Medienkritik

Pure Hetze statt Qualitätsjournalismus

Ein russischer Oppositioneller ruft auf der Website von n-tv zur „Vernichtung“ von Wladimir Putin auf. Das ist der Höhepunkt eines Interviews, das gefüllt ist mit Hetze und jeder Menge Entgleisungen. Die Russische Botschaft fordert vom Sender eine Reaktion. Ein Kommentar.

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Auf n-tv.de wird unwidersprochen zu seiner „Vernichtung“ aufgerufen: Wladimir Putin Anfang Februar 2024.
Foto: kremlin.ru, Lizenz: CC BY, Mehr Infos

Wie würden hierzulande Politik und Medien reagieren, wenn ein russisches Medium einen Aufruf veröffentlichen würde, Bundeskanzler Olaf Scholz oder Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier „zu bekämpfen und zu vernichten“? Und wenn das auch noch von einem deutschen Oppositionspolitiker egal welcher Partei käme, der sich dazu in einem Interview hinreißen lässt. Es erscheint kaum vorstellbar, dass so etwas geschieht. Die möglichen Reaktionen hierzulande sind angesichts des russlandfeindlichen Klimas nicht ganz unvorstellbar.

Und doch ist es andersrum erschreckende Realität: Mit der Überschrift „Putin muss vernichtet werden“ hat der deutsche Sender n-tv journalistische Grundregeln verletzt. Er nimmt keine Einordnung dieses Zitates aus dem Interview mit dem russischen Oppositionellen Leonid Wolkow, das am 10. Februar veröffentlicht wurde, vor. Ohne Widerspruch kann Wolkow am Ende des Interviews zu Putin sagen: „Er muss bekämpft werden und er muss vernichtet werden.“ Es gibt keine Nachfrage dazu, keine Einordnung, keine Abmilderung dieses Aufrufes, den russischen Präsidenten zu töten.

Das Interview ist offene Hetze statt sachlicher Kritik an der Politik Moskaus. Es fehlt die journalistische Distanz zu dem politischen Anliegen Wolkows, der das mit drastischen Worten ausdrückt. Das gesamte Interview ist weniger journalistisch als propagandistisch. Wolkow wird die Möglichkeit eingeräumt, seine politischen Vorstellungen sowie die des von ihm unterstützten Alexej Nawalny ungefiltert zu verbreiten.

Der russische Botschafter in Deutschland, Sergej Netschajew, hat darauf am Mittwoch mit einem Offenen Brief an den Chefredakteur des Senders, Tilman Aretz, reagiert. Das Interview sei „gefüllt mit Faktenverdrehungen, verlogenen Unterstellungen und obszönen Beschimpfungen“. Der Aufruf, Russlands Präsidenten zu „vernichten“, sprenge „jeden denkbaren Rahmen und ist eklatanter Missbrauch der Meinungsfreiheit“, so Netschajew.

„Es ist empörend und abstoßend, dass auf n-tv.de eine offene Plattform für die rechtswidrigen und im Kern terroristischen Äußerungen geboten wird und diese sogar in der Schlagzeile platziert werden“, betont der Botschafter. Er vermisst eine kritische Reaktion des Fragestellers und stellt fest, „dass die Gewaltanwendung gegen ein demokratisch gewähltes ausländisches Staatsoberhaupt somit de facto gutgeheißen wird“. Das stelle „eine grobe Verletzung der journalistischen Ethik und Berufsstandards dar“.

Netschajew fordert n-tv-Chefredakteur Aretz auf, „sich von den rechtswidrigen Äußerungen Wolkows zu distanzieren und die entsprechenden Inhalte zu entfernen“. Zugleich fordert er bei weiteren Beiträgen „etwas mehr Sorgfalt“ ein.

Im Pressekodex des Deutschen Presserates heißt es unter anderem zur Sorgfalt:

Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Grafik sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben. Ihr Sinn darf durch Bearbeitung, Überschrift oder Bildbeschriftung weder entstellt noch verfälscht werden. Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen.

Das wird mit der unhinterfragten Wiedergabe von Wolkows Aussagen zu Putins Person verletzt, ebenso durch die Unterstellungen über dessen politische Ziele wie einen angeblichen Angriff auf Europa. Ebenso wird mit dem Wolkow-Interview gegen Ziffer 9 des Pressekodex verstoßen: „Es widerspricht journalistischer Ethik, mit unangemessenen Darstellungen in Wort und Bild Menschen in ihrer Ehre zu verletzen.“

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Das Interview und die ihm vorangestellte Überschrift ohne jegliche Einordnung verstoßen zudem gegen die Regeln des journalistischen Anstandes. Das ist mit dem Recht auf Meinungsfreiheit nicht zu begründen. Was sich der Sender n-tv, der zu RTL-Gruppe und damit zum Bertelsmann-Konzern gehört, da geleistet hat, ist durch nichts zu rechtfertigen. Es reiht sich zugleich in die Hetze gegen Russland und seine führenden Politiker ein, die nicht erst mit dem 24. Februar 2022 begann. Es ist übelste Stimmungsmache und verbale Kriegstreiberei. Und das in einer Zeit, in der die Kriegsgefahr zunehmend herbeigeredet wird und zugleich durch eine Politik befördert wird, die die Konfrontation sucht statt Kooperation und Wege zum Frieden.

Mindestens eine Entschuldigung gegenüber dem Botschafter Russlands wäre angebracht. Ob sich die Chefredaktion des Senders einsichtig zeigt, ist eher nicht zu erwarten. Bisher ist keine Reaktion von Aretz bekannt. Angesichts der grassierenden Russophobie in Politik und Medien ist zu befürchten, dass diese auch ganz ausbleibt. Die Bundesregierung, die laut Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) Russland ruinieren will, macht es vor. Die deutschen Mainstreammedien folgen treu dem Kurs, der, statt den Frieden zu fördern, Konflikte verschärft und die Gefahr einer lang andauernden Konfrontation mit Russland zum Schaden Deutschlands befördert.

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