Anwalt der kleinen Leute oder sanfter Bonapartist? Zum Comeback des Peter Gauweiler
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Von THOMAS WAGNER, 15. September 2011 –
In der CSU werden dieser Tage die politischen Karten neu gemischt. Der populäre Parteiveteran und Querdenker Peter Gauweiler hat überraschend seine Kandidatur für die Parteispitze angekündigt. Auf dem Parteitag am 7. und 8. Oktober in Nürnberg will er sich zu einem der vier Stellvertreter von CSU-Chef Horst Seehofer wählen lassen.
Der 62-Jährige Bundestagsabgeordnete ist damit Seehofer heftig in die Parade gefahren. Denn dieser hatte noch am Montag die Personalplanungen der Parteispitze bekräftigt, die bayerische Landtagspräsidentin Barbara Stamm, Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer, Bayerns Justizministerin Beate Merk und den Verteidigungsstaatssekretär Christian Schmidt als Vizevorsitzende zur Wahl zu stellen.
Nun werden Gauweiler gute Chancen eingeräumt, den Kampf um einen der vier Posten zu gewinnen und künftig an herausgehobener Stelle den Kurs der angeschlagenen CSU mitzubestimmen. Sollte es dazu kommen, sind grundsätzlich zwei Szenarien denkbar.
Das eine sieht so aus: Gauweiler könnte in der Gestalt eines rebellischen Parteisoldaten den Widerpart Seehofers geben und auf diese Weise das von der Bonner Politik enttäuschte konservative Wählerklientel wieder stärker an eine Partei binden, die einst von Franz-Josef Strauß maßgeblich geprägt worden war.
In dem anderen Szenario würde Gauweiler versuchen, die CSU zu einer neuen politischen Kraft zu formen. Die wäre dann EU-kritisch und gaullistisch orientiert. Schon jetzt versteht sich der EU- und Eurokritiker Gauweiler auf eine Form direktdemokratischer Agitation, die sich leicht an alle möglichen Bürgerbewegungen anschließen ließe: von den in Bayern besonders erfolgreichen Freien Wählern bis hin zu rechtspopulistischen Neugründungen. Im Interview mit der Zeitschrift Gazette gab sich der konservative Politiker jüngst als Befürworter der neuen Beteiligungsformen und als Parteienkritiker, der es für einen Fehler hält, dass eine kleine Gruppe von Parteidelegierten und Funktionären über die Richtung und das Personal der deutschen Regierungspolitik entscheide.
Bei vielen links eingestellten Bürgern hat sich der ehemalige politische Strauß-Ziehsohn und CSU-Rechtsaußen in den vergangenen Jahren als einer der wenigen Kritiker völkerrechtswidriger Kriegseinsätze der Bundeswehr und mit seiner Klage gegen den Vertrag von Lissabon eine Reihe von Sympathiepunkten erworben.
Selbst ein Linker ist der Klartextredner deshalb aber noch lange nicht geworden. Viele seiner zunächst plausibel klingenden Forderungen sind mit Vorsicht zu betrachten. Das betrifft auch sein Engagement für mehr Demokratie, das übrigens von so vehementen Fürsprechern des Kapitals wie Hans-Olaf Henkel geteilt wird. Auf der einen Seite ist Gauweilers Kritik an den Demokratiedefiziten in der EU mehr als berechtigt. Auf der anderen Seite muss er aber erst noch beweisen, dass es ihm dabei tatsächlich auf mehr Mitbestimmungsrechte für die einfachen Leute ankommt oder ob er eine autoritäre Politik im Interesse der nationalen Unternehmen durch plebiszitäre Elemente nur besser legitimiert sehen will.
Im ersten Fall müsste er sich konsequenterweise für mehr Demokratie auch in der Wirtschaft einsetzen, wie das Politiker der Partei Die Linke tun. Im zweiten Fall droht er das bei den Eliten zunehmend beliebte Politikmodell eines soften Bonapartismus zu bedienen, der zwar sehr demokratisch tut, letztlich aber darauf abzielt, die organisierte Vertretung der Interessen von abhängig Beschäftigten durch linke Parteien und Gewerkschaften zu schwächen.(1)
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In diesem Falle wäre Gauweilers Einsatz für mehr direkte Demokratie nichts weiter als eine hübsch drapierte Mogelpackung. (mit dpa)
(1) Vgl. zu dieser Strategie der Eliten: Thomas Wagner: Demokratie als Mogelpackung. Oder: Deutschlands sanfter Weg in den Bonapartismus. Köln, Papyrossa-Verlag 2011