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Der Glaubwürdigkeitsverlust der politischen Klasse in Spanien trifft auch die etablierten Medien. Doch diese Krise bietet Chancen für Neues.

„Ich möchte mich zuerst bei den Mitarbeitern dieses Hauses bedanken, denn ohne ihren Druck wäre ich nicht hier.“ Die Botschaft, mit der Pablo Iglesias, Vorsitzender der spanischen Linkspartei Podemos, sein erstes und bisher einziges Interview beim spanischen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender Radiotelevisión Española, RTVE, im Dezember 2014 eröffnete, war eindeutig: Der staatliche Rundfunk in Spanien will neutral sein, doch Podemos wird benachteiligt. Noch nachdem die neue Linkspartei bei den Europawahlen im Mai 2014 wie aus dem Nichts acht Prozent erzielte, hatte sich RTVE über ein halbes Jahr lang geweigert, den Gründer und Vorsitzenden Iglesias zu einem Interview ins Studio einzuladen. Mit seiner als Dank an die Beschäftigten formulierten Kritik an der RTVE-Chefredaktion dürfte Iglesias vielen Spaniern aus der Seele gesprochen haben.

Dass die spanischen Medien in ihrer Mehrheit „rechts bis ultrarechts“ eingestellt sind, ist schon lange eine traurige Wahrheit.(1) Der Großteil der Tagespresse gehört zum medialen Hofstaat der rechtskonservativen Volkspartei (Partido Popular, PP). Und auch die lange Zeit linksliberale Tageszeitung El País hat sich nicht erst unter der Regierung Zapatero zu einem Verteidiger neoliberaler „Reformpolitik“ entwickelt. Wie in der Politik sind auch im Medienbetrieb „Mitte-Links“ und „Mitte-Rechts“ kaum noch zu unterscheiden.

Diese politischen Verschiebungen und die allgemeinen Schwierigkeiten der Printmedien angesichts des Internetbooms verschärften sich in den Jahren 2007 und 2008 zunächst mit dem wirtschaftlichen Zusammenbruch und dann, vielleicht noch mehr, aufgrund der Art und Weise, wie das politische Establishment damit umzugehen versuchte. „Seit der Krise stecken die Medien in einer enormen Glaubwürdigkeitskrise, die weit über die generellen Probleme der Branche hinausgeht“, sagt der Journalist und Medienkritiker Pere Rusiñol im Interview mit Hintergrund. Als Indikator nennt er etwa den Einbruch beim Kioskabsatz: „In den letzten fünf bis sechs Jahren sind die Verkäufe um die Hälfte zusammengebrochen. Das lässt sich nicht allein durch die allgemeine Krise der Printmedien erklären.“ Anders als in Deutschland wird in Spanien immer noch der Großteil der Zeitungen am Kiosk verkauft. Den Grund für die Glaubwürdigkeitskrise sieht Rusiñol vor allem in der Diskrepanz zwischen der veröffentlichten Meinung und der Lebensrealität der Bevölkerung. Das zeige sich bei Themen wie den Zwangsräumungen, die nach dem Platzen der Immobilien- und Kreditblase zu einem Massenphänomen geworden sind, oder der allgegenwärtigen Korruption: „Diese Themen kommen zwar vor“, so Rusiñol, „aber erst, wenn es nicht mehr anders geht“. Dann würden sie mit viel Wind aufgegriffen – meist aber, ohne zu den Wurzeln der Probleme vorzudringen.

Die PP-Regierung um Mariano Rajoy war so ungeschickt, mit fortschreitender Krise den Druck auf die Medien zu verschärfen. Bei der katalanischen Vanguardia, der Madrider El Mundo und selbst bei der größten spanischen Tageszeitung El País wurden die Chefredakteure durch der Regierung wohlgesonnene Journalisten ersetzt. Bei El País ging man sogar noch einen Schritt weiter: Der Journalist, der bis dahin über die PP berichtet hatte, wurde als Korrespondent nach Argentinien versetzt. „Auf Druck der Regierung“, heißt es unter Kollegen.(2) Auch Regionalsender wie Telemadrid werden bedrängt. Bekanntestes Beispiel ist der Fall des TV-Moderators Jesús Cintora. In seiner Show „La mañana a las 4“ auf dem Privatsender cuatro hatte er immer wieder kritisch und mit hohen Einschaltquoten über die PP berichtet. Im März wurde er ohne Begründung entlassen. Das Druckmittel der Regierung: Es ist geplant, zusätzliche Frequenzen für das Digitalfernsehen zu vergeben. Doch jeder in der Branche weiß: Nur wer sich gut benimmt, wird etwas vom Kuchen abbekommen. Kein Wunder, dass Cintora über seine Zunft wenig Positives sagt. „Sie reden lieber über Venezuela als über die Dinge, die hier passieren“, so der Journalist gegenüber der Internetzeitung publico.es.

Demokratieabbau forciert

Klar in Richtung Einschränkung der Meinungsfreiheit geht auch das im April 2015 verabschiedete „Gesetz zur Sicherheit der Bürger“. Dabei geht es jedoch weniger um den suggerierten Schutz der Bevölkerung als vielmehr um den der politischen Elite. Das „Maulkorbgesetz“ ist ein Eingriff in die Demonstrationsfreiheit, wie er in Europa bislang wohl einmalig ist. Demnach entscheiden künftig nicht mehr Gerichte, sondern die Polizei, ob es bei Demonstrationen zu gesetzwidrigen Aktionen kommt und wie diese sanktioniert werden.

Und die Strafen haben es in sich: Bis zu 30 000 Euro sind fällig, wenn Demonstranten etwa Fotos von Polizisten verbreiten oder sich weigern, eine Demonstration nach deren Auflösung durch die Behörden zu verlassen. Auch die Teilnahme an Protesten zur Verhinderung von Zwangsräumungen säumiger Mieter oder Hausbesitzer, von denen es alleine zwischen April und Juni letzten Jahres 18 749 gegeben hat,(3) wird unter Strafe gestellt. Weigert sich ein Demonstrant, einem Beamten seinen Ausweis auszuhändigen, kostet ihn das bis zu 1 000 Euro. Dabei handelt es sich aber nur um die „leichten“ Verstöße. Richtig teuer wird es bei „schwerwiegenden“ Ordnungswidrigkeiten. Diese liegen nach Ansicht der PP vor, wenn „eine wichtige Infrastruktur gefährdet“ wird, wie etwa am Vorabend einer Wahl. Dass sich das Gesetz vor allem gegen die Sozialproteste richtet, von denen es im vergangenen Jahr über 3 000 gab, liegt auf der Hand.

Für den Journalisten Rusiñol sind die PP und deren Drangsalierung der Medien aber nicht der Kern des Problems. „Der Hauptgrund für die Krise der traditionellen Medien in Spanien ist der totale Verlust der Unabhängigkeit. Das wiederum ist eine Konsequenz aus den Veränderungen der Eigentumsverhältnisse, die durch die Krise herbeigeführt wurden.“

In wohl keinem Land Europas ist die Medienwirtschaft so stark von der Finanzkrise getroffen worden wie in Spanien, meint Carlos Bayo, Chefredakteur der linken Internetzeitung Público, gegenüber Hintergrund.

Bestes Beispiel ist die Tageszeitung El País, die zur Prisa-Gruppe, dem größten Medienkonzern des Landes, gehört. Sie ist mit fünf Milliarden Euro verschuldet – eine Summe, die als kaum rückzahlbar gilt. Das Flaggschiff El País warf vor der Krise jährlich 150 Millionen Euro Gewinn ab – in diesem Jahr werden 20 Millionen Miese erwartet. Anderen geht es nicht besser. Die Folge: Die Banken sind inzwischen die größten Anteilseigner der spanischen Medienkonzerne. Unter diesen Bedingungen ist es schlicht nicht möglich, Journalismus zu betreiben. El País, so Bayo, machte unter diesen Bedingungen eine merkliche Wendung nach rechts. Der Zusammenhang mit den Investitionen von „Finanzhaien“ der Wall Street wie Nicolas Berggruen und internationalen Finanzinstitutionen wie HSBC sei evident und spiegele sich in einer grundlegenden Ausrichtung der Blattlinie auf die Verteidigung der Interessen dieser Finanzoligarchie wider.

Die Lücke nutzen

Das ist aber nur eine Seite der Medaille. Vor dem Hintergrund der Erschütterung des politischen Systems im spanischen Königreich, dessen offenkundigster Ausdruck das Entstehen der Protestbewegung 15-M und der mit ihr verbundenen neuen Linkspartei „Podemos“ („Wir können“) ist, entstehen auch neue, kritische Medien. In den letzten Jahren wurde eine Reihe interessanter und erfolgreicher Publikationen hervorgebracht, welche die Krisenfolgen auf hohem journalistischem Niveau aufgreifen, die Korruption der politischen Eliten hintergründig thematisieren und vielfach auch durch interessante Eigentümerstrukturen eine gewisse Unabhängigkeit gewinnen. Vor allem aber sind diese Zeitungen keine Nischenprojekte, wo ambitionierte Journalisten Stilübungen vollziehen, für die in der Mainstreampresse kein Platz mehr ist. Diese Publikationen stoßen auf große Resonanz beim Publikum. Sehr erfolgreich etwa ist die 2012 gegründete linksliberale und klar antimonarchistisch ausgerichtete Internetzeitung diario.es.

Für Pere Rusiñol, der regelmäßig Beiträge in diario.es schreibt, bietet die Krise der traditionellen Medien durchaus eine Chance für unabhängige Berichterstattung: „Sie hat einen enormen Freiraum geschaffen für neue Medien, die guten Journalismus machen. Wenn die traditionellen Zeitungen und Sender die Erwartungen der Leute an sie erfüllen würden, hätten wir es weitaus schwerer. Aber sie tun es nicht.“ Rusiñol selbst war an der Gründung von gleich zwei Zeitschriften beteiligt: dem Satireblatt Mongolia sowie der Wirtschaftszeitschrift Alternativas Económicas. Beide sind genossenschaftlich organisiert, die Beschäftigten sind die Mehrheitseigner.

Das vielleicht interessanteste neue Phänomen unter den aufstrebenden kritischen Medien in Spanien ist Público. Im Jahr 2007 als Printzeitung explizit mit der Idee gegründet, dem jungen, progressiven Teil der Bevölkerung ein Sprachrohr zu geben, gibt es die Zeitung seit 2012 nur noch online. Doch anstatt den Anfang vom Ende einzuläuten, brachte die Einstellung der Druckversion den erhofften Neubeginn. Mit um die acht Millionen Nutzern pro Monat erreicht público.es nicht nur eine Reichweite, die es mit den größten Zeitungen des Landes aufnehmen kann. Das Medium hat sich auch zu einer Art Sprachrohr der spanischen Protestbewegung entwickelt.

Inhaltliche Schwerpunkte von Público sind die Korruption der etablierten Parteien, kompetente Wirtschaftsberichterstattung jenseits des Mainstreams und sehr intime Kenntnisse über die Formierungsprozesse der parteipolitischen Linken. Público.es verbreitet sich vor allem über Facebook, wo die Zeitung inzwischen fast eine Million „Follower“ hat. Zum Vergleich: Die taz hat etwa gut 170 000. Allein diese Zahlen zeigen: Público ist kein „Special-Interest-Magazin“ für junge, unzufriedene Akademiker, sondern bedient alle klassischen Ressorts. Es gibt sogar einen recht anständigen Sportteil.

„Wir definieren uns als klar linksradikal“, sagt Chefredakteur Carlos Bayo gegenüber Hintergrund, wobei er „linksradikal im Sinne von: den Dingen auf den Grund gehend“ verstanden wissen will. Dabei bereitet es ihm keine Sorge, wenn das Magazin als parteiisch betrachtet wird: „Público verteidigt die am meisten benachteiligten Teile der Gesellschaft, insofern ist es auch logisch, dass wir die Proteste gegen die Austerität unterstützen“, sagt er. Aus der Nähe zu Podemos macht er dabei keinen Hehl. Im Gegenteil: Bayo betont sogar, dass Público die erste Zeitung war, bei der die heutigen Führer von Podemos, wie Pablo Iglesias oder Juan Carlos Monedero, bereits in Blogs und Kolumnen zu Wort kamen – und zwar vor der Gründung von Podemos. Wert legt er darauf, dass Público „nicht DIE Zeitung von Podemos“ sei. Und in der Tat ist Público weit davon entfernt, unkritisch gegenüber der Partei zu sein. Richtig ist, dass viel über sie berichtet wird, über interne Meinungsbildungsprozesse, dass es Interviews mit ihren Protagonisten gibt. „Hier entsteht etwas Neues“, sagt Bayo. Er sieht die Aufgabe der Zeitung darin, „den Leuten die Möglichkeit zu geben, möglichst viel von diesem Prozess mitzubekommen“.

Weniger als um parallele Prozesse handelt es sich bei Podemos und den neuen, anti-elitären Medien um verschiedene Aspekte ein und derselben Entwicklung. Tatsächlich ist der Aufstieg der neuen Linkspartei untrennbar mit der Fernsehsendung „La Tuerka“ (deutsch: „Die Schraubenmutter“) verbunden. Im Jahr 2010 gründeten Pablo Iglesias und seine Freunde, darunter der Hochschullehrer Juan Carlos Monedero – bis zu seinem Rücktritt Ende April ebenfalls ein führender Podemos-Aktivist –, die Politsendung, die zunächst über lokale kommunale TV-Kanäle ausgestrahlt wurde und schnell hohe Einschaltquoten erzielte. Im Mittelpunkt der Sendung stehen Debatten um aktuelle gesellschaftliche Themen, zu denen nicht nur Vertreter des eigenen politischen Spektrums, sondern regelmäßig auch Gesprächspartner aus dem „Mitte-Rechts“-Lager eingeladen werden. Von Anfang an ist hier die diskursive Strategie von Podemos erkennbar, bei der es entscheidend ist, „das Feld nicht dem Gegner zu überlassen“, wie Iglesias in seinem Buch Um die Demokratie streiten (Disputar la democracia) schreibt. Inzwischen sendet „La Tuerka“ montags und freitags auf dem Internetportal von publico.es. Der eigene YouTube-Kanal der Sendung verzeichnet mehr als 92 000 Abonnenten.

Eine gewisse Leichtigkeit und Professionalität im Umgang mit modernen Netzmedien trifft bei den führenden Podemos-Aktivisten auf ein profundes und zugleich flexibles Verständnis marxistischer Theoretiker. Hier ist vor allem Gramsci zu nennen, aber auch Lenin, dem sie eine erstaunlich moderne Lesart abgewinnen. Aus der Perspektive von Leuten wie Iglesias ist es undenkbar, die existierenden sozio-ökonomischen Verhältnisse zu überwinden, ohne zugleich die ideologische und kulturelle Hegemonie der herrschenden Klassen anzugreifen, ihre „Erzählungen“ zu hinterfragen und ihre Codes zu „knacken“. Es gehe darum, schreibt Iglesias, zu vermeiden, „was der Feind von uns erhofft: Wörter zu benutzen, die niemand versteht, eine Minderheit zu bleiben, in unsere traditionelle Symbolik zurückzufallen. Und sie wissen, so lange wir das täten, wären wir keine Bedrohung für sie.“ Die neue spanische Linke als ein Phänomen, das von der Partei „Podemos“ bis hin zu den neuen kritischen Medien reicht, ist offenkundig auf einem guten Weg, diese Fallen zu umgehen.


Dieser Artikel erschien zuerst in Hintergrund, Heft 3 -2015.


Anmerkungen und Quellen:

(1) Miguel Angél Anguilar: Die Politisierung der Medien, in Walter L. Bernecker 2008: Spanien heute: Politik, Wirtschaft, Kultur, Frankfurt, S. 408–420.

(2) Taz, vom 11.04.2015: https://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=fl&dig=2015%2F04%2F11%2Fa0077&cHash=18e23051732f31630233939ee359775a

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(3) http://afectadosporlahipoteca.com/2014/10/10/los-datos-del-cgpj-confirman-que-siguen-aumentando-los-desahucios-en-espana/

 

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