeit vorgetragen werden. Ob sich die Vertreter des Innenministeriums auf der einen Seite und die des Justizministeriums auf der anderen bis dahin auf eine gemeinsame Empfehlung einigen können, gilt als ungewiss.

(mit dpa)


Anmerkungen

(1) http://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2013/01/17/urteil-gegen-nazigegner-ein-fatales-gesellschaftspolitisches-signal_11085

(2) http://www.jungewelt.de/2013/01-18/052.php

(3) http://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2013/01/17/urteil-gegen-nazigegner-ein-fatales-gesellschaftspolitisches-signal_11085

(4) http://www.l-iz.de/Politik/Sachsen/2013/01/Fall-Tim-H-Thierse-SPD-Dresdner-Justizverhaeltnisse-Biesok-fordert-Ruecktritt-45987.html

(5) http://www.spiegel.de/panorama/justiz/dortmunder-neonazi-gericht-laesst-sven-k-frei-a-859153.html

(6) http://www.bundestag.de/presse/hib/2012_11/2012_562/02.html

(7) http://www.publikative.org/2013/01/24/verfassungsschutzbericht-2011-rechtswidrig/

(8) http://www.augsburger-allgemeine.de/politik/CSU-droht-FDP-mit-hartem-Wahlkampf-id23684846.html

(9) ebd.

(10) http://www.sueddeutsche.de/politik/nsu-aufklaerung-hinweise-im-karton-1.1411155

Abo oder Einzelheft hier bestellen

Seit Juli 2023 erscheint das Nachrichtenmagazin Hintergrund nach dreijähriger Pause wieder als Print-Ausgabe. Und zwar alle zwei Monate.

Hintergrund abonnieren

(11) http://www.taz.de/!103214/

(12) http://www.dw.de/anti-terror-gesetze-unter-der-lupe/a-16553367

Newsletter

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Der Hintergrund-Newsletter

Wir informieren künftig einmal in der Woche über neue Beiträge.

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Drucken

Drucken

Teilen

Voriger Artikel Innenpolitik Proteste gegen Lügenbaron: Guttenberg bekommt auch in den USA akademischen Gegenwind
Nächster Artikel Innenpolitik Fischer-Chöre für den Krieg