Freiheit durch Bombenterror: Die Zeit plädiert für Furcht und Schrecken als neues außenpolitisches Prinzip
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Von THOMAS WAGNER, 26. August 2011 –
Es ist ein Leitartikel von geradezu atemberaubendem Zynismus, mit dem die einflussreichste deutsche Wochenzeitung ihre Leser in der aktuellen Ausgabe (Nr. 35, 2011, 25.08.2011) ein weltweites Schreckensregime der westlichen Staaten schmackhaft zu machen versucht. Indem sie „faktisch als Luftstreitkraft der Rebellenbewegung agierte“, habe die NATO in Libyen „ein Zeichen gegen den ‚Kampf der Kulturen’ gesetzt“, heißt es dort unter dem Titel „Der Weg ist frei“. Materielle Interessen hätten dabei keine Rolle gespielt, aber die Aufständischen würden sich in Zukunft sicher erkenntlich zeigen: „Wenn sie eines Tages in einem besseren Libyen leben, werden sie sich der fremden Hilfe dankbar erinnern, aber frei von fremder Bevormundung sein“, glaubt der Autor Jan Ross seinen Lesern tatsächlich weismachen zu können.
In einem Punkt hat er freilich recht. Bei dieser und den anderen Militärinterventionen des Westens geht es nicht um einen Kreuzzug gegen den Islam. Die Zielsetzung ist viel umfassender. Es geht letztlich darum, jederzeit und an jedem beliebigen Ort in der Welt die Interessen der USA und ihrer Verbündeten mit der Androhung oder Ausübung von Gewalt durchsetzen zu können.
Die Botschaft an alle Regierungen, die den Interessen der militärischen Übermächtigen in die Quere kommen lautet: „Sie können nicht ausschließen, dass eines Tages, wenn sie es zu schlimm treiben, doch die Bomber kommen. Schon dieses drohende ‚Vielleicht’ ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer zivilisierten Weltordnung“, meint der Schreibtischstratege.
Dabei ist die Religionszugehörigkeit der betroffenen Regierungen oder der Charakter des politischen Systems von nachrangiger Bedeutung. Zu den unliebsamen Störfaktoren der Weltpolitik zählt Ross neben den Regierungen des kleinen Kuba und des großen China auch den Präsidenten Venezuelas, Hugo Chavez, der in seinem Land ein beispielloses Demokratisierungsprojekt angeschoben hat.
Als Vorwand für künftige Militärinterventionen reichen dann schon Spekulationen über Verbrechen, zu denen ein missliebiger Staatschef fähig sein könnte. So heißt es bei Ross, dass Gaddafi „zu äußerster Brutalität, zum Massaker am eigenen Volk bereit war“. Mit der Suggestion, dass der libysche Politiker eben solche bereits beginge, war die Flugverbotszone zum Schutz der libyschen Bevölkerung von den Vereinten Nationen beschlossen worden. Dass es nicht darum ging, sondern um den völkerrechtswidrigen gewaltsamen Sturz eines unbequemen Machthabers durch die überlegene militärische Feuerkraft von alliierten Fremdmächten, stellte sich bald heraus. Spekulationen über Massaker des Gaddafiregimes konnten nicht bestätigt werden. Das war im Fortgang des militärischen Konflikts dann auch nicht mehr nötig.
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Heute nimmt das Gros der ach so kritischen und unabhängigen deutschen Medien keinen Anstoß daran, dass die NATO keineswegs die Zivilbevölkerung schützt, sondern mit ihren Bombardements auf die Gaddafi-Getreuen in der Luft und am Boden selbst ein todbringendes Schreckensregime etabliert hat.
Das offenkundige Hauptziel der westlichen Kriegsideologen ist nicht der Kampf gegen den Islam, sondern die Außerkraftsetzung des Selbstbestimmungsrechts der Völker. Willkommen im Zeitalter des neuen Kolonialismus!