Inszenierter Antisemitismus-Skandal. Julian Assange in der Zange der Boulevardmedien
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Von REDAKTION, 2. März 2011 –
Erst soll er Frauen vergewaltigt haben, nun wirft man ihm antisemitische Äußerungen vor. Auch die jüngsten Anschuldigungen, die in der Boulevard-Presse gegen Julian Assange erhoben werden, riechen nach einer politisch gesteuerten Schmutzkampagne.
Denn nicht etwa eine öffentliche Wortmeldung des Wikileaks-Gründers wird zum Beleg des schwerwiegenden Vorwurfs herangezogen, sondern Aussagen eines britischen Journalisten über ein Telefongespräch, dass er mit Assange am 16. Februar geführt haben will.
Der Ablauf des Gesprächs stellt sich nach einem Bericht der New York Times vom Dienstag wie folgt dar: Assange habe sich telefonisch beim Chefredakteur des britischen Satire-Magazins Private Eye, Ian Hislop, darüber beschwert, dass die Zeitschrift den russischen Assange-Verbündeten Israel Schamir in einem Artikel als Holocaust-Leugner bezeichnete.
In diesem Zusammenhang soll sich Assange über eine „jüdische Verschwörung“ gegen ihn und seine Internetplattform beklagt haben, in die unter anderem Journalisten des britischen The Guardian verwickelt sein sollen. (1)
Während Assange selbst die Vorwürfe via Twitter umgehend als „frei erfunden“ dementierte, sind sie insbesondere für die Boulevardmedien ein gefundenes Fressen. Sie erhoben Mutmaßungen und Spekulationen über den tatsächlichen Inhalt des gar nicht öffentlichen Telefonats zu Tatsachenbehauptungen, mit denen Assange nun als neu entdeckter Antisemit öffentlich diskreditiert erscheint.
So schrieb die Bild-Zeitung ohne eine nachvollziehbare Prüfung des Sachverhalts von „waghalsigen Vermutungen“, die Assange geäußert habe. (2) Die österreichische Kronenzeitung beschrieb das Telefonat letztlich ungeklärten Inhalts als eine „Tirade“ des gebürtigen Australiers „über eine angebliche Verschwörung gegen ihn und seine Organisation“. Der 39-Jährige habe sich dabei in ein ganz neues Fahrwasser begeben. „Er beschwerte sich per Telefon über ein Komplott jüdischer Journalisten gegen ihn.“ (3)
Fest steht jedoch, dass in dem Sachverhalt Aussage gegen Aussage steht und Assange gegenüber der New York Times betonte: „Wir schätzen den starken Rückhalt von jüdischen wie auch arabischen Unterstützern“.
Am Donnerstag vergangener Woche hatte ein Londoner Gericht grünes Licht für die Auslieferung von Julian Assange nach Schweden gegeben. Er wird beschuldigt, dort Sexualdelikte begangen zu haben, was dieser jedoch abstreitet. Assange kann gegen die Gerichtsentscheidung Berufung einlegen. Die Frist dafür läuft an diesem Donnerstag aus. Der Netzaktivist befürchtet, im Fall einer Auslieferung nach Schweden an die US-Behörden überstellt zu werden. In den USA, fürchten Assanges Anwälte, muss ihr Klient im schlimmsten Fall mit der Todesstrafe rechnen. (4)
(1) http://www.nytimes.com/2011/03/02/world/europe/02assange.html?_r=1&scp=1&sq=assange&st=cse
(2) http://www.bild.de/BILD/politik/2011/03/02/wikileaks-chef-julian-assange-sieht-sich/als-opfer-juedischer-verschwoerung.html
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(3) http://www.krone.at/Welt/Assange_wittert_Verschwoerung_juedischer_Reporter-Juden-Sache-Story-248832
(4) http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/632066/Julian-Assange-fuerchtet-Todesstrafe-in-USA