Die mediale Gleichschaltung durch Tagesschau und Talkshows
Nichts und niemand erfüllt den ursprünglichen Wortsinn von „Nachrichten“ so professionell wie unsere Tagesschau. Nachrichten im wortgeschichtlichen Sinn bedeuten Informationen, nach denen man sich richten soll.
Diese Informationen werden von ausgebildeten Journalisten den Wirren des Realen abgerungen und in Wort und Bild übersetzt. Dabei folgen diese Journalisten exakt den präzisen Regeln des Qualitätsjournalismus: der Trennung von Nachricht und Meinung. Dass der Fernseher qualmt, wenn die Gesichter des Bösen erscheinen – also die gerade Most Wanted Feinde des Wertewestens wie Putin, Erdogan oder Xi und Kim –, ist der Sache geschuldet, nicht der journalistischen Bearbeitung. Beim Anblick solcher Figuren spüren wir sofort den Größenwahn, sehen Massenmörder, Kriegsverbrecher und Kindesentführer. Diese Wirkung kann man mit journalistischen Mitteln nicht einfach neutralisieren. So wie man den Ekel vor dem Scheißhaufen nicht durch Erklärungen des Stoffwechsels unterdrückt.
Die Informationen der Tagesschau können nicht mehr bieten als ein „Davon habe ich schon mal gehört“ – wie der frühere Chefredakteur von ARD-aktuell, Kai Gniffke, seine Philosophie des Nachrichtenwesens bescheiden erläuterte.[1] Doch der Tumult des Realen ist kakofon und unermesslich. Es genügt nicht, ihn zu reproduzieren. Damit Nachrichten zu etwas werden, wonach man sich richten kann, muss man eine Auswahl treffen, eine Hierarchie der Bedeutungen schaffen, Kontexte an- oder ausblenden. Und damit was hängen bleibt von dem, wovon man mal was gehört hat, haben sich binäre Codierungen als außerordentlich hilfreich erwiesen: Gut versus Böse, Wahr versus Falsch, Schön versus Hässlich.
Doch niemand macht sich Illusionen, diese säuberlich sortierte Weltordnung erkläre die Welt. Dafür brauchen wir die Talkshows. Da werden die Informationen interpretiert, größere Zusammenhänge erörtert und das Spektrum zugelassener Meinungen definiert. Talkshows sind eine Angelegenheit des journalistischen Ernstfalls. Insofern werden sie vor allem von den öffentlich-rechtlichen Anstalten produziert. Das Privatfernsehen hat sich dieser Aufgabe mittlerweile weitgehend entledigt. Man erinnert sich vielleicht noch an den Maßstäbe setzenden Talk im Turm mit dem unvergleichlich brillenschwenkenden Erich Böhme auf SAT1 gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts. Die Öffentlich-Rechtlichen pflegten damals noch Talkshows als Unterhaltungsgenre zu betrachten. Und aus den reichen Töpfen der Unterhaltungsabteilungen wurde auch Sabine Christiansen finanziert. Ihre Sendung Sabine Christiansen – Sonntagabend nach dem Tatort – wurde zum Modell und ersetzte nach und nach die klassischen Formen politischer Information im TV. Politmagazine wie Monitor wurden gekürzt und ins spätere Abendprogramm verbannt. Auf Sabine Christiansen (Erstausstrahlung Januar 1998) folgte Anne Will und es entstanden etliche ähnliche Formate, die in gewisser Weise völlig austauschbar waren und nur durch den titelgebenden Namen des Moderators und seine Stilperformance unterscheidbar waren: Beckmann, Günther Jauch, Markus Lanz, Maybrit Illner, Maischberger. Allein Hart aber fair verzichtete darauf, sich nach dem Namen des Moderators zu benennen. In den dritten Programmen und auf Phönix gesellten sich dann noch ein paar bescheidener produzierte Talkformate dazu.
Seit etwa 25 Jahren behauptet sich die politische Talkshow als Paradepferd der Öffentlich-Rechtlichen. Übrigens auch aus finanzieller Sicht. Die meisten Produktionen sind outgesourct und die Sendeminute war zumindest anfangs vergleichsweise billig. Heute soll die ARD pro Ausgabe Anne Will etwa 250.000 Euro zahlen.[2] Die meisten Gäste kommen gratis oder würden noch dafür bezahlen, eingeladen zu werden, die wollen schließlich was verkaufen. Die Produktionskosten sind gering und die Redakteure dürften weitaus weniger verdienen. Auf der anderen Seite hat dieses Geschäftsmodell eine kleine Riege von hoch bezahlten Starmoderatoren hervorgebracht. Leute wie Maybrit Illner, Sandra Maischberger oder Anne Will dürften weit mehr verdienen als der Bundeskanzler und sogar noch mehr als die Intendanten der Anstalten, die sie bezahlen. Das Vermögen eines Markus Lanz wird immerhin auf circa zehn Millionen Euro geschätzt.[3]
Auch dem neuen qualitätsjournalistischen Selbstverständnis kommt die Talkerei sehr gelegen. Seit dem Aufkommen des Internets und gegen dessen unkontrollierbares Informationsaufgebot hat man sich zum Hüter der Wahrheit erklärt. Um das Inferno eines grenzenlosen Pluralismus zu kontrollieren, hat man, erstens, die Debattenräume erheblich eingeschränkt und, zweitens, auf einen eigenen journalistischen Blick auf die Lage der Dinge verzichtet. Wo es einen Blick gibt, gibt es auch einen zweiten oder dritten. Die Apostel der Wahrheit haben deshalb die unterschiedlichen Perspektiven und Bewertungen in die Talkrunden ausgelagert, wo man den verschiedenen Lobbygruppen oder Parteien Räume für ihre Kontroversen eingerichtet hat. Redaktionen und Talkmaster müssen jetzt nur noch überwachen, dass Gäste und Meinungen niemals unkontrolliert den politischen und intellektuellen Radius der parlamentarischen Mitte überschreiten.
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Dieser Artikel ist Teil eines längeren Beitrages von Walter van Rossum aus Hintergrund – Das Nachrichtenmagazin 1|2 / 2024. Sie können das Heft bestellen – HIER oder im Handel kaufen – HIER.
Walter van Rossum ist Autor, Medienkritiker und Investigativjournalist. Er studierte Romanistik, Philosophie und Geschichte in Köln und Paris. Mit einer Arbeit über Jean-Paul Sartre wurde er 1989 an der Kölner Universität promoviert. Seit 1981 arbeitet er als freier Autor.
Quellen
[1] Walter van Rossum, Die Tagesshow. Wie man in 15 Minuten die Welt unbegreiflich macht. Köln 2007. S. 54
[2] https://www.t-online.de/unterhaltung/tv/id_100245728/-anne-will-maischberger-und-co-wo-fliessen-die-ard-millionen-hin-.html
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[3] https://www.vermoegenmagazin.de/markus-lanz-vermoegen/