Pressefreiheit

Die Meinungswächter

Wie Medienanstalten, Presserat, Journalistenverband, vermeintlich unabhängige „Faktenchecker“ und regierungsnahe Nichtregierungsorganisationen den Diskursraum mit Unterstützung des Staates eng halten.

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Am Spreeufer in Berlin hat der Künstler Dani Karavan das Werk „Grundgesetz 49“ geschaffen. Hier der Artikel 5.
Foto: Frank Eckhoff, Lizenz: CC BY-ND, Mehr Infos

Etwa ein Jahr war es ruhig um die Landesmedienanstalten und deren „Wächteramt“ über die journalistische Sorgfalt. Nun aber hat es Multipolar getroffen. Angesichts des Mahnschreibens der Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalens veröffentlichen wir diesen Text aus Heft 1-2/2024. Für diese Online-Version wurden lediglich die Zeitangaben angepasst. Übrigens: Das Heft ist über Einzelheftbestellung weiterhin erhältlich.

„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten.“ Dieses Grundrecht wird in Artikel 5 des Grundgesetzes noch ein wenig weiter ausformuliert. Aber kann heute wirklich jeder seine Meinung frei äußern? Jede Meinung? Beleidigung ist verboten, die Leugnung des Holocaust ebenfalls und fast zwei Jahren auch die eines nicht näher definierten Völkermordes. Abseits dieser Einschränkungen soll die Meinungsfreiheit in Deutschland gegeben sein. Meinungswächter, die die herrschenden Narrative gegen Widersprüche verteidigen, gibt es nach diesem Verständnis nicht. Allerdings bedeute Meinungsfreiheit nicht Widerspruchsverbot, so die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel vor vier Jahren in einem Spiegel-Interview.1

Wer eine Meinung sagt, muss mit Gegenreden rechnen. Klar. Mantraartig reagieren die Vertreter des Mainstream auf entsprechende Vorhaltungen. Jeder dürfe doch sagen, was er wolle: „Man kann in Deutschland eigentlich alles sagen. Man muss dann halt manchmal mit Konsequenzen rechnen. Das ist das Einzige, was der eine oder andere manchmal nicht ganz versteht.“ So die ZDF-Moderatorin Dunja Hayali im Januar 2021.

Mit den Konsequenzen aber fängt das Problem an. Mittlerweile wird vielerorts versucht, Auftrittsverbote wegen missliebiger Meinungen durchzusetzen. Vertreter von Staat und Regierung machen oft mit und stellen sich nicht im Geiste des Grundgesetzes dagegen. Dabei sind Grundrechte Abwehrrechte gegen den Staat. Das hat das Bundesverfassungsgericht schon 1958 klargestellt.2 Mittlerweile werden allerdings eine Vielzahl Meinungswächter, die das herrschende Narrativ in Debatten verteidigen, statt echte Diskussionen zuzulassen, aus öffentlichen Mitteln finanziert.

Überwachung der Online-Medien

Da wären zum einen die Landesmedienanstalten. Sie kümmern sich unter anderem um die Zulassung von privaten Rundfunksendern und seit etwa drei Jahren auch um Online-Medien. Laut dem Medienstaatsvertrag, der im November 2020 in Kraft trat, sollen sie dafür sorgen, dass journalistische Sorgfaltspflichten eingehalten werden.3 Die Stoßrichtung ist klar. Es geht gegen „Fake News“ und „Desinformation“. Dafür aber müssen sie selbst klären, was richtig und die Wahrheit ist. Die (wenigen) Fälle, in denen das Verbot der Verbreitung bestimmter Aussagen durchgesetzt wurde, betreffen die wichtigsten Konfliktfelder der Zeit. Es geht um Aussagen zur Corona-Impfung und zum Ukraine-Krieg. Im vergangenen Sommer traf es das Internet-Portal Apolut. Schon der Vorgänger KenFM war von den Landesmedienanstalten in den Fokus genommen worden.4 Das Verfahren endete, nachdem das Medium aufgab. Apolut wurde nun unter anderem untersagt zu behaupten, dass es in der Ukraine keine Opposition gebe und es sich bei der Corona-Impfung um Gentherapie handele.

Dass der Text zur Ukraine auch an anderer Stelle im Netz ohne Beanstandung zu finden ist und der Autor des Corona-Textes als Biologe weiß5, wovon er redet, legt den Schluss nahe, dass es der Landesmedienanstalt vor allem um das Medium selbst geht. Und weil nur Online-Medien sich an die Sorgfaltspflicht zu halten haben und dies von einer Anstalt geprüft wird, die von den Parlamenten gewählt und deren Mitglieder enge Verbindungen zur Exekutive haben, halten Experten wie der Medienanwalt Markus Kompa6 und der Medienrechtler Wolfgang Lent7 den Medienstaatsvertrag für verfassungswidrig. Gerichte haben darüber noch nicht entschieden, die bisher Betroffenen oder ihre Anwälte haben die Klagefristen verstreichen lassen.

Wächter über das Narrativ

Online-Medien, die sich dem Zugriff der Landesmedienanstalten entziehen wollen, können laut Medienstaatsvertrag eine Selbstverpflichtungserklärung gegenüber dem Deutschen Presserat abgeben und müssen eine jährliche Gebühr bezahlen. Dann gilt der Kodex des Presserates für sie, und sie müssen am Beschwerdeverfahren teilnehmen. An dessen Ende steht schlimmstenfalls eine Rüge, die Landesmedienanstalten hingegen verlangen pro verbotenem Artikel derzeit 800 Euro. Der Presserat, eigentlich ein Selbstkontrollorgan von Verlegern und Journalistengewerkschaften, bedeutet also vor allem eine finanzielle Sicherheit. Er selbst bekommt durch diese Verankerung im Medienstaatsvertrag eine neue (lukrative) Funktion – durch den Staat. In den vergangenen drei Jahren haben sich etwa 120 Medien dem Presserat unterworfen, sagte eine Sprecherin gegenüber Hintergrund. Rügen gegen oppositionelle Medien gab es bislang nicht. Stattdessen bekommen es Mainstream-Medien zuweilen mit dem Presserat zu tun, wenn sie dem herrschenden Narrativ widersprechen.

So erhielt der Politikchef der Neuen Osnabrücker Zeitung, Burkhard Ewert, der nunmehr deren Chefredakteur ist, eine Rüge für eine seiner Kolumnen in der Reihe „Rest der Republik“. Der Presserat kritisierte insbesondere den Satz: „Informationen aus russischen Quellen entpuppen sich regelmäßig als zutreffend.“8 Ewert hatte in dem Artikel das Netzwerk Telegram gelobt, weil er sich dort unabhängig informieren könne, und mahnte gleichzeitig zur Vorsicht bei den Informationen. Im gleichen Text kritisierte er viele Medien als parteiisch.

Der Presserat begründet die Rüge wie folgt: „Der Beschwerdeausschuss erkannte in der ungeprüften Übernahme der Telegram-Meldungen jedoch einen massiven Sorgfaltsverstoß nach Ziffer 2 des Pressekodex. Auch in Meinungsbeiträgen müssen die Tatsachen stimmen.“9 Dabei übernimmt Ewert in dem Text gar keine Meldungen ungeprüft, dieser Vorwurf gehe völlig an dem Text vorbei, sagt auch der Münchener Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen zu dem Fall. Ewert beschreibt vielmehr, was er auf Telegram liest, und erklärt die Folgen, wenn die Berichte stimmen würden.

Die Entscheidungen des Presserats über Beschwerden zur Corona-Berichterstattung in den Medien fallen eindeutig aus. So erhielt eine Redaktion selbst für einen Witz einen Hinweis – das ist ein milderes Sanktionsmittel als eine Rüge. In diesem Witz wurde behauptet, die Grippe sei gefährlicher als Corona. „Auch wenn die Äußerung nicht ernst gemeint war, war sie dennoch geeignet, Corona-Leugnern Vorschub zu leisten“, so der Presserat.10 Eine Rüge gab es 2022 für die westfälische Lokalzeitung Die Glocke, in der lokale Experten dem Experten-Mainstream widersprachen. Fünf Ärzte und Apotheker kamen zu Wort. Unter anderem wurde die Corona-Impfung nach Angaben des Presserats als „dramatisches Humanexperiment“ beschrieben und vor Tumorbildungen gewarnt. Dies hielt der Beschwerdeausschuss des Presserats für einen schweren Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht, weil die Veröffentlichung ohne jegliche journalistische Einordnung erfolgt und geeignet sei, „unbegründete Befürchtungen zu wecken“.11 Bei der Durchsicht der Rügen der vergangenen drei Jahre fällt auf, dass das Schüren unbegründeter Ängste vor dem Virus nicht gerügt wurde. Der Presserat wachte über das Narrativ.

Faktenchecker auf Wacht für Regierungen

Zu den Meinungswächtern gehören auch die selbst ernannten Faktenchecker. Sie schauen genau hin, wenn ein Text dem herrschenden Narrativ widerspricht, und sie versuchen, dessen Fakten zu widerlegen. Dabei werden fast ausschließlich Texte aus alternativen, oppositionellen Medien untersucht. Oft wird es kurios, wenn in diesen Faktenchecks Nachwuchsjournalisten „beweisen“, dass Koryphäen wie beispielsweise der renommierte Gesundheitswissenschaftler John Ioannidis „falschliegen“.12 Ein besonders skurriles Beispiel für diese Art der Meinungskontrolle lieferte Anfang des Jahres der Tagesschau-„Faktenchecker“ Pascal Siggelkow. Sein Versuch, Seymour Hershs Recherchen zur Sprengung der Nord-Stream-Pipelines zu widerlegen, ging gründlich daneben. Siggelkow baute seine „Beweisführung“ maßgeblich auf einer Falschübersetzung auf, nach der ein „Sprengstoff in Form von Pflanzen“ genutzt worden sei. Erst nachdem der Text – ohne internen Faktencheck, hingegen mit Bewertung durch einen Experten – online stand, fiel der Unsinn auf.

Der Handelsblatt-Journalist Norbert Häring hat auf seinem Blog viele Beispiele für den kreativen Umgang der Checker mit den Fakten gesammelt. Er schreibt, dass der Fall von Siggelkows Pflanzensprengstoff ein großes Problem der Medienlandschaft deutlich mache, „nämlich dass einige besonders einflussreiche Medien sich einbilden, sie hätten das Recht und die Fähigkeit zu entscheiden, was bei politisch umstrittenen Themen die ›Wahrheit‹ ist, und zwar ihre Sicht der Dinge, die nicht zufällig der Regierungslinie entspricht“.13

Das kommt nicht von ungefähr. Die einen checken die Fakten für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, für deren Staatsnähe hier keine Beweisführung erbracht werden muss. Die anderen – beispielsweise Correctiv oder die Faktenchecker der dpa – sind in Netzwerken aktiv, die von öffentlichen Stellen mindestens mitfinanziert werden. So gibt es seit gut einem Jahr das „German-Austrian Digital Media Observatory“ (GADMO), in dem sich Faktenchecker mit Wissenschaftlern zusammengeschlossen haben. GADMO ist Teil eines EU-weiten Netzwerks, das zumindest die ersten zweieinhalb Jahre aus Brüssel finanziert wird.14

Und wenn nicht die staatlichen Stellen die Faktenchecker bezahlen, dann tun dies die Digitalkonzerne,15 die aufgrund des öffentlichen Drucks und der Gesetzgebung dafür sorgen müssen, dass missliebige Fakten von ihren Plattformen verschwinden. Der Kampf gegen „Fake News“ und „Desinformation“ ist ein EU-weites Zensur- Projekt.16 Michael Andrick, Philosoph und Kolumnist der Berliner Zeitung, die zuweilen aus dem Meinungskorridor ausschert, beschreibt die Faktenchecker wie folgt: „Hier arbeiten selbst ernannte Wahrheitswächter daran, den Diskurs auf den von organisierten Gruppen gewünschten Meinungs- und Faktenkorridor einzuengen. Sie betreiben Sabotage des Pluralismus und der angstfreien öffentlichen Debatte.“17

Gegenmedienanalyse mit Staatsmitteln

Und nicht nur Faktenchecker achten ganz besonders darauf, was die Medien der Gegenöffentlichkeit schreiben. Auch vermeintliche Nichtregierungsorganisationen wie das Zentrum Liberale Moderne (LibMod) der beiden ehemaligen Grünen-Politiker Marieluise Beck und Ralf Fücks kümmern sich um die Meinungen der „anderen“ Seite – mit Mitteln des Staates. Unter der Überschrift „Gegneranalyse“ haben sie sich mit alternativen und oppositionellen Medien wie den NachDenkSeiten, Apolut oder RT DE beschäftigt.18 Für die Analyse der sogenannten „Gegenmedien“ wurde das LibMod mit umfangreichen Staatsmitteln ausgestattet und konnte damit „Verfassungsschutz spielen“, wie Frank Lübberding in der Welt schrieb.19 Die betroffenen Medien wehrten sich mit Recherche. Florian Warweg hat auf den NachDenkSeiten nachgewiesen, dass das LibMod keine Eigen- und Drittmittel für das Projekt einsetzte – dabei waren bei der Ausschreibung für die vorgebliche Demokratieförderung und Extremismusprävention mindestens zehn Prozent davon vorgeschrieben. Da das Projekt auch inhaltlich nicht mit den Förderkriterien übereinstimmte, bezweifelt Warweg, dass es bei der Projekt-Bewilligung durch das von den Grünen geführte Familienministerium mit rechten Dingen zugegangen ist.20

Medienjournalist Lübberding fragt sich derweil, „ob es sich bei der Erstellung solch staatlich subventionierter ‚Schwarzer Listen‘ nicht um einen Eingriff in die Presse- und Meinungsfreiheit handelt – und ob eine Zweckentfremdung öffentlicher Mittel für parteipolitische Ziele der Demokratie nicht Schaden zufügt“. Womit wir wieder am Anfang angekommen wären. Beim Grundgesetz und der Meinungsfreiheit, die der Staat zu schützen und nicht einzugrenzen hat. Auch nicht durch Mittelsleute wie Medienanstalten, Faktenchecker oder regierungsnahe Nichtregierungsorganisationen.

Quellen

1 https://www.spiegel.de/politik/deutschland/angela-merkel-zum-mauerfall-inwestdeutschland-lebten-nicht-nur-mutbolzen-a-1294911.html

2 https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/1958/01/rs19580115_1bvr040051.html

3 https://multipolar-magazin.de/artikel/landesmedienanstalten

4 https://multipolar-magazin.de/artikel/neue-zensurbehorde

5 https://apolut.net/die-landesmedienanstalt-berlin-brandenburg-1984-und-apolutvon-markus-fiedler/

6 Markus Kompa, Staatliche Sperrverfügung gegen Blogger, in: Multimedia und Recht, 4/2022, S. 273-277

7 Wolfgang Lent: Paradigmenwechsel bei den publizistischen Sorgfaltspflichten im Online-Journalismus – Zur Neuregelung des § 19 Medienstaatsvertrag, in: ZUM –Zeitschrift für Urheber und Medienrecht 8/9/2020, S. 593-600

8 https://www.noz.de/deutschland-welt/meinung/artikel/krieg-in-der-ukraine-zumglueck-gibt-es-telegram-44970168; archiviert: https://archive.ph/EGeib

9 https://www.presserat.de/presse-nachrichten-details/ruegen-wegenvorverurteilung-und-verstoessen-gegen-den-opferschutz.html

10 https://www.presserat.de/jahresberichte-statistiken.html?file=files/presserat/bilder/Downloads%20Jahresberichte/Jahresbericht2021-vero%CC%88ffentlicht.pdf&cid=886

11 https://www.presserat.de/presse-nachrichten-details/r%C3%BCgen-f%C3%BCrverst%C3%B6%C3%9Fe-gegen-sorgfaltspflicht-und-opferschutz.html

12 Michael Meyen, Die Propaganda Matrix, München 2021, S. 47

13 https://norberthaering.de/propaganda-zensur/pflanzensprengstoff/

14 https://www.meedia.de/medien/gadmo-nachrichtenagenturen-und-correctivschliessen-sich-zu-faktencheck-allianz-zusammen-d914b68aec247cd14b953fc7a8bb9965

15 https://www.berliner-zeitung.de/news/fakenews-google-und-youtube-zahlenknapp-13-millionen-euro-an-faktenchecker-li.292181

16 Siehe den Beitrag von Hannes Hofbauer in dieser Ausgabe

17 https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/was-tun-faktenchecker-anden-moeglichkeiten-von-wahrheit-sind-sie-nicht-interessiert-li.255165

18 https://gegneranalyse.de/

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