Innenpolitik

Außen hui, innen pfui – Rechtsstaat Bundesrepublik

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Von REDAKTION, 9. Juli 2013 –

In der Abhöraffäre gerät die Bundesregierung zunehmend unter Druck. Immer unglaubwürdiger wirken ihre Beteuerungen, von der massiven Überwachung der deutschen Bevölkerung durch US-amerikanische Dienste nichts gewusst zu haben oder gar daran beteiligt gewesen zu sein.

Wie die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) am vergangenen Wochenende  berichtete, „können sich die amerikanischen Geheimdienste bei Ausspähaktionen in Deutschland auf Rechtsgrundlagen berufen, die noch aus der alten Bundesrepublik stammen.“ (1)

Gemäß noch immer bestehender Verwaltungsvereinbarungen, die aus der Zeit des Kalten Krieges stammen, „dürfen die Geheimdienste der Westalliierten BND und Verfassungsschutz um Aufklärungsmaßnahmen ersuchen; die deutschen Dienste haben Rohdaten zu übergeben. Das begründet ein Recht der Amerikaner auf in Deutschland nachrichtendienstlich erhobene Daten. Bis vergangenes Jahr waren die Vereinbarungen als geheim eingestuft“, so die Zeitung.

Was die FAS ihrer Leserschaft vorenthält: Es war der Freiburger Historiker Josef Foschepoth, der diesen Sachverhalt im vergangenen Jahr erstmals an die Öffentlichkeit brachte.  Seine Forschungsergebnisse hat er in dem Buch Überwachtes Deutschland zusammengefasst und darin auch belegt, dass die „besondere Brisanz“ der Enthüllungen in ihrer Aktualität besteht. „Die Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut, die das Ausforschen der deutschen Bevölkerung durch die Westalliierten ermöglichen, sind nach wie vor in Kraft“, stellt Foschepoth fest.

Fand  der denkwürdige Inhalt seines Buches nach dessen Veröffentlichung wenig Beachtung, so ist der Freiburger Historiker gegenwärtig ein gefragter Gesprächspartner in den Medien. Denn Foschepoth stellt im Zusammenhang mit dem NSA-Abhörskandal die wirklich wichtigen Fragen und zieht daraus die entsprechenden Schlussfolgerungen. „Wenn wir etwas aus der aktuellen Affäre lernen wollen, dann kann es nur eine Konsequenz geben: die Bundesrepublik zu einem wirklich freiheitlichen und souveränen Rechtstaat zu machen“, so der Historiker in einem Gespräch mit n-tv vergangene Woche. „Die Bundesregierung muss erklären, dass alles aus den Gesetzen gestrichen wird, was unter alliiertem Druck hineingeschrieben wurde, um extensive Überwachungsmaßnahmen zu ermöglichen“, fordert Foschepoth und stellt fest: „Das sind Relikte aus der Besatzungszeit, die unsere Verfassung nachhaltig beschädigt haben. Faktisch gibt es im Moment kein Grundrecht nach Artikel 10 mehr.“

Für Hintergrund Heft 2/2013 hatte Sebastian Range das Buch Überwachtes Deutschland gelesen. Wir veröffentlichen aus gegebenem Anlass seinen Artikel online.


Als „Schaufenster des Westens“ strahlte die alte Bundesrepublik nicht nur  mittels eines reichhaltigen Warensortiments die Botschaft von der westlichen Überlegenheit in den Ostblock aus. Auch in Sachen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit galt das Wirtschaftswunderland als Vorzeigekandidat.

Begriffe wie Überwachungs- oder Unrechtsstaat standen und stehen im öffentlichen Diskurs gemeinhin als Synonym für die untergegangene DDR. Laut den Nachforschungen des Freiburger Historikers Josef Foschepoth könnten diese Prädikate allerdings auch die Verhältnisse im ehemaligen Westdeutschland beschreiben.

Im Bruch mit der Verfassung wurden dort über Jahrzehnte Briefe und Telefonate der Bürger in einem Umfang ausspioniert, wie es der Historiker kaum für möglich gehalten hätte. Zufällig war er bei anderweitigen Recherchen über eine verdächtig unvollständige Akte zur Postzensur gestolpert. Die nun einsetzende Suche in Bundesarchiven führte ihn von einem Aktenzeichen zum nächsten, von einer Geheimen Verschlusssache zur anderen. Sein Einsatz für die Freigabe gesperrter Akten trug schließlich Früchte, als das Bundesinnenministerium 2009 über 1,5 Millionen Dokumente freigab.

Das Ergebnis seiner akribischen Recherche hat Foschepoth in seinem Buch Überwachtes Deutschland. Post- und Telefonüberwachung in der alten  Bundesrepublik zusammengetragen.

Darin weist er eine „systematisch betriebene Post- und Telefonüberwachung von immensem Ausmaß“ nach, bei der auf Geheiß der Westalliierten und unter Mithilfe der Bundesregierung „ganze Regionen und Länder“ insgeheim strategisch überwacht wurden.

Auf der Suche nach „staatsgefährdenden Schriften“ wurde der gesamte Postverkehr aus und in den Ostblock, insbesondere die DDR, gefiltert. Verdächtige Sendungen wurden aussortiert, gelesen und zum großen Teil vernichtet. Zu diesem Zweck wurden in Postfilialen geheime Überwachungsstellen unter Federführung US-amerikanischer Dienststellen eingerichtet.

Allein aus der DDR erreichten bis zu Beginn der 1970er Jahre über einhundert Millionen Schriftstücke nicht ihren Adressaten in Westdeutschland – darunter auch Parlamentsabgeordnete. Ebenso wurden die Fernleitungen ins Ausland von den alliierten Geheimdiensten mit deutscher Amtshilfe abgehört.

Neben BND, dem Verfassungsschutz, der Post und dem Zoll war auch eine geheime Einheit der Bundeswehr an dem permanenten Rechtsbruch beteiligt. Nur im Postministerium regte sich nennenswerter Protest ob der befürchteten rechtlichen Konsequenzen angesichts des Verstoßes gegen das im Grundgesetz in Artikel 10 festgeschriebene Brief- und Fernmeldegeheimnis. Als  Rechtsgrundlage für die Einbindung einfacher Post- und Zollbeamter diente lediglich deren Treuepflicht als Beamte dem Staat gegenüber.

Mogelpackung Souveränität

Die Vorgänge verdeutlichen, wie es um die Souveränität der Bundesrepublik wirklich bestellt war, die es ausländischen Diensten nicht nur gestattete, ihre Bürger auszuspähen, sondern sich daran unter Missachtung der eigenen Verfassung selbst beteiligte.

Dabei war zehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges mit dem Inkrafttreten der Pariser Verträge am 5. Mai 1955 das geltende  Besatzungsstatut offiziell aufgehoben. Bundeskanzler Adenauer erklärte das Datum zum „Tag der Souveränität“. Die Bundesrepublik sei nunmehr ein „freier und unabhängiger Staat“. Tatsächlich war jedoch in Zusatzabkommen mit den Alliierten die proklamierte Souveränität deutlich eingeschränkt worden. Neben dem bekannten Vorbehaltsrecht der Siegermächte, Streitkräfte zu stationieren oder den Notstand zu erklären, unterzeichnete Adenauer zwei weitere Vorbehaltsrechte. Zum einen den Überwachungsvorbehalt, der den ehemaligen Besatzungsmächten weiterhin das Recht einräumte, den in- und ausländischen Post- und Fernmeldeverkehr zu kontrollieren.

Zum anderen den Geheimdienstvorbehalt, der es den alliierten Mächten erlaubte, mit Unterstützung deutscher Dienste gegebenenfalls außerhalb der Gesetze zu agieren. „Das, was grundgesetzlich verboten war, wurde kurzerhand zum alliierten Vorbehaltsrecht erklärt und dadurch ein essentielles Grundrecht mit ausdrücklicher Zustimmung des Bundeskanzlers durch Verlängerung des Besatzungsrechts ausgeschaltet“, schreibt Foschepoth. (1)

Adenauer versprach zwar, binnen Kurzem einen Gesetzentwurf einzubringen, der die Praxis der uneingeschränkten Überwachung der Bundesbürger auf eine legale Grundlage stellen würde, doch erst die Große Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt setzte dieses Anliegen in die Realität um. Sie verabschiedete 1968 das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (G-10-Gesetz).

Geschickt war diese Beschränkung eines Grundrechts mit der auch zur parlamentarischen Abstimmung stehenden Notstandsgesetzgebung verknüpft worden. Im Windschatten der öffentlichen Debatte um die Notstandsgesetze und der sich an ihnen entzündenden Proteste wurde die politische Brisanz des G-10-Gesetzes kaum wahrgenommen.

Dabei erhob es praktiziertes „Unrecht zur Regel“, wie der Spiegel zwei Jahre später schrieb, denn es „beschneidet ein Grundrecht, das nach dem Grundgesetz nicht eingeschränkt werden darf “. Und im Unterschied zu den Notstandsgesetzen fand die im G-10-Gesetz verankerte Aufhebung von Grundrechten permanent Anwendung, nicht nur im erklärten Fall des Notstandes.

Damit waren zwar die alliierten Sicherheitsvorbehaltsrechte abgelöst worden, die umfassende Überwachungspraxis blieb davon aber unberührt. Im Rahmen eines Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut und geheimen Verwaltungsvereinbarungen war der weitere Zugriff seitens der Westalliierten auf den Post- und Telefonverkehr in der BRD garantiert. Nur die Arbeitsteilung änderte sich: Fortan waren es die deutschen Dienste selbst, die abhörten und mitlasen. Sie übernahmen nun „im Auftrag der Alliierten, aber in eigenem Namen ohne parlamentarische Kontrolle, unter Ausschluss des Rechtsweges und unter strikter Geheimhaltung dauerhaft diese Aufgabe“. (2)

Die westdeutschen Geheimdienstler mussten ihre Informationen  unaufgefordert an die Westmächte weiterleiten und zudem auf deren Weisung hin tätig werden. Hierfür wurde ein Verbundsystem eingerichtet, das den Informationsaustausch zwischen den einzelnen deutschen und den westalliierten Diensten gewährleistete. Letztere operierten natürlich weiterhin eigenständig auf deutschem Boden.

Brisante Aktualität

„Worin bestand der Unterschied zwischen einer gesetzes- und  verfassungswidrigen Handhabe der Post- und Fernmeldeüberwachung in einem Rechtsstaat wie der Bundesrepublik und einem ‚Unrechtsstaat’ wie der DDR, die beide den Schutz des Post- und Fernmeldegeheimnisses in ihre Verfassung geschrieben hatten?“ (3), fragt Foschepoth, der sich wünscht, dass sein Buch „über die Fachgrenzen hinaus Impulse für eine neue und offene Diskussion über die Geschichte der Bundesrepublik gibt“. (4) Bis auf Besprechungen in den Feuilletons einiger Zeitungen nimmt sich die öffentliche Reaktion auf den brisanten Inhalt seines Buches bisher verhalten aus. Das mag auch seinen Grund darin haben, dass die geschilderte maßlose Überwachungspraxis keineswegs nur ein Fall für die Historiker ist. Die besondere Brisanz seiner Forschungen besteht in deren Aktualität. Die Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut, die das Ausforschen der deutschen Bevölkerung durch die Westalliierten ermöglichen, sind nach wie vor in Kraft.

Mit dem Beitritt der „fünf neuen Bundesländer“ in die alte Bundesrepublik ist diese entgegen dem öffentlich vorherrschenden Eindruck nicht wirklich souverän geworden. Nach wie vor können die Geheimdienste der drei Westmächte nach eigenem Ermessen die Kommunikation der deutschen Bevölkerung überwachen. Dem technischen Fortschritt entsprechend werden heute aber nicht mehr Briefberge durchwühlt. „E-Mails sind viel leichter zu knacken“, merkt Foschepoth an. (5) Er weist in diesem Zusammenhang auf das Echelon-System des US-Nachrichtendienstes NSA hin, das mittels Satelliten und Antennenanlagen Telefonate, Faxe und E-Mails ausspäht. Teil dieses Systems ist auch die sogenannte Harlekin-Anlage im bayerischen Bad Aibling, wo unter Beteiligung von CIA und BND Telefonate von und nach Deutschland aufgezeichnet werden.

Aufgrund des Fortbestehens der nun nicht mehr geheimen  Zusatzvereinbarungen des NATO-Truppenstatutes ist davon auszugehen, dass die deutschen Dienste weiterhin als verlängerter Arm der Westmächte, vor allem der USA, fungieren. Nur selten kommt diese Art der Arbeitsteilung ans Licht der Öffentlichkeit.

Zwei Wochen nach den Anschlägen vom 11. September erhielt der BND eine Anfrage aus den USA, all seine Erkenntnisse über den Irak zu übermitteln. Der deutsche Auslandsgeheimdienst lieferte bereitwillig, obwohl dessen damaliger Chef August Hanning die Anfrage als „erstes Indiz für einen Militärschlag der Amerikaner“ bewertete. (6) Diese interessierten sich vor allem für die Berichte eines BND-Informanten mit dem Decknamen „Curveball“. Der ehemalige irakische Chemieingenieur fabulierte von geheimen Waffenprogrammen einschließlich rollender Biowaffenlabore. In seiner – mittlerweile von ihm selbst bedauerten – Aussage vor dem UN-Sicherheitsrat benutzte US-Außenminister Colin Powell diese Mär von den rollenden Laboren, um die Öffentlichkeit und die Staatengemeinschaft von der Legitimität eines zu führenden „Präventivkrieges“ zu überzeugen.

Auch während des Irak-Krieges waren BND-Mitarbeiter behilflich, indem sie dem US-Militärgeheimdienst DIA Zielkoordinaten übermittelten – trotz der Haltung der Schröder-Regierung, sich an der „Operation Iraqi Freedom“ militärisch nicht zu beteiligen. Später erstattete Strafanzeigen gegen die BND-Agenten wurden von der Generalbundesanwaltschaft mit der denkwürdigen Begründung abgeschmettert, das Grundgesetz stelle zwar die Vorbereitung eines Angriffskrieges unter Strafe, nicht aber die Beteiligung an einem bereits laufenden.

Foschepoth hat mit seinem Buch die Frage aufgeworfen, wie es um die Rechtsstaatlichkeit der Bundesrepublik wirklich bestellt ist. Und auch die Frage, ob sich die deutschen Geheimdienste, oder doch zumindest Fraktionen innerhalb der Dienste, nach wie vor in erster Linie ausländischen Mächten und nicht der eigenen Regierung verpflichtet fühlen.

Die Frage allerdings, „wem“ sie sich nicht verpflichtet fühlen, belegt die Recherche eindeutig: dem bundesdeutschen Grundgesetz.

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Anmerkungen

(1) Josef Foschepoth, Überwachtes Deutschland, 2012, Seite 45
(2) ebd., Seite 50
(3) ebd., Seite 272
(4) Interview mit Josef Foschepoth, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, 24.10.2012
(5) Kulturzeit, 3sat, ausgestrahlt am 19.11.2012
(6) Die Welt, „USA haben BND für Irak-Krieg missbraucht“, 27.08.2011

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