Ausufernde Hysterie – Epilog zum „Lanzmann-Skandal“
Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.
Von ANNA-LENA BACH, 22. November 2011 –
Für einige Hamburger Linke war der Vorfall nichts weiter als eine „antideutsche Schmierenkomödie“. Für den französischen Regisseur Claude Lanzmann hingegen war er ein „weltweit einmaliger Skandal“. Was immer er gewesen sein mag – ihm folgte ein gewaltiges Nachspiel. Das endete Anfang des Monats (zumindest vorerst) so banal, wie es angefangen hatte: Zwei Jahre nach einer Rangelei zwischen Antiimperialisten und „Antideutschen“ vor einem kleinen Kino auf St. Pauli wurde ein Antifaschist in einem umstrittenen Urteil wegen Körperverletzung und versuchter Nötigung richterlich verwarnt. In der Zwischenzeit war der Auseinandersetzung zwischen Linken und Neokonservativen, die sich am 25. Oktober 2009 um die Aufführung von Lanzmanns Film „Warum Israel“ gedreht hatte, ein unaufhaltsamer moralischer Amoklauf gefolgt: Statt den kritisch-rationalen Dialog mit den politischen Gegnern zu suchen, blies ein breites Bündnis aus „Antideutschen“, autonomen Linken und Islam-Hassern mit Unterstützung von A- und B-Prominenten aus Kultur, Wissenschaft und Politik sowie der etablierten bürgerlichen Medien zu einem Feldzug gegen die antikapitalistische Linke. Wie gewohnt wurde dafür die Dicke Berta aus dem Neocon-Waffenarsenal geholt, um Salven abstruser Antisemitismusvorwürfe und grotesker NS-Vergleiche zu verschießen: „Es war das erste Mal seit dem Ende des Dritten Reiches, dass ein ‚Judenboykott‘ durchgesetzt wurde“, verkündete Henryk M. Broder nach dem Mini-Eklat vor dem Kino. (1) Andere Ex-Linke nutzten den „Skandal“ als Jahrmarkt der Möglichkeiten, um mit der eigenen antiimperialistischen Vergangenheit abzurechnen.
Was war im Oktober 2009 geschehen? Etwa zwei Dutzend Angehörige und Sympathisanten von linken antiimperialistischen Gruppen, die im Internationalen Zentrum Brigittenstraße 5 (B5) auf St. Pauli organisiert sind, hatten gegen die Aufführung des Films „Warum Israel“ von Claude Lanzmann („Shoah“) demonstriert. Dabei postierten sich als IDF-Soldaten kostümierte Aktivisten mit einem nachgestellten israelischen Checkpoint vor dem benachbarten Kino B-Movie, um auf die alltägliche Schikane gegen die palästinensische Bevölkerung aufmerksam zu machen. Der Veranstalter, die „antideutsche“ Gruppe Kritikmaximierung, sagte daraufhin die Filmvorführung ab.
Dennoch versammelten sich vor dem Kino rund vierzig Personen aus dem politischen Umfeld von Kritikmaximierung. Daraufhin sei es zwischen den verfeindeten „Antideutschen“ und Antiimperialisten zu „verbalen Auseinandersetzungen“ und „leichtem Gerangel“ gekommen, berichteten später zwei Zivilbeamte, die sich damals vor Ort aufgehalten hatten. Da keine Gewalt angewendet wurde, keine Personen geschlagen und auch sonst keine Straftaten verübt worden seien, hätten sie auch keine Veranlassung gesehen einzugreifen.
Ganz anders die Darstellung der „Antideutschen“. In zahlreichen Blogs der Szene und in Medien, die mit ihnen sympathisieren, war von einer „Prügelaktion“ (BAK Shalom) und „Ausschreitungen linker Antisemiten“ (HaOlam), sogar von einem „antisemitischen Überfall“ (Spex) die Rede. Zudem hagelte es Unterstellungen, die Aktivisten des Internationalen Zentrums hätten Waffen eingesetzt. Die Beschuldigten dementierten diese Horror-Meldungen und verlautbarten, es habe lediglich „kleinere Rangeleien“ und „beidseitige Pöbeleien“ gegeben. (2) Später ergänzten Einzelne, dass es in einem Fall zu einer Tätlichkeit gekommen sei: Nachdem einige junge „Antideutsche“ einem älteren Mann aus Afghanistan ohne Anlass ins Gesicht gespuckt und ihn als „Nazischwein“ und „Judenmörder“ beschimpft hätten, berichtet eine in der B5 aktive kolumbianische Migrantin, habe der ältere Mann einem der Deutschen eine Ohrfeige gegeben: „Die haben sich uns gegenüber aufgeführt wie die Herrenmenschen.“
Die „Antideutschen“ setzten nach und trieben ihren Feldzug gegen die Antiimperialisten später auf der strafrechtlichen Ebene voran. Einer ihrer führenden Köpfe, Lars E., wandte sich an das Landeskriminalamt Hamburg und erstattete Strafanzeige gegen Gernot H., einen Antifaschisten aus Hamburg, der aufseiten des Internationalen Zentrums an dem Konflikt beteiligt gewesen war.
Ein mehr als fragwürdiges Urteil
Seit vergangenem Oktober verhandelte das Hamburger Amtsgericht gegen Gernot H. in zwei Fällen wegen gefährlicher Körperverletzung und in einem Fall wegen versuchter Nötigung – einer angeblichen Drohung („Ich kill Dich!“). Der Angeklagte bestreitet die Vorwürfe. Der Hauptbelastungszeuge Lars E. behauptete in der Verhandlung, er sei während des Handgemenges vor dem Kino von Gernot H. mit „sehr schweren Lederhandschuhen“ ins Gesicht geschlagen worden. Gleiches hätte er fünf Tage später auf der Treppe einer U-Bahn-Station durch den Angeklagten erlitten. Zeuge Lars E. beschrieb die Tatwaffe auch als „Kampfhandschuh“ und „Quarzsandhandschuh“. Verletzungen konnte das mutmaßliche Opfer keine vorweisen. Aber das Auftreten des Angeklagten hätte ihm „wirklich Angst gemacht“.
Eine Zeugin der Verteidigung – eine Arbeitskollegin von Gernot H., die ihn an jenem Tag begleitet hatte – hingegen sagte aus, dass Lars E. der Aggressor gewesen sei. Der Angeklagte habe an der U-Bahn nicht zugeschlagen, sondern Lars E. lediglich von sich weggedrückt, nachdem dieser Gernot H. auf dem Bahnsteig erblickt, ihm gefolgt, sich ihm genähert und ihm gedroht habe. Außerdem hätte der Angeklagte gar keine Handschuhe getragen, sondern – verletzungsbedingt – einen weißen Verband am rechten Arm. Eine Video-Aufnahme bestätigt die Aussage der Zeugin. Der „Antideutsche“ hatte gelogen. Die Aufnahmen zeigen auch, dass er, nachdem er die Konfrontation mit dem Angeklagten gesucht hatte, zum Bahnsteig zurückgegangen und sich ironisch grinsend mit einer unbekannten Person unterhalten hat. „Aber Sie sind es doch, der dem Angeklagten gefolgt ist und ihn zur Rede gestellt hat und nicht umgekehrt“, hielt Richter Nothmann dem angeblichen Opfer Lars E. vor.
Die Anklage der „gefährlichen Körperverletzung“ war damit geplatzt; der Richter wollte das Verfahren einstellen. Oberstaatsanwalt Elsner lehnte ab. Nun ging es nur noch um einfache Körperverletzung. Am zweiten Verhandlungstag wurden weitere Belastungszeugen vernommen, die aussagten, Lars E. sei im ersten Fall geschlagen worden; sie hätten allerdings nicht gesehen, von wem. Einer hatte von Lars E. gehört, dass es der Angeklagte gewesen sei. „Ich gehe, davon aus, dass er es war“, sagte Zeugin Silke O. Auf die Frage von Verteidiger Kartes an die Belastungszeugen, warum sie die zuständigen Ermittlungsbehörden erst Monate später konsultiert hätten, antworteten sie ausweichend: „Man überlegt sich das ja, bevor man zur Polizei geht.“
Das Verfahren entwickelte sich zur Farce. Weder für die Schläge noch für die versuchte Nötigung gab es Zeugen, die Gernot H. als Täter identifizieren konnten. Das Plädoyer des Staatsanwaltes schließlich machte deutlich, dass hier bei Weitem nicht nur die Frage verhandelt werden sollte, ob der Angeklagte Lars E. wirklich geschlagen und bedroht hat: Sein „schäbiges Motiv“, in Deutschland die Aufführung eines pro-israelischen Filmes zu verhindern, begründe ein öffentliches Interesse an einer Verurteilung, fand der Anklagevertreter. Der Verteidiger entgegnete, dass die „Motivlage“ seines Mandanten zum einen im „Bereich der Spekulationen“ des Staatsanwalts läge, zum Zweiten in dem Verfahren gar nicht zur Disposition stehe. Seine Vermutung: „Es ist gar nichts passiert. In Wahrheit geht es hier um eine politische Auseinandersetzung. In Deutschland darf nichts mehr kritisiert werden, was an der israelischen Politik nicht in Ordnung ist.“
Das Urteil bestätigte diesen Eindruck: Obwohl die Beweise fehlten, kam es zu einem Schuldspruch. Als Kompensation, so scheint es, für das mehr als fragwürdige Urteil legte der Richter ein sehr geringes Strafmaß an: Der Angeklagte erhielt lediglich eine Verwarnung mit Strafvorbehalt (800 Euro Geldstrafe) und muss 200 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung bezahlen. Ein schwacher Trost für Verteidiger Kartes: „Die Beweislage und der Verlauf des Verfahrens hätten einen Freispruch ergeben müssen“, kommentiert der Rechtsanwalt das Urteil gegenüber Hintergrund.
Ein unspektakulärer Ausgang – in Anbetracht der „Grand Opera“, zur der die Stützen der Vierten Macht, die Springer-Medien sowie Der Spiegel, taz, Der Tagesspiegel, diverse öffentlich-rechtliche Sender wie der NDR, die „antideutsche Schmierenkomödie“ getrieben hatte, wie das Ereignis in der Online-Zeitschrift infopartisan bezeichnet wurde. (3)
Von St. Pauli nach Mogadischu
Kurz nach dem Vorfall 2009 war die antilinke Propagandamaschine heiß gelaufen: Die Gegner des Internationalen Zentrums gründeten ein
Bedingungslose Israelsolidarität und Unterstütztung US-imperialistischer Kriege sind die Kernpunkte des politischen Aktivismus der “antideutschen” Neocons. |
Bündnis gegen Hamburger Unzumutbarkeiten (BGHU), das vorwiegend von ehemaligen Autoren und politischen Assoziierten der Zeitschrift Bahamas, dem Zentralorgan der „Antideutschen“, getragen und von traditionell linken Organisationen, wie der Freien Arbeiterinnen und Arbeiter-Union (FAU), Teilen der Hamburger autonomen Szene aus dem Umfeld der Roten Flora und Musikern, beispielsweise den Bands Tocotronic und Superpunk, unterstützt wurde.
Das BGHU, dem später über die „antideutsche“ Hamburger Studienbibliothek sogar finanzielle Zuwendungen von dem Gründer des Hamburger Instituts für Sozialforschung Jan-Philipp Reemtsma zugutekamen, (4) rief zu einer bundesweiten Demonstration gegen das Internationale Zentrum auf, die seine „sofortige Schließung“ zum Ziel hatte. (5)
In Zeitungs- und Magazinartikeln und Radiosendungen wurde die Stimmung gegen die „Internationalsozialisten“ („antideutscher“ Jargon) im Besonderen, vor allem aber gegen die antikapitalistische Linke im Allgemeinen angeheizt. Die Wochenzeitung Jungle World wertete den Vorfall vor dem Kino als „Sieg im antisemitischen Volkskrieg“. (6) Auch Claude Lanzmann half fleißig mit. Er schlug den Bogen von St. Pauli direkt nach Mogadischu und nutzte die Gunst der Stunde, um ein Kapitel jüngerer deutscher Geschichte umzuschreiben und zu beweisen, dass radikale Linke eigentlich nur das eine wollen – Eichmann sein: „Auch die Baader-Meinhof-Gruppe hat im Zuge der Entführung der Landshut nach Juden und Nichtjuden getrennt“, erklärte er in einem Interview in Augsteins Freitag (9.12.2009), dessen Redaktion es nicht für ihre journalistische Sorgfaltspflicht hielt, Lanzmann auf seinen Fauxpas hinzuweisen. (7) Das Online-Portal der Zeit stellte zu einem Artikel über die „Antisemiten“ von St. Pauli ein Foto von einem Neonazi-Aufmarsch mit NPD-Bannern. (8)
Einigen in der Hamburger LINKEN war die Stimmung in der Hansestadt offenbar noch nicht explosiv genug. So enthüllte Vize-Fraktionschefin Christiane Schneider, dass es sich bei der Protestaktion des Internationalen Zentrums um eine „Sprengung der Filmaufführung“ gehandelt hatte, die zum Ziel gehabt habe, „das Existenzrecht Israels als Zufluchtsort jüdischen Lebens demonstrativ zu bestreiten“. (9) Im Rahmen eines melodramatischen Auftritts, bei dem sie vor großem Publikum mit der eigenen antiimperialistischen Vergangenheit abrechnete, bezeichnete sie den Vorfall als „unverzeihlich“. (10) Später erfuhr die Kampagne noch eine Steigerung: In Hörbeiträgen des von „Antideutschen“ dominierten Freien Senderkombinats (FSK) war von einer „volksgemeinschaftlichen Tat“ die Rede, die sich „unter für die Täter günstigeren Umständen zum Pogrom ausweitet“. (11)
In den oberen Rängen der deutschen Befindlichkeitsarena
Auch in der Öffentlichkeit als kritische Intelligenz gehandelte Personen ließen sich nicht lumpen. Der renommierte Künstler Daniel Richter bot sich als Sonderermittler für linke Delikte an – er wurde schließlich, wie er stets betont, „in der Hausbesetzer-Szene sozialisiert“ – und diktierte einem Schreiber der Welt in die Feder, was Neocon-Medien am liebsten hören: Die „Linken sind aufgetreten wie SA-Männer, die in den Dreißigerjahren vor Läden standen, auf die sie die Worte ‚Kauft nicht bei Juden!‘ geschmiert hatten“, fand Richter. „Die sind wie Horst Mahler.“ (12) Ob RAF oder NPD – Nazi bleibt Nazi, dachte sich womöglich die „antideutsche“ Theorie-Ikone Moishe Postone, machte noch mehr Dampf im Kessel des Narrenschiffs und warnte vor dem Anbruch „noch eines deutschen Herbstes“. (13) Ex-RAF-Mitglied Karl-Heinz Dellwo wollte auch um die Gunst der bedingungslosen Israel-Solidarisierer werben. Aber auf so eine Reise ließ er sich aus verständlichen Gründen nicht schicken. Daher rückte er die Linken doch lieber auf direktem Weg in die Nähe der Bücher verbrennenden Nazi-Verbrecher von 1933: „Einen jüdischen Film zu verhindern, heißt einen jüdischen Film zu vernichten”, hatte Dellwo für die taz die unter „antideutschen“ Neocons üblichen Pathos-Formeln parat, mit denen Israelkritik und Antizionismus in einen ideologischen Topf mit Vernichtungsantisemitismus geworfen werden. Dass er im richtigen Leben durch seinen Laika-Verlag Geschäfte mit radikalen Israel-Kritikern wie Norman Finkelstein und Noam Chomsky macht, hinderte ihn nicht daran, großkalibrige Sätze, wie „wer den Juden ihren Ort, Israel, in der Welt streitig macht, erklärt, dass sie nicht zu ihr gehören sollen”, zu sagen. (14) Dass weder die B5-Aktivisten noch andere Hamburger Linke angekündigt hatten, „den Juden“ ihren von Dellwo zugewiesenen Lebensraum wegzunehmen, interessierte bis auf einige kritische Satiriker, die sich über den Medienhype um die zum „antiimperialistischen Holocaust“ der „migrantofaschistischen Braunbolschewikis“ stilisierte Schubserei und Pöbelei in der Brigittenstraße lustig machten, niemanden mehr. (15) Auch nicht, dass Dellwo, Richter und viele andere mit ihren von schwerem Realitätsverlust gezeichneten Nazi- und Holocaust-Vergleichen einen Prozess unterstützten, der gewöhnlich aus dem ultrarechten Lager vorangetrieben wird: Aber „zuweilen bedarf es wahrhaft keiner Shoah-Leugner, um den Holocaust zum Trash verkommen zu lassen“, lautete der bitter-böse Kommentar von Moshe Zuckermann. Der israelische Soziologe hat die „ausufernde Hysterie“ der Regisseure der St.-Pauli-Posse in seinem Buch „Antisemit!“ Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument ideologiekritisch analysiert. (16)
Als „regelrechte Farce“ bezeichnete Zuckermann eine das „antideutsche“ Bündnis unterstützende Petition gegen „antisemitische Filmzensur“. (17) Die wurde von dem ARD-Journalisten Patrick Gensing promotet, der auf seinem Blog regelmäßig zur Linken-Hatz bläst. Zu den Unterzeichnern gehörten neben Claude Lanzmann Kulturschaffende, Publizisten, Wissenschaftler, Politiker: Serge und Beate Klarsfeld, der Adorno-Biograph Detlev Claussen, Peggy Parnass, Cem Özdemir, Klaus Lederer, Petra Pau, Vertreter der Rosa-Luxemburg-Stiftung sowie neokonservative Hardliner, Kommunisten-Jäger und Kulturkämpfer, wie Bernard-Henri Lévy, Anetta Kahane und Ralph Giordano. In der „deutschen Befindlichkeitsarena“, so Zuckermann, hätte ihr Text sich „der Shoah-Aura Claude Lanzmanns bedient, um aus dem Hamburger Geschehen eine Aktion antisemitischer Israelhasser (und nicht Israelkritiker) zu konstruieren“ und den Antisemitismusvorwurf als „Ideologieinstrument“ einzusetzen, mit dem alles „Unliebsame“ derart „besudelt“ wurde, „dass das eigentliche (politische) Interesse des Besudelnden sich – gleichsam moralisch – hinter dem Besudelungsattribut verstecken kann“. (18)
„Rote Nazis raus!“
Um dem antiimperialistischen Lager in der Hansestadt den Fangschuss verpassen zu können, musste die „antideutsche“ Opfermythen-Olympiade mehr Rekorde bieten. Sehr schnell ging die Fama durch die Medien, die Linken hätten die „Antideutschen“ als „Judenschweine“ bepöbelt (auch diese Behauptung konnten die anwesenden Polizeibeamten nicht bestätigen). Entsprechend groß war die öffentliche Empörung. Sprecher des Internationalen Zentrums beteuerten vergeblich, dass es aus ihren Reihen und von Sympathisanten keinerlei antisemitische Beschimpfungen gegeben habe. So gut wie vollständig unter gingen weitere Stellungnahmen auf einer schlecht besuchten Pressekonferenz: Sie hätten zwar Kritik an Lanzmanns Film wegen seiner einseitigen Parteinahme für Israel und sein Besatzungsregime. Es sei ihnen aber mit ihrer Protestaktion vorwiegend
Die Demonstration der “Antideutschen” im Dezember 2009 geriet zum Flopp. |
um die Verteidigung der B5 gegangen, deren Kellerräume vom benachbarten B-Movie-Kino mitbenutzt werden. Im Vorfeld der Konfrontation sei es immer wieder zu Provokationen ihrer Gegner (beispielsweise Schmierereien „antideutscher“ Parolen) und Versuchen gekommen, die Nutzer des Internationalen Zentrums – unter ihnen auch Palästinenser und andere Araber – als „Antisemiten“ und „Linksnazis“ zu diffamieren und seine Schließung durchzusetzen. Verlautbarungen der B5-Aktivisten, wie, „antisemitisch und links zu sein, ist für uns ein Widerspruch – solche Positionen dulden wir nicht in unseren Reihen“, wurden von den Medien bis auf wenige Ausnahmen geflissentlich ignoriert. (19)
Den Höhepunkt bildete im Dezember 2009 die mit großem Brimborium beworbene bundesweite Demonstration gegen das Internationale Zentrum. Endlich, frohlockte die Bahamas, „würden Polizei und Presse mit Informationen über dieses Gesindel versorgt, gegen einzelne Schläger Strafanzeige gestellt und unter dem Ruf ,rote Nazis raus!` Demonstrationszüge Richtung Brigittenstraße ziehen“. (20) Andreas Blechschmidt, der durch zahlreiche Medienauftritte bekannte Frontmann des früher von der radikalen Linken als Hochburg widerständiger Subkultur gefeierten, mittlerweile längst von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) als „Kultureinrichtung“ gewürdigten autonomen Zentrums Rote Flora, gab sich alle Mühe, den hohen Erwartungen gerecht zu werden. (21) Aber obwohl er als Anmelder des Spektakels unter dem Titel „Antisemitische Schläger unmöglich machen – auch Linke!“ auftrat: (22) Wider Erwarten geriet die Demonstration zum Flopp. Vor allem die A-Promis der Israel-Solidarität zogen es an dem kalten Dezembertag offenbar vor, die jüdisch-christliche Zivilisation auf St. Pauli lieber mit warmen Gedanken aus der Ferne zu verteidigen. Nur etwa 350 größtenteils aus anderen Städten angereiste No-Name-„Antideutsche“, Mitglieder der Hamburger FAU und einige Rotfloristen nahmen teil. Die Demonstranten zogen mit Israel- und USA-Fahnen sowie sozialchauvinistischen Parolen, wie „Wir tragen Gucci! Wir tragen Prada! Tod der Intifada!“, durch das ehemalige Arbeiterviertel und Armutsquartier.
Die „antideutschen“ Neocons witterten Verrat und fühlten sich in ihrem „Einsatz gegen konterrevolutionäre Gewalt“ im Stich gelassen: Die Teilnahmslosigkeit der Hamburger Linken, analysierten sie, sei ein „Versuch, die durch die antisemitische Aktion gefährdete Seelenruhe wieder zu erlangen“. (23)
Plan B – Kriminalisierung?
Im Rückblick auf die Ereignisse von 2009 meint der mit einem blauen Auge davon gekommene linke Aktivist Gernot H., dass dieser herbe Dämpfer für die „Antideutschen“ möglicherweise der Grund gewesen war, einen Plan B zu entwickeln: „Sie konnten das letzte linksradikale Zentrum in Hamburg mit einer klaren Antikriegsposition nicht durch Rufmord-Kampagnen kaputt kriegen. Also versuchen sie es mit Kriminalisierung.“ Gernot H., der wegen „Falschaussagen der Antideutschen“ knapp eine Woche in Untersuchungshaft verbracht hatte, zeigte sich von seiner Verurteilung „keineswegs überrascht“. Dem Richter habe es schlicht und ergreifend an Mut für eine politisch nicht opportune Entscheidung gefehlt: „Deutschland steht im sogenannten Krieg gegen den Terror fest an der Seite der USA und Israels und weltweit auf Platz drei der Rüstungsexporteure. Wer wagt sich heutzutage noch in die Schusslinie, wenn aberwitzige Antisemitismus-Vorwürfe als Munition benutzt werden, um Kriegsgegner mundtot zu machen?“
Gernot H. und seine Genossen haben einschlägige Erfahrungen mit „antideutscher“ Streitkultur: Bereits 2004 hatte es die erste Großoffensive gegen Hamburger Linke gegeben. Eine Gruppe Bahamisten hatte versucht, sich mit Israel- und USA-Fahnen den Weg in die erste Reihe einer Antifa-Demonstration freizuprügeln. Nachdem ihr Angriff abgewehrt worden war, hatten sie sich – das ist mittlerweile Standard – als „Opfer antisemitischer Gewalt“ inszeniert. (24)
Warum ausgerechnet an ihm ein Exempel statuiert werden sollte, kann Gernot H. nur vermuten: Seitdem er mit „Antideutschen“ mehrmals wegen ihrer Anfeuerung israelischer Kriege gegen den Libanon, Gaza und – in spe – gegen den Iran, „rassistische Entgleisungen“ gegen Muslime und „Hasstiraden gegen jüdische Linke“ in Streit geraten sei, würde er von dem nach rechts abgedrifteten Teil der autonomen Szene der Hansestadt als „antisemitischer Schläger“ diffamiert – ohne dass für diese Behauptungen je ein Beweis vorgelegt worden sei. Seit 20 Jahren sei er aktiver Antifaschist und habe früher in der Roten Flora („als der Laden noch links war“) den Nachwuchs in der Kunst des Thai-Boxens unterwiesen. „So eine Biografie ist natürlich Treibstoff für die antikommunistische Propagandamaschine“, sagt Gernot H. mit einem zugekniffenen Auge. „Da waren Fachleute am Werk.“
Mit Geert Wilders gegen die „FriedensIslamAntiglobalisierungbewegung“
In der Tat. Die Zeugen der Anklage gehören zum Management der Operation „Lanzmann-Skandal“. Das gilt ebenso für das „Gewaltopfer“ Lars E., der in der Öffentlichkeit als Sprecher der bellizistischen Kampagne Stop the Bomb gegen den Iran fungiert und unter dem Namen „Lars Quadfasel“ publiziert (25), wie für den Zeugen Andreas B., der 2009 für das Bündnis gegen Hamburger Unzumutbarkeiten vor die Kameras getreten war. (26)
Laut der AntiFa AG Uni Hannover hat „Quadfasel“, damals als einer der „Chefs der Bahamas-Sekte“, schon 2002 eine „Inquisition“ gegen linke Irak-Kriegsgegner angezettelt. Dabei hätten „Quadfasel“ und seine Kumpanen sich einer „Politik der üblen Nachrede“, sogar „handfester Drohungen“ bedient und den antibellizistischen Linken den Besuch eines „Rollkommandos“ in Aussicht gestellt, das ihnen „die richtige Position einprügeln“ sollte. (27)
Auch „Quadfasels“ Gesinnungsgenossin, Verbündete und Prozesszeugin Silke O. möchte endlich aufräumen mit der „FriedensIslamAntiglobalisierungbewegung“. Daher fordert sie auf ihrer Homepage die Schließung des Fachbereichs Friedens- und Konfliktforschung an der Universität Marburg („antiamerikanische Israel-Hasser“). (28) Ostermarschierern, die gegen „die Bundeswehr in Afghanistan und die Anti-Terror-Kriege im allgemeinen“ demonstrieren, möchte Silke O. „abwechselnd die Fresse und den Hintern verkloppen“. (29) Und obwohl Ex-Kanzler Gerhard Schröder den Vereinigten Staaten nach 9/11 die „uneingeschränkte Solidarität Deutschlands“ versicherte, zählt Silke O. sogar ihn zu den Feinden der westlichen Zivilisation. Sein Vergehen: „Tatkräftiges Engagement für die islamische Barbarei“ und „Hass auf die Moderne“. (30) Wer immer noch nicht erahnt, für welche politischen Kräfte Silke O. ihr Herz erwärmen kann: Ein Jihad-Watch-Video auf ihrer Homepage mit einem Gespräch zwischen Geert Wilders und Robert Spencer, dem Jetset der internationalen militanten Islam-Hasser-Front, gibt beredt Aufschluss. (31)
Die Niedertracht des skrupellosen Antisemitismus-Vorwurfs
Der fanatische Linken-Hass und die abstrusen (Lügen-)Geschichten der Silke O. und ihrer Freunde aus dem rechten Lager hätten keine Durchschlagkraft entfalten können, würden sie nicht von führenden Medien, linksliberalen bis konservativen Politikern, Prominenz aus Kultur und Wissenschaft unterstützt. Und würden nicht Kräfte walten, die unbehelligt unter falscher Flagge im Meer der zunehmend orientierungslosen deutschen Linken segeln, aber in Wahrheit längst einen sicheren Liegeplatz in der bürgerlichen Mitte ergattert haben.
Des „breiten Konsenses des Bürgertums“ hätten sich „szenebekannte neokonservative Fraktionen“, wie die Zeitschrift Bahamas, die Antideutsche Gruppe Hamburg oder die Gruppe Kritikmaximierung (Letztere lässt ihre Veranstaltungen regelmäßig von der Rosa-Luxemburg-Stiftung finanzieren) bedient, kommentierte das linke Online-Magazin Schattenblick die Groteske. Deren „bedingungslose Verteidigung des Staates Israel und dessen Gleichsetzung mit jüdischen Interessen gibt breiten Raum zur Rechtfertigung imperialistischer Kriege, Drangsalierungen von Menschen islamischen Glaubens und nicht zuletzt der Verteufelung der Linken unter dem fingierten Vorwurf des Antisemitismus“, verweist Schattenblick auf die Kongruenz der Interessenlagen der sich absurderweise nach wie vor auf Marx und Adorno berufenden „Antideutschen“ und der politischen Klasse in Deutschland. „So wurde aus der Mücke der Rangelei vor dem Eingang zum B-Movie fast über Nacht der Elefant ,linken antisemitischen Schlägertums`, an dem sich das Bündnis gegen Hamburger Unzumutbarkeiten ergötzt, dessen Ergüsse von der deutschen Presselandschaft begierig aufgegriffen und endgültig zu einem Skandal überzeichnet wurden.“ (32) Ist dieser hergestellt, „kann sich dann auch schon mal erweisen, dass ‚Gerüchte über die Juden‘ zur strukturellen Grundlage perfider ‚Gerüchte über Antisemiten‘ verkommen können“, lautet das Fazit Moshe Zuckermanns. „An Niedertracht steht dabei der skrupellose Antisemitismus-Vorwurf der herkömmlichen antisemitischen Besudelung des Juden in nichts nach.“ (33)
Abo oder Einzelheft hier bestellen
Seit Juli 2023 erscheint das Nachrichtenmagazin Hintergrund nach dreijähriger Pause wieder als Print-Ausgabe. Und zwar alle zwei Monate.
Anmerkungen und Quellen
(1) http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/geschichten_von_der_waterkant/
(2) http://www.linkezeitung.de/cms/index.php?option=com_content&task=view&id=7592&Itemid=39
(3) http://www.trend.infopartisan.net/trd1209/t321209.html
(4) http://www.hintergrund.de/201105061532/politik/inland/reemtsma-gegen-reemtsma.html
(5) http://b-g-h-u.blogspot.com/2009/12/500-menschen-demonstrieren-gegen.html
(6) http://jungle-world.com/artikel/2009/45/39701.html
(7) Die Landshut wurde in Wahrheit von einem Kommando der Volksfront zur Befreiung Palästinas entführt. Sollte Lanzmann dieses Ereignis mit der Entführung einer Maschine der Air France nach Entebbe verwechselt haben, an der zwar auch nicht die „Baader-Meinhof-Gruppe“, aber zwei Mitglieder der deutschen Revolutionären Zellen beteiligt waren: Ein Artikel der Haaretz belegt, dass es sich bei der angeblich von den Entführern vorgenommenen „Selektion“ um einen Mythos handelt: http://www.haaretz.com/weekend/week-s-end/setting-the-record-straight-entebbe-was-not-auschwitz-1.372131
(8) http://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2009/11/04/antisemiten-verhindern-lanzmann-film-auf-st-pauli_1776
(9) http://www.die-linke-hamburg.de/politik/diskussionen/detail/artikel/eine-inakzeptable-aktion.html
(10) http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prber026.html
(11) http://www.freie-radios.net/portal/content.php?id=32478; http://www.freie-radios.net/portal/content.php?id=32479
(12) http://www.welt.de/die-welt/kultur/literatur/article5364878/Man-haette-denen-eins-auf-die-Muetze-geben-muessen.html
(13) http://b-g-h-u.blogspot.com/2009/12/moishe-postone-hamburg-2009-und-noch.html
(14) http://www.taz.de/!45100/
(15) http://b-g-h-u.blog.de/
(16) Moshe Zuckermann, „Antisemit!“ Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument, Wien 2010, S. 135 ff.
(17) http://www.publikative.org/2009/12/01/antisemitische-filmzensur-hamburg-555552/
(18) Moshe Zuckermann, „Antisemit!“ Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument, Wien 2010, S. 151
(19) http://www.neues-deutschland.de/artikel/161238.hamburger-unzumutbarkeiten.html?sstr=Lanzmann
(20) http://redaktion-bahamas.org/aktuell/Veranst-30-11-09.html
(21) Das hauseigene Medium befeuerte offenbar auch Repressionsmaßnahmen gegen die Antiimperialisten: http://kommunistischeassoziationhamburg.blogspot.com/2010/10/anna-und-artur-packen-aus.html
(22) http://www.studienbibliothek.org/texte/antisemiten_unmoeglich_machen.pdf
(23) http://studienbibliothek.org/texte/BGHU_Bericht.pdf
(24) http://de.indymedia.org/2004/01/73222.shtml
(25) http://www.hintergrund.de/201105061532/politik/inland/reemtsma-gegen-reemtsma.html
(26) http://www.youtube.com/watch?v=ZX–7pu4PaU
(27) http://antifa.unihannover.tripod.com/aktuell2002.html
(28) http://myissue.de/betrifft_friedensforschung
(29) http://myissue.de/?page=2
(30) http://myissue.de/genosse_der_gosse
(31) http://myissue.de/spencer_interviews_geert_wilders
(32) http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prber025.html
(33) Moshe Zuckermann, „Antisemit!“ Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument, Wien 2010, S. 136