Eine angebliche Bin Laden-Drohung in angeblich seriösen Medien
Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.
– Ein Kommentar –
Von MARKUS JANSOHN, 27. März 2008:
Die Berichterstattung über die zu Ostern angeblich aufgetauchten Al Qaida-Drohungen ist typisch für das Verhalten der Mainstream-Medien. So wird etwa im Tagesspiegel am Anfang eines Artikels über die angebliche österliche Drohung Bin Ladens zumindest darauf hingewiesen, daß man nicht sicher sein kann, daß diese Drohung tatsächlich von einem Menschen namens Bin Laden oder einer Gruppierung namens Al Qaida stammt: „Zur Echtheit der Botschaft gab es zunächst keine unabhängigen Angaben“, um dann fortzufahren: „Bin Laden rief in der neuen Botschaft die Bewohner Syriens, Jordaniens, Libanons, Israels sowie die Bewohner der palästinensischen Gebiete dazu auf, die Krieger im Irak zu unterstützen“. (1)
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Bei der ersten angeblichen Al Qaida-Drohung zum Osterfest handelt es sich um eine Audioaufnahme, die aus dem Off zu hören ist, während ein Mann, der Bin Laden ähnlich sieht, auf einem Foto mit Sturmgewehr gezeigt wird. Solche Audio-Bänder sind mit der heutigen Technik mit Software zur Stimmimitation (Voice-/Vocal-Imitation-Software) sogar auf der Grundlage der echten Stimme Bin Ladens herstellbar. Deshalb ist es nun sicher kein Beleg für die Echtheit der Sprachaufnahme, wenn Zeitungen wie Die Presse aus Österreich einen Geheimdienstmitarbeiter mit „Die CIA sei überzeugt, daß es sich um die Stimme Osama Bin Ladens handele“ zitieren. (2)
Ohnehin verfolgen für gewöhnlich Geheimdienste bei Hinweisen an die Medien primär eigene Interessen. Doch schauen wir uns die Berichterstattung weiterer Medien des Mainstreams an:
Spiegel Online schreibt: „angeblich zu hören: der al-Qaida-Chef selbst“. „Angeblich“, heißt es in der Meldung. Doch die Überschrift desselben Artikels gibt vor, über sicheres Wissen zu verfügen: „Bin Laden droht Europa mit Vergeltung“. Die Aufnahme erschien laut Spiegel online „auf einer Website, die bereits in der Vergangenheit Stellungnahmen von al-Qaida veröffentlichte“ und „Die Ansprache ist mit englischen Untertiteln versehen“. (3)
In der Herald Tribune kann man lesen: „The audio message … was addressed to the intelligent ones in the European Union”, as transcribed into English by the Site Intelligence Group in Bethesda, Maryland. (4)
Entdeckt haben soll die Audio-Aufnahme, je nach Quelle, das US-Institut SITE, was wohl das SITE-Institute in Washington sein soll, oder die SITE Intelligence Group in Maryland. Kommentiert wurde das Video von einem gewissen Adam Raisman, der laut Medien für das SITE-Institute in Washington Analysen anfertigt. Das Merkwürdige ist nur, daß das SITE-Institute in Washington seine Arbeit bereits vor geraumer Zeit eingestellt hat, wie Hintergrund bereits am 20. März berichtete, und das dies den großen Nachrichten-Agenturen wie AP, AFP, dpa oder Reuters nicht weiter aufgefallen ist.
Für die Echtheit der Tonaufnahme soll dann noch ein gewisser Ben Venzke bürgen, der Chef von IntelCenter. Was die Medien nicht wissen oder nicht verraten: Das IntelCenter arbeitet nach eigenen Angaben vornehmlich für das Militär, Strafverfolgungsbehörden und Geheimdienste. Dies kann man auf der Webseite dieser Einrichtung relativ schnell verifizieren.
Die WAZ machte auf der Grundlage von einer dpa-Meldung – besser wissend oder ihre dünne Faktenlage verschleiernd – ganz allgemein die US-Regierung als Garanten für die Echtheit der Tonband-Drohung aus. (5)
Die Neue Presse in Hannover schreibt einfach: „Die USA halten die Botschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit für echt“ und erklären damit ein ganzes Land zum ‚Experten’ in Sachen Audiotape-Zertifizierung. (6)
Nehmen wir nur einmal an, die Medien gehen wirklich von der Echtheit aus. Warum ist es für eben diese Medien dann so wichtig, den Drohungen von Terroristen medial so viel Gewicht zu geben? Warum legen Medien potentiellen Terroristen sogar zur Untermauerung ihrer Glaubwürdigkeit einen Terroranschlag nahe? So schreibt etwa die in der Schweiz erscheinende SonntagsZeitung: „Die Jihadisten brauchen dringend Publicity, wie sie nur ein spektakulärer Terroranschlag im Westen garantieren könnte. In den USA ist seit dem 11. September 2001 kein Anschlag mehr gelungen.“ (7)
Warum ist es nach der angeblichen Drohung gegenüber dem Vatikan so wichtig gewesen, möglichst breit zu publizieren, daß keine verstärkten Sicherheitsvorkehrungen für das Oberhaupt der katholischen Kirche vorgesehen sind? Wenn man sich in Rom nun intern wirklich für keine verstärkten Sicherheitsmaßnahmen entschieden hat, ist es schon erstaunlich, wenn man potentielle Terroristen über Zeitungen wie die Herald Tribune, explizit auf diese Entscheidung hinweist. (4)
Jedenfalls haben die Medien mit ihrer Berichterstattung zwei Dinge erreicht: Sie haben wieder einmal die Terror-Hysterie angekurbelt. Und sollte es in der nächsten Zeit, von wem auch immer, zu einem Terror-Anschlag in Europa oder den USA kommen oder dort – wie letztes Jahr im Sauerland – ein Anschlag angeblich verhindert werden, steht der Drahtzieher für die Öffentlichkeit bereits fest.
(1) Tagesspiegel online, 20.3.2008, 21:47 Uhr
(2) Die Presse online, 20.3.2008, 15.22 Uhr
(3) Spiegel online, 20.3.2008
(4) Herald Tribune, 21.3. 2008
(5) WAZ, Osterausgabe 2008
(6) Neue Presse, 22. 3.2008
(7) SonntagsZeitung, 23.3.2008, Seite 13