Asien

Gipfeltreffen in Astana: Asien will regionale Zusammenarbeit stärken, Westen bleibt außen vor

Weitgehend unbeachtet von der deutschen Mainstream-Presse hat in Astana das sechste Gipfeltreffen der Conference on Interaction and Confidence Building Measures in Asia (CICA) stattgefunden. Kann es sich der Westen leisten, das Zusammenrücken Asiens zu ignorieren?

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Gipfeltreffen Conference on Interaction and Confidence Building Measures in Asia – 12. und 13. Oktober 2022 in Astana.
© CICA Summit, Mehr Infos

Im Vorfeld des zweitägigen Gipfels in der kasachischen Hauptstadt, die seit September wieder ihren alten Namen Astana trägt, war in der deutschen Presse kaum eine Meldung darüber zu finden. Wenn überhaupt, dann betraf sie die Absichtsbekundungen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, den Gipfel nutzen zu wollen, um Russlands Präsident Wladimir Putin zu überzeugen, sich um eine diplomatische Lösung im Ukraine-Konflikt zu bemühen. Nach der unter seiner Vermittlung erreichten Vereinbarung über die Wiederaufnahme der Getreideexporte hat der türkische Präsident offenbar Gefallen an dieser Rolle gefunden. „Die Istanbuler Vereinbarung über den Export von ukrainischem Getreide über das Schwarze Meer und der Austausch von Gefangenen im vergangenen Monat sind spürbare Leistungen der Türkei“, so Erdogan in Astana, der bei der Plenarsitzung seinen Aufruf zur diplomatischen Lösung des Konfliktes wiederholte. 1 Im Vorfeld des CICA-Gipfels hatte auch der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu gegenüber dem türkischen TV-Sender tvnet betont, Ankara strebe einen „tragfähigen Waffenstillstand und fairen Frieden“ auf der Grundlage der territorialen Integrität der Ukraine an. Ein Waffenstillstand müsse so schnell wie möglich hergestellt werden, je früher, desto besser für die beiden Konfliktparteien und „für uns alle“. 2

Was über den Inhalt des bilateralen Treffens zwischen Putin und Erdogan am Rande des Gipfels aber bisher bekannt geworden ist, spricht eine andere Sprache – die Sprache zweier Geschäftsmänner. Berichten zufolge soll Putin seinem türkischen Amtskollegen vorgeschlagen haben, russisches Gas über die Türkei nach Europa zu leiten. Dies sei der zuverlässigste Weg, und auf diese Weise könne man gemeinsam eine Drehscheibe für Gaslieferungen aufbauen und die Gaspreise bestimmen. 3

Ein anderes Treffen im vollen Terminkalender des russischen Präsidenten war das Gespräch mit Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas. Bei diesem soll Abbas sein Misstrauen gegenüber den USA einerseits und seine Anerkennung für die Rolle Russlands bei der Vermittlung im Konflikt mit Israel andererseits zum Ausdruck gebracht haben. Der Palästinenserpräsident betonte zwar, dass er die Unterstützung des Quartetts aus Russland, den Vereinigten Staaten, der UN und der EU begrüße, gab aber zugleich zu verstehen, dass die USA dabei nicht freie Hand haben dürften. 4

Asien rückt trotz großer Unterschiede näher zusammen

Die Vorhersage, dass das 21. Jahrhundert Asien gehören werde, sei heute Realität, sagte Kasachstans Präsident Qassym-Schomart Toqajew zum Auftakt des 6. Gipfels der CICA in Astana. Ob Asien diese Dominanz in der Welt bereits erreicht hat, darüber kann man diskutieren. Was Formate wie die CICA, die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) und andere aber zeigen: Asien rückt immer mehr zusammen und wird sich seiner Bedeutung zunehmend bewusst. Mit 28 Mitgliedsstaaten deckt die CICA fast 90 Prozent der Fläche und Bevölkerung Asiens ab. 21 der 30 größten Städte der Welt liegen in Asien, der Kontinent verfügt über enorme Rohstoffressourcen und stellt global zwei Drittel der landwirtschaftlichen Produktion. Das Selbstbewusstsein, das aus dieser Erkenntnis erwächst, zeigt sich daran, dass Asien sich zunehmend auf sich selbst besinnt und nach eigenen Lösungen für drängende Probleme wie die Sicherstellung des wirtschaftlichen Wohlergehens und des Friedens in der Region sucht.

Als ein weiteres Zeichen für die Entkoppelung vom Westen könnte man Putins Aufforderung an die Mitgliedsstaaten deuten, die nationalen Währungen auf effektivere Weise zu nutzen. Dem russischen Präsidenten zufolge würde das ihre Souveränität stärken.5

Offiziell hat sich die auf Betreiben des damaligen kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew 1992 ins Leben gerufene CICA auf die Fahnen geschrieben, eine Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsstaaten durch multilaterale Herangehensweisen zu erreichen und Frieden, Sicherheit und Stabilität in Asien herzustellen. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit unter Berücksichtigung der Souveränität jedes einzelnen Mitglieds und unter der Prämisse, dass sich die Mitglieder nicht in die gegenseitigen inneren Angelegenheiten einmischen dürfen, soll in den Bereichen Wirtschaft, Umwelt, Menschenrechte, neue Herausforderungen und Bedrohungen sowie der militärpolitischen Dimension erreicht werden. Erste Projekte würden schon erfolgreich implementiert, heißt es auf der Seite der CICA. 6

Dass die Einigung auf gemeinsame Ziele und deren Umsetzung herausfordernd sein können, zeigt die Liste der Mitgliedsstaaten. Zwar liegen sie territorial ganz oder in Teilen in Asien, kulturell, ökonomisch und politisch könnten sie aber kaum unterschiedlicher sein. Zu den Mitgliedern gehören neben dem Gründer Kasachstan mit Russland, China und Indien drei Schwergewichte. Von den Republiken der ehemaligen Sowjetunion sind zudem Aserbaidschan, Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan dabei. Zwischen den drei Letztgenannten gibt es fortwährende Grenzstreitigkeiten im Dreiländereck Fergana-Tal, wo die Grenzen über große Strecken hinweg bis heute nicht delimitiert sind. Zuletzt lieferten sich Kirgistan und Tadschikistan blutige Auseinandersetzungen.

Die Beilegung dieses Konflikts sollte neben vielen anderen Fragen Thema beim Gipfel in Astana sein. Nicht weniger herausfordernd ist sicherlich auch, dass bei CICA neben Indien auch Pakistan mit am Tisch sitzt, Iran auf Irak trifft und Israel auf Palästina. Aus Südostasien nehmen Kambodscha, Thailand und Vietnam teil. Außerdem vertreten sind Bangladesch, die Mongolei, Korea, Sri Lanka und die Türkei sowie Ägypten, Bahrain, Jordanien, Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate und seit diesem Donnerstag auch Kuweit, dessen Antrag auf Aufnahme in Astana stattgegeben wurde. Nicht zu vergessen ist Afghanistan, ebenfalls Mitglied der CICA und laut Russlands Präsident Putin eine der größten Herausforderungen für die Sicherheit Asiens. Dieser hatte bei dem Gipfel gefordert, dass Afghanistan eine Kompensation für all die Schäden erhalten sollte, die es in den Jahren der Okkupation erlitten hatte. „Dieses Land ist nach über zwanzig Jahren der Militärpräsenz von USA und NATO und dem Scheitern von deren Politik nicht in der Lage, die Probleme der terroristischen Bedrohung selbst zu lösen … Wir fordern ausdrücklich dazu auf, den Schaden, der den Afghanen in den Jahren der Okkupation zugefügt worden ist, zu kompensieren, und ihre ungesetzlich eingefrorenen Mittel freizugeben“, sagte Putin. 7

In einer Video-Schalte richtete auch UNO-Generalsekretär Antonio Guterres das Wort an die Gipfelteilnehmer. In den vergangenen dreißig Jahren sei die CICA zu einer lebenswichtigen Dialog-Plattform für die Länder Asiens geworden. „Wir alle profitieren von einem friedlichen, florierenden Asien“, so Guterres. „Ich bin dankbar für unsere Partnerschaft in der Erreichung unserer Ziele – der Förderung der nachhaltigen Entwicklung, der Menschenrechte, des Friedens und der Stabilität und der Festigung der vielseitigen Zusammenarbeit.“ Guterres betonte, dass in Krisenzeiten, in denen insbesondere die vulnerablen Bevölkerungsgruppen litten, regionale Bemühungen um Stabilität so wichtig seien wie noch nie. 8 Die UNO gehört neben der Internationalen Organisation für Migration (IOM), der OSZE, der Arabischen Liga und der Parlamentarischen Versammlung der Turkstaaten (TURKPA) zu den Organisationen mit Beobachterstatus bei der CICA. Neu dazugekommen als Partnerorganisation ist in Astana die Eurasische Wirtschaftskommission (EEC), mit der ein Memorandum unterschrieben wurde.

Wie unter anderem Kasachstans Präsident Toqajew und Russlands Präsident Putin hervorhoben, steht die Welt und mit ihr auch Asien vor nie dagewesenen Herausforderungen, darunter die Versorgungsengpässe mit Energie und Lebensmitteln. Ein konkreter Vorschlag, wie diese zu lösen wären, kam von Gastgeber Toqajew, der anregte, „grüne Korridore“ für die Lieferung von wichtigen Produkten einzurichten. „In der Region der CICA ist ein funktionierender Mechanismus für die Gewährleistung der Lebensmittelsicherheit notwendig. Asien stellt zwei Drittel der weltweiten landwirtschaftlichen Produktion, bleibt in diesem Bereich aber weiterhin vulnerabel. Wir müssen einen einheitlichen Zugang zur Bewertung dieser Produkte im Einklang mit den nationalen Standards finden und für diese Waren grüne Korridore zwischen den CICA-Mitgliedsstaaten schaffen“, so Toqajew.

Nicht angereist sind die Delegationen der Ukraine und der USA, die neben Belarus, Indonesien, Japan, Laos, Malaysia, den Philippinen und Turkmenistan Beobachterstatus bei der CICA haben.

 

Quellen

1https://ru.sputnik.kz/20221013/sammit-svmda-prokhodit-v-astane-28418538.html

2https://dtj-online.de/erdogan-und-putin-kommen-erneut-zusammen/

3https://www.deutschlandfunk.de/putin-schlaegt-erdogan-neue-gas-pipeline-vor-100.html

4https://www.reuters.com/world/palestinian-leader-does-not-trust-america-happy-with-russia-2022-10-13/

5https://regnum.ru/news/economy/3722827.html

6https://www.s-cica.org/index.php?view=page&t=about

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7https://ru.sputnik.kz/20221013/sammit-svmda-prokhodit-v-astane-28418538.html

8https://ru.sputnik.kz/20221013/nischeta-i-golod-ubivayut-mir-gensek-oon-obratilsya-k-uchastnikam-sammita-v-astane-28427143.html

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