Medien

WikiLeaks entlarvt Stratfor

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Von SEBASTIAN RANGE, 27. Februar 2012 –

Die Enthüllungsplattform WikiLeaks veröffentlichte heute die ersten von insgesamt fünf Millionen internen e-Mails der US-Strategieberatungsfirma Stratfor.  Das 1996 von George Friedman gegründete Unternehmen versteht sich laut Selbstdarstellung als Anbieter „geopolitischer Analysen“. Doch die interne Kommunikation ergibt ein anderes Bild: Stratfor arbeitet wie ein privater Geheimdienst. Hunderte Informanten hat das Unternehmen weltweit für sich angeworben, die über Schweizer Konten finanziert werden. Darunter Regierungsangestellte, Botschaftsangehörige und auch Journalisten. (1)

Eine Liste der angeworbenen Journalisten („Confederation Partners“) enthält über 200 Einträge und wird in einer internen e-Mail als „Confed Fuck House“ bezeichnet. (2) Der Schwerpunkt der Rekrutierungsarbeit in den Medien liegt demnach in Ländern der ehemaligen Sowjetunion, Asien und Lateinamerika. Und vor allem der arabische Raum steht im Fokus der Geheimdiensttätigkeit. So soll der al-Jazeera-Mitarbeiter Jonathan Powell mit Stratfor kooperieren. Wie aus einer Anmerkung hervorgeht, wurde ein Treffen zwischen Stratfor-Chef Friedman und dem al-Jazeera-Direktor verabredet, auf dem über eine Zusammenarbeit diskutiert werden sollte. „Wir sind am Drücker“, heißt es in dem Dokument. Namen von deutschen Medien und Journalisten enthält die Übersicht nicht – was aber nichts bedeuten muss. Denn auffälligerweise ist kein Journalist aus dem west- und mitteleuropäischen Raum aufgeführt. Da Stratfor kaum darauf verzichtet haben dürfte, auch in den alten NATO-Staaten Medienvertreter anzuwerben, ist möglicherweise von einer Unvollständigkeit der Liste auszugehen.  

„Während es akzeptabel ist, wenn Journalisten Informationen austauschen oder von anderen Medienorganisationen bezahlt werden, ist die Verbindung zu Stratfor korrumpierend, da es sich um einen privaten Geheimdienst handelt, der Regierungen und privaten Auftraggebern dient“, kommentiert WikiLeaks die Verbindungen in die Medienwelt.

Ironischerweise sah Stratfor in den vergangenen Veröffentlichungen von WikiLeaks eine Möglichkeit „abzusahnen“. Denn das von der Enthüllungsplattform freigegebene Material sorgte für große Verunsicherung in der Sicherheitsbranche. Stratfor witterte ein neues Geschäftsfeld: „Können wir einige Ideen und Methoden entwickeln, (…) die sich darauf konzentrieren zu verhindern, dass die eigenen Angestellten sensible Informationen durchsickern lassen. Tatsächlich glaube ich kaum, dass es sich um ein IT-Problem handelt, das einer IT-Lösung bedarf.“ (3)

Im Falle Stratfor war es allerdings ein „IT-Problem“ und nicht ein Whistleblower, durch das das Material in die Hände von WikiLeaks gelangte. Im Dezember hatte die Hackergruppe Anonymous tausende Kreditkarten-Informationen von Abonnenten der Stratfor-Analysen und Millionen interne e-Mails ausgespäht, die wahrscheinlich die Grundlage für die heutige Veröffentlichung bilden.

Entgegen der nach außen erklärten politischen Neutralität enthüllen die Mails, dass sich der Führungsstab von Stratfor „eng an der US-Außenpolitik ausrichtet und Hinweise an den [israelischen Auslandsgeheimdienst] Mossad weitergibt“, heißt es auf der WikiLeaks-Webseite.

Die Enthüllungsplattform wurde selbst schon Opfer dieser Praxis. So habe der für die israelische Zeitung Haaretz arbeitende Stratfor-Informant Yossi Melman mit dem Guardian-Journalisten David Leigh konspiriert, um das der britischen Zeitung von WikiLeaks zugespielte Material der US-Botschaften nach Israel weiterzuleiten. Ein klarer Verstoß gegen den vom Guardian mit WikiLeaks geschlossenen Vertrag.

Neben dem Guardian hatte WikiLeaks die US-Botschaftsdepeschen in Absprache mit drei weiteren  großen Zeitungen – Le Monde, El País sowie Der Spiegel – veröffentlicht. Das stieß auf starke Kritik in den alternativen Medien, da dadurch die Deutungshoheit der Botschaftsberichte faktisch diesen etablierten Medien überlassen wurde. Im Falle Stratfor hat die Enthüllungsplattform offenbar dazugelernt und mit 25 Medienpartnern den Kreis der ersten Empfänger des Materials deutlich erweitert. Darunter sind nicht nur hierzulande weniger bekannte Namen wie Plaza Pública aus Guatemala oder die tunesische Nawaat, sondern auch direkt von Stratfors Machenschaften Betroffene, wie die Initiative „The Yes Men“.

The Yes Men wurde aufgrund konzernkritischer Aktivitäten von Stratfor im Auftrag des Chemieriesen Dow Chemical ausgespäht. (4) Stratfors Kunden kommen aber nicht nur aus der Privatwirtschaft. Für das United States Marine Corps und „andere Nachrichtendienste der Regierung“ führt das Unternehmen Schulungen durch.

Fragwürdige Geschäfte – fragwürdige Zukunft

Als „rechtlich fragwürdig“ bezeichnet WikiLeaks Stratfors nun bekannt gewordene Pläne, das geheime Wissen des Unternehmens für Börsengeschäfte zu nutzen. Zu diesem Zweck spendete der ehemalige Goldmam-Sachs-Geschäftsführer Shea Morenz einen Millionenbetrag und wurde 2011 in den Stratfor-Vorstand aufgenommen. Die Gelder waren für die Gründung des Unternehmens StratCap vorgesehen, das mittels Stratfors Wissen vor allem im Bereich der Staatsanleihen und Währungen Handel treiben sollte.

Um es nach außen unabhängig erscheinen zu lassen, wurde im vergangenen Jahr ein komplexes Netzwerk aufgebaut. Vertraulich schrieb George Friedman im vergangenen Sommer: „Stellen sie sich StratCap nicht als eine außenstehende Organisation vor. Es wird ein integraler Bestandteil [von Stratfor].(…) Wir arbeiten bereits an Schein-Portfolios und Schein-Geschäften.“ (5)

Für 2012 war der Start von StratCap vorgesehen. Die WikiLeaks-Publikation dürfte dem Geschäftskonzept aber vorzeitig einen Stich durch die Erfolgsrechnung gemacht haben.

Inwieweit mit der Veröffentlichung des Informanten-Netzwerkes dem „komplett im geheimen agierenden und keiner politischen Aufsicht oder Rechenschaftspflicht unterliegenden“ Privatgeheimdienst der Todesstoß versetzt wurde, wird sich noch zeigen.

Zumindest dessen Selbstdarstellung, lediglich Anbieter geopolitischer Informationen „ohne Ideologie, Agenda oder nationale Voreingenommenheit“ zu sein, dürfte in seiner Glaubwürdigkeit der Vergangenheit angehören.

Alleine der Umgang mit den Quellen erinnert an klassische Geheimdienstmethoden. „Wenn Sie vermuten, dass diese Quelle wertvoll ist, müssen Sie Kontrolle übernehmen, finanzielle, sexuelle oder psychologische“, schreibt Friedman seiner Mitarbeiterin Reva Bhalla, die den Kontakt zu einem Informanten unterhält, der detailliertes Wissen über den Gesundheitszustand von Venezuelas Präsident Hugo Chavez weiterleitete. (6)

Als Kritiker und Gegner der US-amerikanischen Außenpolitik ist Chavez für Stratfor natürlich von besonderem Interesse. Ebenso verhält es sich mit Boliviens Präsidenten Evo Morales. Ein von Stratfor angeworbener Informant aus dem bolivianischen Außenministerium beschwerte sich in einer Mail über die vermeintlich linkslastigen Massenmedien in den USA, die Morales in einem viel zu gutem Licht erscheinen lassen würden.

„In den alten Tagen hätten wir seinen (und Chavez’) Hubschrauber-‚Unfall’ geplant“, merkte Fred Burton, Stratfors Vizepräsident für Aufklärung, fast schon wehmütig klingend an. (7) Burton war früher im Diplomatic Securtiy Service des US-Außenministeriums Leiter der Anti-Terror-Abteilung.

Was Abstürze betrifft, so wird sich Stratfor in den kommenden Wochen und Monaten vor allem mit der Vermeidung des eigenen beschäftigen müssen. Kaum absehbar, was noch alles auf den Privatgeheimdienst zukommen wird, denn mit rund 150 Mails wurde heute vorerst nur ein geringer Bruchteil der insgesamt fünf Millionen elektronischer Briefe veröffentlicht.

Was auch immer kommen mag, die Reaktion des nicht mehr ganz so geheimen Dienstes wird vermutlich gleich bleiben: „Einige der Nachrichten könnten gefälscht oder verändert worden sein, einige können authentisch sein. Wir werden weder das eine noch das andere bestätigten“, heißt es in einer Stellungnahme des Unternehmens. (8)

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Anmerkungen

(1) http://wikileaks.org/the-gifiles.html
(2) http://wikileaks.org/gifiles/attach/102/102203_stratfor%20-%20confederation%20program.xlsx
(3) http://wikileaks.org/the-gifiles.html
(4) http://theyesmen.org/stratfor
(5) http://wikileaks.org/gifiles/docs/122002_labor-day-review-of-where-we-are-.html
(6) http://wikileaks.org/gifiles/docs/202526_re-insight-venezuela-update-on-chavez-s-health-power.html
(7) http://wikileaks.org/gifiles/docs/1142108_re-insight-bolivia-st-dept-source-s-take-on-morales-.html
(8) http://www.prnewswire.com/news-releases/stratfor-statement-on-wikileaks-140524033.html

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