Meinungsfreiheit

„Die Holocaustleugnung wird inflationiert“

In der EU soll künftig jeder angeklagt werden, der einen gerichtlich festgestellten Völkermord leugnet. Dies steht in einem EU-Beschluss, den die Mitgliedsstaaten bis 2013 umsetzen sollen. Hannes Hofbauer hat dazu jüngst ein Buch mit dem Titel „Verordnete Wahrheit, bestrafte Gesinnung“ (Promedia Verlag) vorgelegt. Hofbauer ist Wirtschaftshistoriker, Publizist und Verleger und hat sich in der jüngeren Vergangenheit insbesondere mit dem zerfallenden Jugoslawien beschäftigt. Mit ihm hat Helge Buttkereit über das Thema seines neuen Buches gesprochen und dabei auch die Relevanz der Problematik für aktuelle Konflikte wie den Libyenkrieg ausgelotet.

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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HINTERGRUND: Die Leugnung von Völkermord soll nach einem EU-Rahmenbeschluss europaweit verboten werden. Das hört sich zunächst einmal nicht schlecht an. Warum kann man bei dieser Gesetzgebung von „verordneter Wahrheit“ und „bestrafter Gesinnung“ sprechen?
Hannes Hofbauer: Es werden Gerichte autorisiert, über historische Ereignisse so zu befinden, dass diese dann nicht mehr hinterfragbar sind. Völkermord ist ein Verbrechen, das von der UNO 1948 definiert wurde. Aber es bleibt natürlich ein Interpretationsspielraum, ob man sagt, ein Ereignis war ein Völkermord, ein Massaker oder ein Kriegsverbrechen. Wenn man weiß, dass Kriege auch auf dem propagandistischen Schlachtfeld geführt werden, dann wird recht schnell deutlich, dass diese Tatbestände politisch und geopolitisch instrumentalisiert werden können.

HINTERGRUND: Was waren die Hintergründe dieses Rahmenbeschlusses, der von der Bundesjustizministerin Brigitte Zypries angeregt wurde?
Hannes Hofbauer: Es gibt eine allgemeine Tendenz in der Justiz vom Tatstrafrecht zum Feindstrafrecht. Das ist bei den ganzen Terrorparagrafen der Fall, die vordergründig nichts mit unserer Thematik zu tun haben. So geraten Feinde ins Visier der Justiz, bevor Taten verübt werden. Es wird argumentiert, dass beispielsweise Terroristen so weit im Vorfeld juristisch verfolgt werden sollen, dass sie überhaupt nicht zur Tat kommen. Diese Vorgangsweise ist im Prinzip schon eine fragwürdige Sache. Das geht im gewissen Sinn dem voraus, was ich ins Visier genommen habe.
Die Erinnerungsgesetze, so würde ich sie allgemein bezeichnen, sind auch Gesetze, die mit der Tat überhaupt nichts zu tun haben. Man kann – und muss sich – von der Tat distanzieren, aber es geht um die Definition, was hinter der Tat steckt. Bis jetzt gab es im deutschen Sprachraum wie in insgesamt neun Ländern Europas besonders ein Erinnerungsgesetz: Die Leugnung des Holocausts steht unter Strafe. Das wurde damit begründet, dass es ein einzigartiges Verbrechen war und auch die Leugnung der Tat bestraft werden muss. Mit der Ausweitung der Erinnerungsgesetze wird nun der rechtliche Umgang mit der Holocaustleugnung auf alle Massaker und Untaten übertragen, die ein Gericht als Völkermord oder Kriegsverbrechen definiert, die Holocaustleugnung also in gewisser Weise inflationiert.

HINTERGRUND: Besonders interessant ist, dass die Verfolgung der Völkermordleugnung im Rahmenbeschluss in den Mantel des Antirassismus eingepackt worden ist, inwieweit spielt das eine Rolle?
Hannes Hofbauer: Das ist die Perfidie an der Sache. Man kann es dort noch deutlicher sehen, wo vier EU-Mitgliedstaaten aus Osteuropa schon weiter gegangen sind und die Leugnung kommunistischer Verbrechen ebenfalls unter Strafe gestellt haben. Sie haben von der Einzigartigkeit des Holocausts ausgehend gesagt, der Totalitarismus an sich sei eine verbrecherische Sache. Wer totalitaristische Verbrechen leugnet, egal ob das ein linker oder rechter Totalitarismus ist, der soll bestraft werden. Und da stellt sich wiederum die Frage: wer definiert, ob es ein Verbrechen war oder nicht? Wer definiert beispielsweise, ob der Einmarsch 1968 in der Tschechoslowakei ein kommunistisches Verbrechen war oder in der Wahrnehmung gewisser Eliten dort die Rettung des Kommunismus vor dem Ausverkauf an westeuropäische Investoren? Wenn man das zuletzt Gesagte heute in Tschechien behauptet, dann wäre man schon straffällig. Diese Leugnung kommunistischer Verbrechen ist in Tschechien, Polen, Ungarn, Litauen und der Slowakei unter Strafe gestellt worden. Es gibt auch schon erste Prozesse. Nicht nur ich, sondern eine ganze Riege von Historikern vor allem aus Frankreich und Italien kritisieren derlei Erinnerungsgesetze stark.

HINTERGRUND: Man könnte unter diesen Voraussetzungen sagen, dass die Strafbarkeit der Holocaustleugnung problematisch ist, die Sie als typisches Beispiel für ein Erinnerungsgesetz benennen. Unter anderem führt sie unter gewissen Umständen dazu, dass gewisse Leute sich in eine Märtyrer-Position bringen können.
Hannes Hofbauer: Die Verfolgung der Holocaust-Leugnung habe ich für eine vernünftige Sache in den Täterländern wie Deutschland und Österreich gehalten, solange dafür die Einzigartigkeit als Hauptargument angeführt wurde. Jetzt wird das aufgeweicht. Jetzt wird der Krieg zwischen den Nomaden und den sesshaften Bauern in Darfur auf die Ebene des Holocausts gestellt, genauer gesagt die Opfer einer Seite. Ich finde, dass dies auch einer Verhöhnung der Holocaust-Opfer gleichkommt, wenn man es denn ernst gemeint hat, dass es eine einzigartige maschinelle Vernichtungsmaschine der Nazis gegenüber den Juden gab, was ich so sehe. Durch die jetzigen Leugnungstatbestände ist die Einzigartigkeit nicht mehr gegeben.

HINTERGRUND: Aus Sicht eines Historikers kann man auch argumentieren, diese Einzigartigkeit ist nur nachweisbar, wenn man vergleichen kann und nicht sofort festgelegt ist.
Hannes Hofbauer: Das ist richtig. Es gibt auch kritische linke Historiker, die sich dagegen wenden, die Leugnung des Holocausts strafbar zu machen, unter anderem mit dem genannten Argument und auch damit, dass man damit den Rechtsradikalen ein Forum bietet und sie zudem in der eigenen Szene als Märtyrer hinstellen lässt.

HINTERGRUND: Welche Gegenstimmen zu der neuen Gesetzgebung nach dem EU-Rahmenbeschluss gab es im deutschsprachigen Raum?
Hannes Hofbauer: Der bekannte emeritierte Münchener Geschichtsprofessor Winfried Schulze hat in seinem Umfeld sehr stark ein Argument vorgetragen, das auch in Frankreich herangezogen wurde. Es lautet: Geschichte ist kein juristisches Objekt. Geschichte ist nicht moralisch zu sehen, sondern Geschichtswissenschaften haben einen Interpretationsspielraum und orientieren sich immer wieder neu an den Gegebenheiten. Wenn man jetzt juristisch deklariert, etwas war ein Völkermord und niemand darf darüber mehr zweifelnd respektive leugnend forschen oder schreiben, dann wäre das das Ende zumindest dieser Geschichte.

HINTERGRUND: Wie war die Position der Politiker?
Hannes Hofbauer: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat in ihrer Oppositionsrolle ganz vehement gegen die Gesetzeswerdung unter Zypries argumentiert. Sie hat gesagt, dass es eigentlich einer Demokratie nicht würdig sei, wenn man, gerade was den jugoslawischen Bürgerkrieg anbelangt, ein Einzelereignis herausnimmt, dieses als Völkermord deklariert und die Leugnung dessen dann unter Strafe stellt. Man müsse das politisch diskutieren und nicht politisch dekretieren. Nachdem sie später Justizministerin geworden ist, hat man nichts mehr dergleichen von ihr gehört.

HINTERGRUND: Mit der Änderung des Strafgesetzbuches vom April 2011 wurde der Rahmenbeschluss in Deutschland umgesetzt. Leugnung von Völkermord wurde nicht ins Gesetz geschrieben, und zwar mit der Argumentation, dass jede Aufstachelung zu Hass unter Strafe gestellt wird, auch die Leugnung von Völkermord. Außerdem sei das öffentliche Billigen von Völkermord, von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen bereits strafbar. Ist nicht hier der Einfluss von Leutheusser-Schnarrenberger zu vermuten?
Hannes Hofbauer: Das könnte sein, umso mehr, als dass sich das politische Aushängeschild der Liberalen noch Anfang 2005 sehr vehement gegen die damals ersten Schritte in Richtung Meinungsjustiz qua Völkermordleugnung gewandt hatte. Der Zeitung ngo-online gegenüber meinte sie, Verbote zur Leugnung von Kriegsverbrechen und Völkermord seinen „verfassungspolitisch falsch“. Zudem existieren in Deutschland mit den Paragrafen 130 (Volksverhetzung) und 189 (Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener) im Strafgesetzbuch möglicherweise ausreichende Verfolgungsinstrumente. Ob diese den EU-Vorgaben des Rahmenbeschlusses Genüge tun, wird sich spätestens 2013 herausstellen. Bis dahin wird Brüssel prüfen, ob die nationalen Gesetzeswerke dem Willen der Europäischen Union entsprechen. Auf der anderen Seite ist allerdings die justizielle Verquickung von Hass und Leugnen eine gefährliche Sache.

HINTERGRUND: Was meinen Sie, reicht diese Gesetzesanpassung der Bundesregierung der EU aus?
Hannes Hofbauer: Da sich die ganze Debatte über die zunehmende Verrechtlichung politischer und gesellschaftlicher Fragen im Fluss befindet und auch öffentlich geäußerter Dissens dazu in Deutschland hörbarer werden könnte, bleibt die Beantwortung einer solchen Frage spekulativ. Jedenfalls haben sich Anfang September 2010 Polizeijuristen getroffen, um über den Umgang mit ihrer zukünftigen „Klientel“ zu sprechen und auch darüber, ob der Paragraf 130 Strafgesetzbuch eine ausreichende Grundlage für die neuen Straftatbestände des Leugnens bietet. Einig waren sie sich interessanterweise darüber, dass der Paragraf jedenfalls ein „erhebliches Konfliktpotential zur Meinungsfreiheit“ aufweist, wie sie das in Juristendeutsch ausgedrückt haben.

HINTERGRUND: Das Thema hat offenbar außer ein paar vereinzelten Historikern im deutschsprachigen Raum kaum jemanden interessiert und ist bis heute vor allem in Frankreich und Italien umstritten. Wie kam Ihre eigene Beschäftigung mit dem Thema zustande?
Hannes Hofbauer: Ich habe mich seit Jahren mit dem südslawischen Raum beschäftigt, auch die Bürgerkriege in Jugoslawien verfolgt und ein paar Sachen darüber veröffentlicht. 2007 hörte ich dann davon, dass ein Gesetz in Vorbereitung ist, das die Leugnung von Völkermord im Zusammenhang mit Jugoslawien unter Strafe stellt. Schon damals sind von Ministerin Zypries die Massaker in Srebrenica als ein Beispiel genannt worden, an dem die neuen Meinungsgesetze exekutiert werden sollten.
Wenn man einen großen Bogen schlagen will, dann könnte man sagen – was die jugoslawische Tragödie in den 1990er Jahren betrifft -, im Westen war am Anfang ein politischer Machtwechsel intendiert. Später wurden dann die Herzstücke der Wirtschaft in den jeweiligen Republiken übernommen. Jetzt wird eine juristische Kontrolle über die Erinnerung respektive den historischen Diskurs eingeführt. Das ist ein Gesamtbild, bei dem es mir schaudert. Man hat nicht nur von außen in einen Bürgerkrieg interveniert und die ökonomischen Verhältnisse verschoben, sondern will jetzt im Bereich der Kultur mit juristischen Mitteln eine Debatte darüber tabuisieren.

HINTERGRUND: Eines der Ereignisse, um das es in Ihrem Buch ausführlich geht, ist bereits zur Sprache gekommen: Srebrenica. Zu den Ereignissen aus dem Juli 1995 sind zwei Bücher im Promedia-Verlag erschienen und Sie haben selbst auch zum Thema publiziert. Das wären insofern auch konkrete verlegerische und publizistische Anlässe, die Erinnerungsgesetzgebung in Augenschein zu nehmen.
Hannes Hofbauer: Es ist sicher so, dass Germinal Civikov mit seinen zwei Büchern, insbesondere mit dem Titel „Srebrenica, der Kronzeuge“, meine Beschäftigung damit ausgelöst hat. In seinem Buch hat man gesehen, dass es ein einziger Kronzeuge, Drazen Erdemovic, ist, der im Fall Srebrenica die hierzulande verbreitete Darstellung von der Täterseite her bezeugt. Auf seine Aussage stützt sich die These vom Völkermord, bei dem er selbst an 1200 Erschießungen beteiligt war. Diese Erzählung ist bei uns und in Bosnien so gefestigt, dass man darüber gar nicht mehr objektiv berichten oder nachdenken kann, ob es nicht doch irgendwie anders gewesen sein könnte. Dazu muss man wissen, dass Erdemovic nicht allein tätig war, sondern sieben Mittäter hatte, von denen die Namen bekannt sind. Diese anderen sieben Mittäter sollen 1.200 Muslime gemeinsam mit ihm erschossen haben. Aber niemand von den Mittätern ist bislang beim Tribunal in Den Haag vorgeladen worden, obwohl man weiß, wo sie sich aufhalten. Vor diesem Hintergrund kann man Zweifel an der Wahrhaftigkeit von Erdemovics Aussage hegen.

HINTERGRUND: Wenn man sich die einzelnen Themen anschaut, um die es geht, sei es Srebrenica, den von den Vereinten Nationen anerkannten aber von der Türkei als solchen bestrittenen Völkermord in Armenien 1915 oder auch in Litauen der Blutsonntag 1991, dann geht es um Ereignisse, die konstituierend für einen bestimmten Staat oder eine Nation sind. Kann man die Frage der Erinnerungsgesetze letztlich so zusammenfassen, dass es um Ereignisse in der Geschichte geht, die als mythische Momente gesichert werden sollen?
Hannes Hofbauer: In den genannten Beispielen ist das sicher der Fall. Gerade was den Vilniusser Blutsonntag im Januar 1991 betrifft, bei dem moskautreue Kräfte angeblich einen Putsch versuchten und in dessen Folge 14 Zivilisten getötet wurden oder eben auch Srebrenica. Das sind konstituierende historische Ereignisse für die beiden Länder Litauen und Bosnien-Herzegowina. Dieser Mythologisierung zu widersprechen ist natürlich eine Provokation für jene, die auf solcher Basis ihre Staatsgebilde aufbauen, so wackelig und so wenig gefestigt das historische Fundament auch sein mag. Diese Ereignisse zeigen, dass es oft nicht nur eine einzige Erzählung gibt. Es gibt in Vilnius die Gegendarstellung, dass es hauptsächlich litauische Kommunisten waren, die damals von der Schusswaffe Gebrauch gemacht haben. Diese Darstellung passt den litauischen Nationalisten aber überhaupt nicht in den Kram. Im heutigen Litauen müssen es russische Täter gewesen sein. Und in Srebrenica gibt es die Erzählung, dass es aus der Schutzzone heraus der muslimische Anführer Naser Oric war, der ein Jahr oder länger die umgebenden serbischen Dörfer so gequält hat, dass dann eine Gegenreaktion erfolgt ist. Die Anerkennung dieser Erzählung würde den reinen Mythos einer bosnischen Nationswerdung beflecken.

HINTERGRUND: Gehen wir zurück in den deutschsprachigen Raum und schauen uns die eigene Zukunft als Publizisten und Journalisten an. Ich stelle mir natürlich die Frage, was passieren kann, wenn beispielsweise eine Zeitschrift wie Hintergrund oder ein Buchautor wie Sie sich kritisch mit einem gerichtlich festgestellten Völkermord auseinandersetzen. Was kann Ihrer Meinung nach passieren und was für Strafen wären angedroht?
Hannes Hofbauer: Es gibt zum Beispiel den Fall eines kritischen französischen Historikers, der das „Loi Taubira“ offen kritisiert hat. Das ist ein Erinnerungsgesetz, das festschreibt, dass der Sklavenhandel ein Verbrechen gewesen sei. Der Historiker hat das in einen bestimmten Kontext gestellt und gesagt, zu der Zeit gab es so viel Sklavenhandel, dass man nicht nur weiße Versklavung der Schwarzen thematisieren kann. Er ist dann angezeigt worden. Aber weil in Frankreich diese Erinnerungsgesetze insgesamt unter Druck stehen, ist die Anklage niedergelegt worden. Frankreich ist ein sehr schönes, grausames Beispiel dafür, wie weit Verrechtlichung historischer Ereignisse gehen kann. Wenn dort linke Regierungen an der Macht sind, dann beschließen sie Erinnerungsgesetze wie beispielsweise jenes erwähnte „Loi Taubira“ oder das „Loi Gayssot“. Wenn Rechte an der Macht sind, dann verabschieden sie zum Beispiel ein Gesetz, dass man die Harkis, also die örtlichen Helfer der Franzosen im Algerienkrieg, nicht beleidigen darf. Daran sieht man, dass sich Politik immer mehr in diesen kulturellen Bereich begibt und dann versucht, mit der juristischen Keule die jeweilige Position festzuzurren. Das ist eine gefährliche Entwicklung. Und gegen diese habe ich angeschrieben.

HINTERGRUND: Wenn ich das in dem Buch richtig verstanden habe, dann wird ein gewisser Unterschied gemacht zwischen einer quasi neutralen wissenschaftlichen Beschäftigung mit einem Ereignis und einer aufhetzenden. Was auch immer das heißen mag. Auf der einen Seite wird die Beschäftigung toleriert, auf der anderen wird ein politischer Zweck gesehen und diese Form der Leugnung dann verfolgt. Was steckt dahinter?
Hannes Hofbauer: Im EU-Rahmenbeschluss steht das meines Erachtens recht unjuristische Wort „wahrscheinlich“ neben „hetzerisch“. Also wenn man die Leugnung eines Völkermords betreibt, die „wahrscheinlich zu Rassenhass“ aufstachelt, dann wäre das zu bestrafen. Wenn man einen Völkermord in völlig neutraler Weise leugnet, was keinerlei Einfluss im gesellschaftlichen Sinne hat, dann kann man das offensichtlich auch weiterhin machen. Nur welcher Publizist, Politiker oder Historiker versteht seine Arbeit so, dass er quasi völlig neutral Tatbestände beschreibt, ohne damit auch eine gewisse Position einzunehmen? Die wiederum kann dann schon dazu führen, andere aufzuhetzen. Aber das liegt ja nicht mehr in der Hoheit desjenigen, der eine Studie, einen Artikel oder ein Buch verfasst. Dieses Wörtchen „wahrscheinlich“ ist ein ganz interessantes im EU-Rahmenbeschluss. Es zeigt die Unsicherheit des Gesetzgebers. Welche Auswirkung hat eine bestimmte Leugnung? Das ist wieder eine Interpretationssache und hat auch etwas mit dem Kontext zu tun, in dem etwas geschrieben wird und in welchem man politisch tätig ist.

HINTERGRUND: Heute wird bei bestimmten Ereignissen relativ schnell der Völkermord-Vorwurf verwendet, zum Beispiel gegen Muammar al-Gaddafi. Inwieweit kann man den inflationären Gebrauch des Völkermord-Vorwurfs in den Rahmen der von Ihnen untersuchten Gesetzgebung einbetten?
Hannes Hofbauer: Das gehört genau dazu. Bleiben wir bei Libyen. Gaddafi war beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen Völkermords und Kriegsverbrechen angeklagt. Die erste Ironie dabei ist eigentlich die Tatsache, dass einer der Hauptbetreiber dieser Anklage, nämlich die USA, diesen Internationalen Strafgerichtshof nicht anerkennen und sogar Gesetze erlassen haben, die jene in den USA mit Strafe bedrohen, die diesen Internationalen Strafgerichtshof anerkennen wollen.
Mit diesem inflationären Gebrauch des Völkermord-Vorwurfs wird also Politik gemacht. Da gibt es sozusagen einen Autokraten, der Teile des Volkes in den vergangenen Monaten traktiert hat, und dann wirft man ihm sofort Völkermord vor. Das kann quasi mit jedem Machthaber sehr schnell geschehen, wenn der „Ankläger“ die medialen und die militärischen Mittel dazu in der Hand hat. Die Vorgehensweise wird allerdings delegitimiert, weil gleichzeitig Instrumente wie der Internationale Strafgerichtshof nicht anerkannt werden.

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HINTERGRUND: Der Internationale Strafgerichtshof sowie das Jugoslawientribunal stecken quasi den Rahmen ab. Wenn diese feststellen, es gab einen Völkermord, dann ist das rechtlich festgelegt.
Hannes Hofbauer: Ich würde die beiden Institutionen nicht in einem Atemzug nennen. Das Jugoslawientribunal ist ein Ad-hoc-Gericht und wird teilweise privat von US-Stiftungen oder von George Soros finanziert. Was beide Gerichte allerdings verbindet, ist, dass sie mitten in einer Kriegshandlung, als ausländische Kräfte eingegriffen haben, Anklagen gegen den politischen Führer der gegnerischen Partei erhoben haben. Das Jugoslawientribunal hat gegen Milosevic im Mai 1999 Anklage erhoben und gleichzeitig fielen die Bomben der NATO. Der Internationale Strafgerichtshof hat gegen Gaddafi, seinen Sohn und noch einen weiteren Mann Anklage erhoben und gleichzeitig fielen die Bomben der NATO. Man kann eigentlich aus der Ferne sehen, dass die beiden Dinge in irgendeiner Form zusammenhängen. Insofern können diese gerichtlichen Maßnahmen in Wirklichkeit als Teil des Krieges interpretiert werden.

HINTERGRUND: Damit ist dann die Bekämpfung der Völkermordleugnung nur der Propagandafeldzug nach dem Krieg.
Hannes Hofbauer: Genau. Der lässt dann jene Erzählung für gültig erscheinen, die im Krieg aufgebaut worden ist und propagandistisch mit den Bomben mitgeliefert wird. Die Wahrheit stirbt als Erstes im Krieg, das wissen wir seit Langem. Und nun wird im Nachhinein dafür gesorgt, dass Kritik nicht mehr angebracht werden kann, zumindest wenn sie so weit geht zu sagen, das war kein Völkermord, sondern es gab ein Bürgerkrieg. In dem Fall bleibt es eine Interpretationssache, ob diese Einschätzung strafbar ist oder nicht, sprich, ob das Vertreten der Behauptung aufwiegelt oder nicht.

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