Medien heizen den syrischen Konflikt an
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Von SEBASTIAN RANGE, 7. Juli 2012 –
Die Medienberichterstattung der vergangenen Tage und Wochen lieferte erneut eine Fülle von Beispielen für die Dämonisierung des syrischen Staatsoberhauptes Baschar al-Assad. In moralischen Kategorien wurde der schwelende Bürgerkrieg als ein Kampf zwischen „Gut“ und „Böse“ dargestellt. Diese Art des Journalismus löst nicht nur sukzessive die Grenzen zwischen objektiver Berichterstattung und blinder Parteinahme auf. Vielmehr greift er selbst zur Waffe: Einer der effektivsten, die der moderne Krieg bereithält – der Propaganda.
So titelte zum Beispiel die Welt mit Bezug auf ein Interview, das der syrische Präsident nach dem Abschuss eines türkischen Kampfflugzeuges durch die syrische Armee der türkischen Zeitung Cumhuriyet gegeben hatte: „Assad provoziert Ärger“. (1) Tatsächlich war Assad in dem Gespräch um Schadensbegrenzung bemüht und versicherte, er bedauere den Einsatz der Luftabwehr. Er werde nicht zulassen, dass die Spannungen zwischen der Türkei und Syrien zu einem offenen Krieg führen, der beiden Seiten nur schaden würde. Er betonte, es gebe keinen Streit zwischen den Völkern der beiden Länder, sondern nur zwischen deren Regierungen.
„Wir haben erst nach dem Abschuss erfahren, dass es (das Flugzeug, Anm. Red.) zur Türkei gehörte. Hundertprozentig sage ich: ‚Hätten wir es nur nicht abgeschossen‘“, zitierte das türkische Blatt den syrischen Machthaber. Das syrische Radarsystem hätte die türkische F4-Phantom nicht erfasst, da diese zu niedrig geflogen sei. Sie habe zudem einen Korridor benutzt, über den bereits mehrfach israelische Flugzeuge in den syrischen Luftraum eingedrungen seien, führte Assad zur Begründung an.
Warum ist die deeskalierende Erklärung des Bedauerns Anlass zu „Provokation“ und „Ärger“? Die Welt klärt auf: Assad hatte das Interview einer oppositionellen Zeitung gegeben. Es sei daher ein „kodierter Aufruf an die Reste der kemalistischen Machtelite“, „doch endlich etwas gegen Erdogan zu unternehmen“. Damit interpretiert das Springer-Blatt den Versuch der Versöhnung zu einem feindlichen Akt um. (2)
Verfolgt man hingegen kritische Stimmen, sind die Rollen, wenn es um feindliche Akte geht, anders verteilt. Es ist belegt, dass sich die türkische Regierung – recht unverhohlen – seit nunmehr über einem Jahr an Aggressionen gegen das arabische Nachbarland beteiligt und quasi einen „Krieg niedriger Intensität“ unterstützt. Die Kämpfer der sogenannten Freien Syrischen Armee unterhalten in der Türkei Rekrutierungsstellen sowie ihren Hauptsitz, werden dort ausgebildet und können ungehindert Waffen über die Grenze nach Syrien bringen – und dabei auf die finanzielle und logistische Hilfe der führenden Staaten der „Freunde Syriens“ zählen. Während die US-Senatoren John McCain und Joe Lieberman um die Welt reisen, sich mit Vertretern der Freien Syrischen Armee treffen und für deren Bewaffnung eintreten (3), schmuggeln, laut einem Bericht der New York Times, CIA-Agenten in Zusammenarbeit mit den Muslimbrüdern Waffen über die Türkei nach Syrien, die von Saudi-Arabien, Katar und der Türkei finanziert werden. (4)
Klinischer Befund: Verfolgungswahn
Obwohl die Einmischung ausländischer Mächte in die innersyrischen Angelegenheiten augenfällig ist und von diesen auch – wie beispielsweise die millionenschwere Finanzierung der „Rebellen“ (5) – eingestanden wird, attestierte kürzlich der Focus Baschar al-Assad „Verfolgungswahn“, weil er „dem Westen auch konkrete Unterstützung der syrischen Rebellen“ vorwirft und eine „Einmischung fürchtet“. (6) Die hier betriebene Pathologisierung offenbart weniger die Charakterzüge des syrischen Präsidenten als vielmehr den methodischen Charakter einer Dämonisierungs-Kampagne der Massenmedien.
Eine Kampagne, die ausgerechnet durch den Abschuss des türkischen Kampfjets unterminiert wurde: Zunächst wirkte die syrische Militäraktion wie ins Feuer der Anschuldigungen gegen Damaskus gegossenes Öl. Mit diplomatischer Zurückhaltung war es nun gänzlich vorbei. Offen rief der türkische Präsident zum Sturz seines syrischen Amtskollegen auf. Erdogan sprach von einem kriegerischen Akt – von Assad befehligt –, kündigte Vergeltungsmaßnahmen an und trommelte die NATO-Partner zusammen. In ersten Medienberichten wurde Assads Regierung wieder als die unberechenbare Achsenmacht des Bösen dargestellt, der Präsident als kriegslüsterner Despot, der erst schießen lässt und dann nachfragt.
Doch die Krisensitzung der NATO dürfte sich für den türkischen Präsidenten und seine Absicht, die Partner zu einer gemeinsamen militärischen Intervention zu drängen, als Misserfolg erwiesen haben. Denn der türkischen Darstellung, derzufolge sich der Abschuss des Kampfjets über internationalen Gewässern ereignet haben soll, wurde im Unterschied zu den öffentlichen Verlautbarungen intern offenbar kein Glauben geschenkt. Stattdessen wolle man der Frage nachgehen, ob es „in Wirklichkeit nicht um einen Versuch gegangen sei, die Reaktionen der syrischen Luftabwehr zu testen“. (7)
Auch russische Verteidigungskreise bewerteten die Aktionen des türkischen Flugzeugs „eindeutig“ als „Provokation“, so die Nachrichtenagentur dpa. Die Piloten der F4-Phantom hätten die Kampfbereitschaft der syrischen Luftabwehr testen und die Stärke des Küstenschutzes ausspionieren wollen. Außenminister Sergej Lawrow hatte vor Kurzem angekündigt, Russland verfüge über „objektive Daten“ des Fluges.
Der Abschuss des türkischen Kampfjets entpuppte sich zusehends als PR-Desaster für die Assad-Gegner und jene Medien, die, wie etwa der Spiegel, schon seit Langem mit einer weitgehend einseitigen Berichterstattung gegen Syriens Regierung Front machen. Der vermeintliche Aggressor erschien nun als der Besonnene, der eigene NATO-Bündnispartner hingegen als Provokateur und Lügner.
Fußballstadien, Schulen, Krankenhäuser – Folter allerorten
Wie gerufen kam da Anfang der Woche die Veröffentlichung eines Berichts der US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW), der sich mit der Folterpraxis staatlicher Stellen in Syrien beschäftigt. In dem HRW-Bericht werden 27 Folterstätten anhand der Aussagen von 200 Befragten identifiziert, doch sei deren Anzahl, so heißt es, „wahrscheinlich viel höher“. (8)
Genaue Zahlen dazu enthält der Bericht nicht. Die lieferte jedoch umgehend der Direktor von HRW-Deutschland, Wenzel Michalski, nach: „Wir gehen von Tausenden (Foltergefängnissen, Anm. Red.) aus“, sagte er gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Worauf diese Hochrechnung basiert, erfährt die Öffentlichkeit nicht – nur dass in den tausenden Gefängnissen Platzmangel herrschen muss. Zumindest laut Spiegel-online. Das Magazin schreibt unter der reißerischen Überschrift „Hier foltern Assads Agenten“: „Experten gehen jedoch davon aus, dass die tatsächliche Zahl der Verhaftungen deutlich höher ist und eher in den Hunderttausenden liegt. Aus Platzmangel dienen längst Fußballstadien, Schulen und Krankenhäuser als Kerker. Von dort werden Gefangene dann zum Verhör in die Geheimdienstzentralen gebracht, berichtet HRW.“ (9)
Die transportierte Botschaft ist nicht einfach die, dass in Syrien gefoltert wird. Das war schon lange bekannt, Folter ist leider eher die Regel als die Ausnahme in fast sämtlichen Staaten der Region. Was Syrien heraushebt, so die Kernaussage des Spiegel, sei das schiere Ausmaß, in dem gefoltert wird. Um diese Aussage zu untermauern, werden Behauptungen des HRW-Berichtes falsch dargestellt. Denn dort heißt es etwa in Bezug auf die angesprochenen Stadien:
„Um die Festnahmen tausender Menschen im Zusammenhang mit Anti-Regierungs-Demonstrationen zu ermöglichen, richtete die Obrigkeit vorübergehend zahlreiche inoffizielle ‚Auffangbecken’ (holding centres) an Orten wie Stadien, Militäranlagen, Schulen und Krankenhäusern ein.“ (10)
Fußballstadien wurden demnach weder als „Kerker“ im eigentlichen Sinne genutzt noch weil in den „echten“ Kerkern Platzmangel herrschte. Sie wurden vorübergehend als „holding center“ eingerichtet, wenn es bei Demonstrationen zu Massenfestnahmen kam. In der deutschen Polizeisprache nennen sich solche temporären Einrichtungen „Gefangenensammelstelle“. Und im HRW-Bericht ist auch nirgends die Rede von hunderttausenden Verhafteten.
Dem Leser des Spiegel-Artikels muss sich der Eindruck aufdrängen, in Syrien würden hunderttausende Menschen in öffentlichen Gebäuden wie Stadien, Schulen und Krankenhäusern inhaftiert und gefoltert. Ein solches Ausmaß staatlicher Gewalt wäre tatsächlich selbst für die unmenschlichsten Regime in der arabischen Region herausragend.
Herausragend, aber nicht neu, ist die Anschuldigung, Fußballstadien seien zu Gefängnissen umfunktioniert worden. „Die syrische Regierung hält nach Einschätzung eines prominenten Menschenrechtlers mehr als 30.000 politische Gefangene fest. Präsident Baschar al-Assad habe sämtliche großen Fußballstadien des Landes in Gefängnisse umgewandelt, sagte Radwan Ziadeh vom Damaskus-Zentrum für Menschenrechte in New York“, hieß es bereits am 25. Oktober 2011 auf einer deutschen Nachrichtenseite. (11)
Die ARD-Tagesschau präzisierte damals die Orte des Schreckens: „Das Al-Faihaa-Stadion in Damaskus, das Assad-Stadion in Latakia und das Hauptstadion in Daraa dienten zur Unterbringung tausender Häftlinge.“ (12)
„Die Regierung habe deshalb sogar die aktuelle Meisterschaft abgesagt“, schrieb die ZEIT. Und weiter: „Ziadeh ergänzte, das Scheitern einer Syrien-kritischen UN-Resolution im Sicherheitsrat habe die Assad-Gegner verzweifelter gemacht. Sie seien jetzt eher bereit, Waffen für die Verteidigung gegen die Einsatzkräfte einzusetzen.“ (13)
Die Meldung über als Gefängnisse dienende Stadien wurde demnach von dem Exil-Syrer Ziadeh mit einer Botschaft an die „internationale Staatengemeinschaft“ verknüpft: Geht ihr nicht härter gegen Assad vor, werden seine Gegner in Syrien verstärkt zu den Waffen greifen. Wollt ihr die Gewalt in Syrien stoppen, müsst ihr härter gegen Assad vorgehen.
Es erscheint, als diene die in die Welt gesetzte Behauptung über die Fußballstadien auch – oder vor allem – einem politischen Zweck. Zudem ist ihr Wahrheitsgehalt grundsätzlich fragwürdig. In der Tat fanden Ende Oktober keine Fußballspiele der „aktuellen Meisterschaft“ mehr statt – weil die Saison zu Ende war. Die neue Spielrunde wurde zwei Wochen später eröffnet. (14) Auch im al-Faihaa-Stadion in Damaskus wurde wieder gespielt. (15) Demnach müssten in diesen zwei Wochen tausende Häftlinge aus den Stadien abtransportiert worden sein. Und obwohl kurz zuvor die Aufmerksamkeit der Staatengemeinschaft und der Weltpresse auf diese Orte gelenkt wurde, gibt es keinerlei Aufnahmen des Abtransports? Möglicherweise wurden die Inhaftieren ohne viel Aufsehens vereinzelt und nach und nach weggeschafft. Dennoch, wenn Fußballstadien aufgrund Platzmangels als Kerker dienen, wie Spiegel-online behauptet, und dies „längst“ der Fall ist – laut den Medienberichten mindestens seit Oktober vergangenen Jahres –, dann drängt sich die Frage auf: Warum gibt es davon keine Luftaufnahmen, wo doch die USA per Satellit selbst nach Erdlöchern suchen, die Artilleriegeschosse des syrischen Militärs hinterlassen haben? (16) Würden sie so eine willkommene Gelegenheit einfach ungenutzt lassen, wenn es darum geht, den internationalen Druck auf Assad zu erhöhen und die Weltöffentlichkeit von einer militärischen Intervention zu überzeugen?
Eine Lehre aus der Geschichte
Es ist noch nicht sehr lange her, da diente schon einmal die Behauptung, ein Fußballstadion sei zu einem Konzentrationslager zweckentfremdet worden, der Legitimation eines militärischen Eingreifens:
„Priština, die Hauptstadt des Kosovo, war Schauplatz einer perfiden Propagandageschichte: Im Mittelpunkt stand das Fußballstadion. (…) (Dort, Anm. Red.) sollen die Serben ein KZ für Kosovo-Albaner betrieben haben – ganz nach Nazi-Manier. Mit dieser Behauptung ging (der damalige Verteidigungsminister, Anm. Red.) Rudolf Scharping im April 1999 an die Öffentlichkeit“, heißt es in einer zwei Jahre später ausgestrahlten WDR-Dokumentation („Es begann mit einer Lüge“, 2001). (17)
In dem Film wird Scharpings Aussage vom 28. März 1999 dem Publikum in Erinnerung gerufen: „Wenn ich höre, dass im Norden von Pristina ein Konzentrationslager eingerichtet wird, wenn ich höre, dass man die Eltern und die Lehrer von Kindern zusammentreibt und die Lehrer vor den Augen der Kinder erschießt, wenn ich höre, dass man in Priština die serbische Bevölkerung auffordert, ein großes ‚S‘ auf die Türen zu malen, damit sie bei den Säuberungen nicht betroffen sind, dann ist da etwas im Gange, wo kein zivilisierter Europäer mehr die Augen zumachen darf, außer er wollte in die Fratze der eigenen Geschichte schauen.“
Doch, so die WDR-Dokumentation, „das ,S‘ zum Schutz der Serben hat in Priština auf keiner einzigen Tür geprangt. Auch nicht in den Katakomben unter den Stadiontribünen, wo Serben das KZ betrieben haben sollen. Hierher hat sich höchstens mal ein Weitschuss der Fußballjugend verirrt“, stellten die Autoren der Sendung bei ihrer Recherche fest. Ihr Fazit: „Das Fußballstadion von Priština – ein Konzentrationslager, wie Rudolf Scharping es vollmundig verkündet hatte? Im besten Fall gutgläubig weitergetragene Propaganda, wahrscheinlich aber schlicht eine frei erfundene Gräuelgeschichte.“
Frei erfunden – aber zielführend in der Wirkung. Im Fall Syrien könnte es ähnlich sein. Nicht nur wegen fehlender objektiver Beweise.
Radwan Ziadeh – der prominente Menschenrechtskrieger
Denn Radwan Ziadeh, der die Geschichte der syrischen Variante der Folterstadien in die Welt setzte, ist keinesfalls nur ein „prominenter Menschenrechtler“ und der Mitbegründer des Damaskus-Zentrum für Menschenrechte, wie er in den Medien seinerzeit präsentiert wurde. Er ist auch ein führendes Mitglied des Syrian National Council (SNC) und somit Vertreter einer am Konflikt beteiligten Partei. Einer Partei, die mit den Kämpfern der Freien Syrischen Armee zusammenarbeitet, auf deren Konto selbst viele Menschenrechtsverbrechen gehen – Human Rights Watch kam nicht umhin, zumindest jene anzuprangern, die die Kämpfer selbst auf Video gebannt und anschließend ins Internet gestellt hatten. (18)
Anfang des Jahres wurde Ziadeh „Direktor für auswärtige Beziehungen“ des SNC. Und der Menschenrechtsaktivist lässt seitdem kaum eine Gelegenheit aus, an der Gewaltspirale zu drehen. Seit einem halben Jahr fordert er öffentlich die Bewaffnung der Rebellen. (19) Und auch eine militärische Intervention des Auslands. (20)
Mitte Februar dieses Jahres unterschrieb er – als einziger Syrer – einen offenen Brief, in dem Obama zu einer Intervention in dem arabischen Land gedrängt wird. Die rund 50 Mitunterzeichner gehören dem harten Kern der US-Neokonservativen an. Darunter Paul Bremer, William Kristol, Michael Ledeen, Robert McFarlane, Karl Rove, James Woolsey und Dov Zakheim. (21)
Russland, das sich gegen eine Intervention sperrt, sei „Komplize“ der „Schlächtereien“ des Assad-Regimes, schrieb der in den USA lebende Ziadeh in der New York Times Ende Juni 2012. (22)
Assad verstehe ohnehin nur die Sprache der Gewalt, ist Ziadeh schon lange überzeugt. (23) Wer diese hingegen tatsächlich vorbildlich zu sprechen wusste, war die Terrortruppe UÇK („Befreiungsarmee des Kosovo“), die in ihrem antiserbischen Kampf im Frühling 1999 von der NATO mit Bombenangriffen unterstützt wurde. Entsprechend nimmt sich Ziadeh die albanischen Kämpfer zum Vorbild. „Kosovo zeigt, wie der Westen in Syrien intervenieren kann“, lautet die Überschrift eines von ihm für die Financial Times verfassten Artikels von Mitte Februar. (24) Der Freien Syrischen Armee komme dabei dieselbe Rolle zu wie seinerzeit der UÇK. (25) FOX News zitierte Ende April syrische Aktivisten, die in den Kosovo gefahren waren, mit den Worten: „Wir sind hier, um zu lernen.“ (26)
Auf das Konto der UÇK ging unter anderem die Mär von dem Stadion in Priština, das zu einem Konzentrationslager umfunktioniert worden sei. Als Angehöriger einer Kriegspartei – dazu noch einer mit solch zwielichtigen Lehrmeistern – müssen Ziadehs Aussagen über die zweckentfremdeten Fußballstadien in Syrien daher grundsätzlich unter den Vorbehalt der Propaganda gestellt werden. Was nicht ihre Unwahrheit beweist, jedoch ihre vorbehaltlose und ungeprüfte Übernahme verbietet.
Sprache der Eskalation
Unter Vorbehalt muss auch die Behauptung von Wenzel Michalski, dem Direktor von HWR-Deutschland, gesehen werden, es gebe tausende Foltergefängnisse in Syrien. Peter Strutynski von der AG Friedensforschung der Universität Kassel wunderte sich über die „Kühnheit“, mit der die Dunkelziffer der Foltergefängnisse von einer gesicherten Basis von 27 auf Tausende hochgerechnet wurde.
Neben weiteren methodischen Mängeln der HWR-Folter-Studie – fehlendes Fotomaterial von Folterspuren als Beweismittel, Anonymisierung auch von ins Ausland geflohenen Zeugen und eine generell dürftige Datenbasis – nähre vor allem der Zeitpunkt der Präsentation den „Verdacht, hier habe wieder mal eine Großorganisation in Sachen Menschenrechten ihre Autorität in die Waagschale geworfen, um der Sanktions- und Interventionsschraube eine weitere Drehung hinzuzufügen“. (27)
Kurz vor Weihnachten 2011 wurde Michalski in der Tagesschau gefragt, wie sich die aktuelle Lage in Syrien am treffendsten beschreiben lasse. Der HRW-Direktor fand drastische Worte: „Also es scheint so, als wenn Assad und seine Schergen jetzt noch mal, kurz bevor die Beobachtermission da eintrifft, Tabula rasa machen möchten, und sie versuchen, so viele Oppositionelle wie möglich zu killen.“ (28)
Eine Begriffswahl, die nicht nur die adäquate Distanz vermissen lässt, sondern auch faktisch unbegründet erscheint. Es waren nicht die Taten der „killenden Schergen“, die später zum Aussetzen der UN-Beobachtermission führten. Wie deren Supervisor, Major General Robert Mood, anlässlich der Aussetzung erklärte, habe sich die syrische Regierung zur Gewährleistung der Sicherheit und Bewegungsfreiheit der UN-Bobachter verpflichtet, während er von der Opposition diesbezüglich „keine klare Äußerung“ erhalten habe. Die UN-Beobachter waren zuvor mehrmals angegriffen worden, mutmaßlich aus den Reihen der Assad-Gegner. (29)
Wenn die Geschichte von den Folter-Fußballstadien auf den Aussagen eines „prominenten Menschenrechtlers“ beruht, der sich tatsächlich als „Washingtons lautester Befürworter einer Intervention zum Sturz Assads“ (30) entpuppt, dann ist Skepsis mehr als nur gerechtfertigt. Ebenso gegenüber dem Direktor einer Menschenrechtsorganisation, der sich mittels fragwürdiger sprachlicher Mittel und Behauptungen („tausende Foltergefängnisse“) an der Dämonisierung des vom Westen zum Abschuss freigegebenen Assad-Regimes beteiligt.
Eine Skepsis, die insbesondere einem Leitmedium wie dem Spiegel guttun würde, das kaum eine Gelegenheit auslässt, einseitig Stimmung gegen Assad zu machen. Entsprechend wurde die Behauptung, Fußballstadien dienten als Gefängnisse, auch nicht kritisch überprüft. Stattdessen wurde die Geschichte von dem Hamburger Nachrichtenmagazin begeistert übernommen, angereichert und ausgeschmückt.
Medien als Kriegspartei – Journalisten als Soldaten
Heutzutage werden Kriege nicht journalistisch reportierend begleitet, sondern mit Unterstützung der Medien geführt.
Einer der weiß, wie das geht, ist der ehemalige britische NATO-Sprecher Jamie Shea, der auf Einladungen von PR-Firmen zu Themen wie „Selling a Conflict – the Ultimate PR Challenge“ (Das Verkaufen eines Konflikts – die ultimative Herausforderung für die Öffentlichkeitsarbeit) referiert. (31) Shea fungierte als Sprecher des Militärbündnisses, als es flankiert von einer Lügenkampagne („Hufeisenplan“) 1999 den Luftkrieg gegen Jugoslawien führte. Sheas Motto: „If you don’t have a story, make a story.“ (32) Voll des Lobes war er angesichts der Propagandaleistung der deutschen Regierung: „Nicht nur Minister Scharping, auch Kanzler Schröder und Minister Fischer waren ein großartiges Beispiel für politische Führer, die nicht der öffentlichen Meinung hinterherrennen, sondern diese zu formen verstehen.“ (33)
Die Vertreter der rot-grünen Bundesregierung wussten natürlich, dass insbesondere in Deutschland Berichte von Konzentrationslagern und ethnischen Säuberungen ein solch hohes moralisches Erpressungspotential in sich tragen, dass es kaum einer wagen würde, sie angesichts eines angemahnten akuten Handlungsbedarfs infrage zu stellen.
Der Chef der Programmgruppe Ausland des WDR, Albrecht Reinhardt, resümierte: „In diesem Klima wurden kritische Fragen nach Quellen und Belegen für Massengräber, Massaker, Massenvergewaltigungen, Deportationen und Konzentrationslagern mit derR echtfertigung des Kriegsgegners gleichgesetzt, die vielleicht gefährlichste Entwicklung für den Journalismus, die aus diesem Krieg auf dem Balkan resultiert.“ (34)
Auch NATO-Sprecher Jamie Shea zog hinterher Bilanz: „Kosovo war der erste Medienkrieg. (…) Die Journalisten waren gleichsam Soldaten in dem Sinne, dass sie der Öffentlichkeit erklären mussten, warum dieser Krieg wichtig war. Es gehörte zu meinen Aufgaben, sie zu munitionieren, die Lauterkeit unserer Kriegsmotive und unserer Aktionen zu zeigen.“ (35)
Im Falle Syriens wird nach einem vergleichbaren Szenario operiert. Schon im Vorfeld einer möglichen Militärintervention lassen sich Journalisten als treue Soldaten rekrutieren. Das moralische Postulat, mit dem gerade sie ihre Berichterstattung propagandistisch ausschmücken, stellen sie kurzerhand für ihr eigenes Handeln auf den Kopf.
Anmerkungen und Quellen:
(1) Das vollständige Interview in englischer Sprache: http://sana.sy/eng/21/2012/07/03/429127.htm
(8) HRW-Bericht, http://www.hrw.org/reports/2012/07/03/torture-archipelago-0
(10) Originalwortlaut: „To manage the thousands of people detained in the context of anti-government demonstrations, the authorities also established numerous temporary unofficial holding centres in places such as stadiums, military bases, schools, and hospitals…“.
(12) http://www.tagesschau.de/ausland/syrien806.html
(13) http://www.zeit.de/politik/ausland/2011-10/syrien-amnesty-folter
(14) http://www.syrian-soccer.com/?page=show_det&select_page=1&id=5705
(15) http://www.syrian-soccer.com/?page=show_det&select_page=1&id=5708
(17) http://www.ag-friedensforschung.de/themen/NATO-Krieg/ard-sendung.html
(19) http://www.bbc.co.uk/news/world-middle-east-17161873
(20) http://www.aljazeera.com/news/middleeast/2012/04/20124298045193890.html/
(23) http://www.aljazeera.com/news/middleeast/2012/04/20124298045193890.html/
(24) http://www.ft.com/cms/s/0/745bf824-5701-11e1-be5e-00144feabdc0.html#axzz1zmrbixJb
(25) http://www.tnr.com/article/world/101941/syria-serbia-yugoslavia-bosnia-assad-milosevic
(26) http://www.foxnews.com/world/2012/04/26/syrian-opposition-activists-ask-kosovo-for-advice/
(27) http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Syrien/hrw-stru.html
(28) http://www.tagesschau.de/ausland/syrien954.html
(29) http://news.xinhuanet.com/english/world/2012-06/20/c_131664193.htm
(30) http://www.salon.com/2012/04/17/syrian_rebels_man_in_d_c/
(31) Standard vom 17. 4. 2000, Nachdruck: www.friwe.at/jugoslawien/archiv/verkaufen.rtf
(32) ebd.
(33) http://www.ag-friedensforschung.de/themen/NATO-Krieg/ard-sendung.html
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(34) „Der Krieg und ein fauler Frieden“, ARD-Dokumentation vom 29.10.1999,
zitiert nach Jens Wernicke, „Manipulationsstrategien in Frieden und Krieg“, http://www.medienverantwortung.de/wp-content/uploads/2009/07/Wernicke_Forschungsarbeit-Feindschaft.pdf
(35) „Menschen machen Medien“, Zeitschrift der IG Medien; Nr. 7 Juli 1999, zitiert nach Jens Wernicke, „Manipulationsstrategien in Frieden und Krieg“, http://www.medienverantwortung.de/wp-content/uploads/2009/07/Wernicke_Forschungsarbeit-Feindschaft.pdf