Alles rechts oder was? – Metamorphosen im Parteiensystem
Krisen im Parteiensystem begleiten gesellschaftliche Krisen, gehen ihnen voraus oder folgen ihnen. Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen, die in den europäischen Ländern seit dem Kalten Krieg vonstattengingen, sind mit parteipolitischen, kulturellen und sozialpsychologischen Veränderungen verbunden. (Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel entstand vor der Europawahl)
In den osteuropäischen Ländern der »Transformation« vom Realsozialismus zum Kapitalismus haben
sich die Parteiensysteme zum Teil mehrmals umgewälzt, sind zerfallen und wurden wieder neu zusammengesetzt. Indem Maße, wie die Parteien der sogenannten Mitte den Kurs des Neoliberalismus
umgesetzt hatten, alles Mögliche versprachen, aber – zumindest für die arbeitenden Menschen und die Mittelschichten – kaum Positives realisierten, haben diese Parteien auch in anderen Ländern Europas Einfluss und Wählerzuspruch verloren. Davon profitierten zeitweilig linke Parteien, so Syriza in Griechenland, Podemos in Spanien und Die Linke in Deutschland. Anhaltender waren die Gewinne rechter Parteien, wie viele Jahre in Italien Berlusconi und nun Giorgia Meloni, in Ungarn Viktor Orbán, der seit 2010 das Land mit Zweidrittelmehrheit regiert, in Polen Jarosław Kaczyński, dessen PiS-Partei 2015–2023 regierte.
Die Wirtschafts- und Finanzkrise nach 2008 hatte dies befördert. Jetzt die multiple
Krise aus Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten, Verwerfungen mit Corona, Klimakrise und die globalen Spannungen. Die derzeitige Bundesregierung hat sich dem Kurs der Biden-Administration der
USA gegen Russland untergeordnet, die Sprengung der Nord-Stream-Gasleitungen hingenommen und sich aktiv an den Wirtschaftssanktionen des Westens beteiligt. Damit wurden die seit Jahrzehnten geschaffenen energiepolitischen Grundlagen des Industrie- und Exportmodells Deutschland und des Wohlstands seiner Bevölkerung ruiniert und eine sozial- und wirtschaftspolitische Lohn-Preis-Spirale in Gang gesetzt.
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Mehrheitsprobleme
Eine Eigenheit der Wahlen in den 1990er Jahren, insbesondere in Ostdeutschland, war, die Wahlergebnisse für die PDS waren stets besser als die Umfragen. Angesichts der massiven antikommunistischen Hetze und des Mediendrucks scheuten sich Menschen, einem Befrager offen ihre Wahlentscheidung mitzuteilen. Diesen »PDS-Effekt « haben wir jetzt in Bezug auf die AfD. Insofern dürften die Wahlergebnisse für die AfD 2024 noch höher liegen als die derzeitigen Umfrage-Zahlen.
Bis 2013 hatte sich die Linkspartei stabilisiert und lag bei der Bundestagswahl vor den Grünen. Damit hatte sich »links von der Mitte« auch in Deutschland eine Partei etabliert. Die Frage nach der Gründung der AfD 2012 war, ob »rechts von der Mitte« ein analoger Prozess möglich wird. Die schärfsten
Kritiker der Etablierung der Linken kamen vom rechten Flügel der Christdemokraten, die sich nicht entblödeten, mit abgestandenen antikommunistischen Klischees zu hantieren, obwohl die Existenz
der Linken eher ein Problem für das »linke Lager«, vor allem für die SPD war.
Umgekehrt kommen jetzt die schärfsten Kritiker der AfD, die rechts von der Christdemokratie als Partei agiert, von links, obwohl es sich um einen Umschichtungsprozess im bürgerlichen Lager handelt und dies ein Problem vor allem für die Christdemokratie ist. Zwischen rechtsextremen Parteien, rechtspopulistischen und national-konservativen Parteien wird meist nicht unterschieden. Für die linken Kämpfer »gegen rechts« ist das alles eins. Nachdem der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) auf einer Demo gegen rechts in Görlitz gesehen wurde, fragten konservative Medien, ob er dort gegen sich selbst demonstriert habe.
Forscher der Universität Konstanz haben Demonstrationsteilnehmer nach ihrer politischen Präferenz befragt. Zwei Drittel ordneten sich mitte-links, 5 Prozent links-außen, etwa ein Viertel mittig ein. Befragt, welche Partei sie bei der Bundestagswahl 2021 gewählt hatten, gaben 61 Prozent die Grünen, 18 Prozent SPD und 8 Prozent die Linke an, zusammen 87 Prozent; 8 Prozent wählten CDU/CSU und 3 Prozent FDP, zusammen 11 Prozent. Die mediale Erzählung, hier sei eine »schweigende Mehrheit« erwacht, erweist sich bei näherem Hinsehen als Legende.*
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Deutscher Sonderweg?
Nur in vier der 27 EU-Staaten führen noch Sozialdemokraten die Regierung. In Deutschland soll nun die Kampagne »Gegen Rechts«, die gegen die AfD gerichtet wurde, Entwicklungen wie in Schweden
oder den Niederlanden verhindern. Davon regiert aber die Ampel-Koalition nicht besser und die Christdemokratie vermag es nicht, als Gewinner deren verfehlter Politik ins Licht zu treten.
Hauptproblem der CDU ist politische Unentschiedenheit. Nach den Umfragen zum möglichen Wahlverhalten (»Sonntagsfrage «) in Thüringen liegt die AfD nach wie vor bei 30 Prozent, die CDU bei 20 Prozent und die Linke bei 15 Prozent; SPD, Grüne und FDP sind an der Fünf-Prozent-Linie.
Insofern ist ein CDU-Beschluss, weder mit der AfD noch mit den Linken koalieren zu wollen, völlig politikfern. Gegen eine der beiden gibt es nur eine Mehrheit mit der anderen.
Eine Wiederwahl der »Ampel« dürfte auf Bundesebene ausgeschlossen sein, eine Mehrheit von CDU/CSU und FDP für längere Zeit ist kaum zu erwarten. So bedeutet eine »Brandmauer« gegen die AfD, eine Regierung aus dem bürgerlichen Lager (hier die AfD hinzugerechnet, den anderen EU-Staaten analog) ist verunmöglicht. Das wäre ein Dauerabonnement auf Koalitionen aus Christ- und Sozialdemokratie.
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* Bitschnau, Marco/Koos, Sebastian (2024): »Die schweigende Mehrheit auf der Straße? Ergebnisse einer Befragung von Teilnehmer:innen an den Protesten gegen Rechtsextremismus« Universität Konstanz, Policy Paper No. 15, 14. März 2024
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