Fortgesetzte Krisen
Unser Blick zu den Kollegen. Diesmal eine Art Rundumschlag nach der kurzen Sommerpause. Über "Volksaufstände", Regierungskritik und Corona-Maßnahmen. Über Krieg, Pazifismus und eine größenwahnsinnige Ministerin. Die Hintergrund-Medienrundschau vom 6.8.22
(Redaktion/5.8.22) Das kennen Sie vielleicht auch: Nach dem Urlaub ist der Schreibtisch voll mit Arbeit. Denn die Welt dreht sich weiter, die Arbeit macht sich nicht von allein. Auch für unsere Medienrundschau ist das nicht anders. Ein paar Wochen Pause und die Themen, die zu besprechen sind, häufen sich. Interessantes wie Ungeheuerliches hat es auch in den vergangenen Wochen gegeben. Wir können natürlich nicht alles nachholen oder nacharbeiten. Aber wir schauen einmal auf die großen Themen der Zeit und geben ein paar Hinweise, was gelesen werden sollte. Manches auch lieber nicht.
Fangen wir an mit den Volksaufständen. Ja, sie werden vorbereitet, die Aufstände in Deutschland. Ob von denen, die dereinst aufstehen wollen oder sollten, wissen wir nicht. Derzeit wissen wir nur von denen, die vor ihnen warnen. Tobias Riegel von den Nachdenkseiten hat das Thema in einer Zwischenzeile auf den Punkt gebracht: „Die Regierung warnt vor der Politik der Regierung“. Weiter heißt es dort:
Die Politik der Bundesregierung kann im schlimmsten Fall potenziell geeignet sein, ein in Deutschland seit Jahrzehnten nicht gekanntes gesellschaftliches Chaos zu verursachen, auch mögliche ,Volksaufstände‘ (ein sehr weit gefasster Begriff) können bei dieser Dynamik nicht vollends ausgeschlossen werden. (Nachdenkseiten, 22.7.22)
Die Warnerin in diesem Artikel war übrigens Annalena Baerbock. Aber auch die Innenministerin Nancy Faeser warnt. Und sie gibt gleich die Richtung vor. Wer in diesen Zeiten gegen die Politik der Regierung aufstehen will, der tut dies von rechts. Faeser sagte dem Handelsblatt:
Natürlich besteht die Gefahr, dass diejenigen, die schon in der Coronazeit ihre Verachtung gegen die Demokratie herausgebrüllt haben und dabei oftmals Seite an Seite mit Rechtsextremisten unterwegs waren, die stark steigenden Preise als neues Mobilisierungsthema zu missbrauchen versuchen. (Handelsblatt, 17.7.22)
Nein, nicht die Sanktionspolitik, deren Folgen (unter anderem) die Deutschen zu spüren haben, könnte Schuld am Protest sein. Es ist nicht die Politik einer unfähigen Regierung, die Millionen Menschen in Existenznöte treibt, wie Christian Baron aufgeschrieben hat (Freitag, 14.7.22). Nein: Die Regierung und ihre Adlaten in den Redaktionen verweisen auf den Kreml und vor allem auf die Rechten. Und umgekehrt: Wer protestiert ist automatisch rechts. Das kennen wir schon. Die Elite in grün, rot, gelb und schwarz macht es sich da leicht. Zumindest in den Verlautbarungen. Und die Innenministerin will präventiv Programme gegen Rechts ausbauen. Hilft das auch gegen Hunger und kalte Wohnungen? Man wundert sich. Dass die Proteste, so sie denn überhaupt beginnen werden, eine Grundlage in der Lebenswirklichkeit haben könnten, dass die Menschen ihre eigenen Interessen vertreten, das kommt der Politik und den sie begleitenden Medien nicht so recht in den Sinn (siehe z.B. Tagesschau, 2.8.22).
Roberto De Lapuente hat die Sache einmal umgedreht. Und dann wird ein passender Schuh draus:
„Die politische Klasse modifiziert das Land auf rechtlich fraglicher Grundlage, erklärt aber gleichzeitig das grundgesetzliche Recht auf Demonstration für eine Gefahr, die man im Auge behalten wird. Es ist schon längst ein Aufstand in Gange: Einer, der von der Politik betrieben wird. Und zwar gegen die eigene Bevölkerung.“ (Overton Magazin, 25.7.22)
Sebastian Friedrich, in seinen Kolumnen meist vorsichtig unterwegs, hat die Linke immerhin dazu aufgerufen, sich nicht wieder an den Rand zu stellen sondern aktiv zu werden und nicht der Rechten das Feld zu überlassen (Freitag, 28.7.22). Das wäre mal ein guter Ansatz, aber so wie wir die gesellschaftliche Linke in den vergangenen Jahren erlebt haben, erwarten wir von ihr nicht viel.
“Corona ist vorbei” – oder auch nicht
Womit wir beim Thema Corona wären. Corona ist vorbei, sagt Lungenfacharzt Thomas Voshaar, Deutschland müsse den Panik-Modus verlassen (Berliner Zeitung, 31.7.22). Es dürfe keine neuen Maßnahmen geben, fordert Voshaar gemeinsam mit weiteren namhaften Experten (Focus, 3.8.22). Aber das Panik-Orchester spielt munter weiter, wie die Nachdenkseiten zusammenfassen (Nachdenkseiten, 2.8.22) und so ist die Politik dabei, die nächsten Maßnahmen einzutüten. Denn der Bundesjustizminister, der einst vom absoluten Ende aller Maßnahmen Ende März sprach, hat sich mit dem Gesundheitsminister (den wir leider, wie seinen Kollegen von Justiz, weiter ertragen müssen) geeinigt. Es wird also weitergehen. Die Maske bleibt, trotz 30 Grad und fehlender Laborbedingungen in der Realität. Denn nur im Labor wurde bisher nachgewiesen, dass die Maske wirklich hilft (Telepolis, 4.8.22).
Noch nicht ganz durchgedrungen scheint eine Passage aus den anvisierten Maßnahmen, die eine Neuerung in den unergründlichen Tiefen der Corona-Maßnahmen-Regelung wäre. Gemeint ist die „frische Impfung“. Frisch ist sie, wenn sie nicht älter als drei Monate ist. Das sei der Zeitraum, in dem eine Impfung wahrscheinlich schütze, so Lauterbach gegenüber der Welt (Welt, 4.8.22). Dass das mit Verhältnismäßigkeit nicht mehr so viel zu tun hat und außerdem sehr grundlegende Fragen zur Impfung (oder auch zur weiterhin bestehende einrichtungsbezogene Impfpflicht) aufwirft, sollte irgend jemandem auffallen. Bundestagsabgeordnete sind vermutlich kaum darunter. Mindestens nicht solche der Regierung, die sich ihre Realität ja eh am liebsten so zusammenbaut, wie sie sie gerne hätte (siehe oben).
Die Berliner Zeitung schreibt derweil, dass die neuen Regelungen kaum jemanden interessierten und es andere Probleme gebe. Gemeint ist vor allem eine Bildungskatastrophe, die auf uns zukommt (Berliner Zeitung, 4.8.22). Dazu kommen soziale und psychische Langzeitschäden, die scheinbar auch kaum interessieren – uns allerdings schon. Man müsste mal nach den Gründen für die Schäden fragen. Und das könnte für einige – den Panik-Minister und seine Gefolgschaft in erster Linie – unangenehm werden. Also weiter wegducken, testen, Maske tragen und Maul halten. Unter der Maske ist das schließlich auch angenehmer.
Wer nicht das Maul hält, ist eben ein Rechter. Das hatten wir heute schon. Die Verbindung zwischen den beiden Großthemen Corona und Ukraine-Krieg stellt Wolf Wetzel (ein ausgemachter Linker, das nur nebenbei) in einem lesenswerten Stück heraus. Wir zitieren etwas länger, weil es an dieser Stelle noch einmal hilft, das oben bereits Angedeutete besser zu verstehen:
Diejenigen, die die Corona-Politik in den letzten beiden Jahren kritisiert und erlebt haben, wie die deutsche Bundesregierung und ihre medialen Transmitter mit diesem Protest umgehen, sind skeptisch, sehr skeptisch, was die jetzt ausgebende Regierungslinie zum Krieg angeht: Sie weigern sich, ,Putin‘ zum Irren zu machen und die ,Ukraine‘ zum Opfer. Das machen sie nicht, weil sie ganz genaue Informationen über den Krieg und die darin artikulierten Interessen haben. Sie machen es vor allem, weil sie der deutschen Bundesregierung nicht mehr glauben, also ihr auch nicht abnehmen, dass es ihr dabei um Frieden und Gerechtigkeit gehe. Und diejenigen, die in den letzten beiden Jahren die Corona-Politik im Großen und Ganzen begrüßten (oder gar mehr forderten), die stehen auch heute in der Mehrheit hinter dem Regierungsnarrativ vom herrschsüchtigen, chauvinistischen Putin. Auch die treffen diese Entscheidung nicht, weil sie im Kriegsnebel besser durchblicken, sondern weil diese Positionierung ihre Haltung hier widerspiegelt. (Overton Magazin, 4.8.22)
Wetzel fragt sich, wessen Freiheit das denn eigentlich ist, die dort in der Ukraine verteidigt wird? Es sind zumindest nicht die einfachen Menschen, die Lohnabhängigen. Deren Rechte werden in der Ukraine weiter beschnitten. Die Freiheit in der Ukraine ist, wenn überhaupt, die des Kapitals (hierzu auch Werner Rügemer bei den Nachdenkseiten, 21.7.22), oder die der Familien, die sich Leihmütter suchen und bis zum Krieg vor allem in der Ukraine fündig wurden (Lunapark21, 22.7.22). Übrigens: Auch der erste Teil des Textes von Wolf Wetzel über den Krieg und seine Begleiterscheinungen ist lesenswert und versucht eine Perspektive über die Kriegslogik hinaus zu finden (Overton Magazin, 27.7.22).
Transatlantiker verhandeln nicht
Womit wir das Kriegsthema erreicht haben. Denn der Krieg in der Ukraine ist in den vergangenen Wochen weitergegangen. In unverminderter Weise, mit viel Propaganda und zuweilen sogar mit Berichterstattung. Wir können das hier nicht alles wiederholen oder zusammenfassen und weisen nur auf ein paar Stücke hin, die uns aufgefallen sind. Und da wäre zuerst der Leitartikel von Jakob Augstein, den er vor zwei Wochen im Freitag veröffentlicht hat. Er schrieb darüber, dass die uneingeschränkte Unterstützung der Ukraine mittlerweile angeblich alternativlos geworden ist. Dem sei nicht so, so Augstein, Verhandlungen könnten sofort beginnen, wenn man nur wolle („man“ dürften in diesem Fall vor allem die USA sein). Augstein schreibt:
Politiker und Publizisten, die sich dagegen aussprechen, den Krieg mit Russland so schnell wie möglich zu beenden, müssten erklären, wie sie dieses Risiko für Deutschland ausschließen wollen. Sie können es nicht. (Freitag, 21.7.22)
Stattdessen würde mit der Moralkeule, einem potentiellen Angriff Russlands auf einen NATO-Staat, argumentiert und das militarisierte Denken übernommen. Dieses ist auf deutscher Seite ein transatlantisches, wie die gruselige Grundsatzrede der größenwahnsinnigen Baerbock gerade wieder bewiesen hat (Nachdenkseiten, 3.8.22).
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Interessant ist in dem Zusammenhang, dass die USA, genauer das Weiße Haus, offenbar ein Problem mit dem ukrainischen Präsidenten haben. Das legt ein Artikel der New York Times nahe, dessen Autor gute Verbindungen in die Politik hat. Unter anderem gibt es ein Problem mit der Kontrolle darüber, wohin die Waffen gehen (Berliner Zeitung, 3.8.22). Die möglicherweise bröckelnde Macht des Präsidenten hatte Florian Rötzer bereits vor gut zwei Wochen thematisiert (Overton Magazin, 19.7.22). Wohin das führt, wenn der strahlende Kriegsheld verschwindet, den wir mittlerweile im Fernsehen, auf Buchtiteln und Hochglanzmagazinen (dort auch mit Frau, Berliner Zeitung, 27.7.22) ertragen müssen, bleibt abzuwarten.
Und das müssen Sie jetzt auch. Abwarten bis zur nächsten Medienrundschau. Wir lesen, hören und schauen weiter und geben Ihnen regelmäßig aktuelle Lesetipps in unserer Rubrik „Aus anderen Medien“. Gerne nehmen wir auch Anregungen entgegen, denn auch wir können beileibe nicht alles wahrnehmen. Bleiben Sie uns gewogen und schreiben Sie gerne an redaktion@hintergrund.de. Wir sind demnächst wieder an dieser Stelle für Sie da.