Zweierlei Recherchen: Neuer Wirbel um die Todesschüsse auf Benno Ohnesorg
(25.01.2012/dpa)
Ist Benno Ohnesorg im Jahr 1967 gezielt getötet worden? Ein Bericht des Spiegel vom Wochenende
hat neuen Wind in die Diskussion um die tödlichen Schüsse auf den Studenten in West-Berlin gebracht. Ein studentischer Untersuchungsausschuss war vor über vierzig Jahren schon deutlich weiter gewesen.
Der Schütze Karl-Heinz Kurras, von dem es seit 2009 heißt, er habe auch als Informant der DDR-Staatssicherheit gearbeitet, hatte sich stets auf Notwehr in einem Handgemenge berufen. Der heute 84-jährige ehemalige Polizist war 1967 und 1970 mangels Beweisen vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen worden.
Der Spiegel meldete nun, Polizisten sollen damals Spuren verwischt, Akten gesäubert und falsche Angaben gemacht haben, um Kurras zu schützen. Die Erkenntnisse stützen sich demnach auch auf neu ausgewertete Fotos und Filmsequenzen vom Tatort. So soll Kurras den Schuss unbedrängt aus nächster Nähe und umgeben von mehreren Polizisten abgegeben haben. Auf einem in dem Magazin veröffentlichten Foto ist neben der Leiche von Ohnesorg auf dem Hof eines Mietshauses der damalige Polizeieinsatzleiter von Kurras zu sehen, der dann ausgesagt habe, dass er Kurras erst später gesehen habe. Erstmals ist nun am Rande des Fotos Kurras in unmittelbarer Nähe zu sehen. Der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft sagte am Sonntag der Presseagentur dpa, eine detaillierte Foto-Auswertung habe sich erst durch neue technische Möglichkeiten ergeben.
Ohnesorg wurde am 2. Juni 1967 am Rande einer Demonstration gegen den Schah-Besuch erschossen. Sein Tod trug erheblich zur Mobilisierung und Radikalisierung der 68er-Bewegung bei. Spekulationen, dass Kurras Studenten im Auftrag der Stasi erschossen haben könnte, wies ein Sprecher der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe zurück. Dafür gebe es keinerlei Hinweise.
Der LAIKA-Verlag erinnerte am 23. Januar 2012 in einer Presserklärung daran, dass Berliner Studenten am 3. Juni 1967 an der Freien Universität bereits selbst einen Untersuchungsausschuss gegründet hatten. „Dort wurden Augenzeugenberichte, Fotografien und andere Unterlagen gesammelt. Passanten und Zeugen wurden für diesen Ausschuss von Studierenden befragt. Insgesamt liegen über 650 schriftliche Berichte, 100 Tonbandaussagen, ca. 600 Fotografien und dazugehörige Identifizierungslisten und vieles andere mehr vor. Mitglieder dieses studentischen Untersuchungsausschusses zum Tod von Benno Ohnesorg, darunter das spätere RAF-Mitglied Holger Meins, zogen aus dem Material schon damals den Schluss, dass es sich um einen gezielten Schuss handelte und äußerten die Vermutung, dass die Polizisten die Zielperson verwechselten, die sie ermorden wollten. Die Vermutung war, dass die Schützen Thomas Giefer, der Benno Ohnesorg zum Verwechseln ähnlich sah und schon lange die Aufmerksamkeit des Staatsschutzes wegen seiner dokumentarischen Filmarbeit auf sich gezogen hatte, im Visier hatten.“ (1)
Weiter heißt es in der von Willi Baer und Karl-Heinz Dellwo gezeichneten Erklärung: „Dieser Mord erweist sich heute jenseits der offiziell beliebten ‚Einzeltäterschaft’ als umfassender Plan der Polizei- und Staatsschutzbehörden Westberlins. Der Mord an Benno Ohnesorg wurde durch Polizeibehörden und Justiz, durch Politiker und – vor allem – die Springermedien gedeckt, die damit eine Art politische Mittäterschaft übernahmen. Die neue Erkenntnis, dass Kurras zugleich DDR-Agent war, wollten auch ehemalige Linke in eine Entlastung der Nachkriegs-BRD ummünzen; eine Nachkriegs-BRD, die immer noch von einer altnazistisch geprägten,
autoritätswilligen und latent gewaltbereiten Mehrheitsgesellschaft geprägt war. Das Bedürfnis, sich die eigene Anpassung in dieser Gesellschaft selbst zu verschönern, mag verständlich sein. Richtig ist aber auch die Erkenntnis von Herbert Marcuse, dass für viele der jungen Generation die Integration in diese Gesellschaft ‚physisch und psychisch’ unmöglich war. Richtig ist deshalb auch, dass viele gar nicht anders konnten, als sich mit ihrem ganzen Leben gegen diese damalige Gesellschaft zu stellen.“
(1) Zum vollständigen Text der Presseerklärung: http://www.laika-verlag.de/sites/default/files/Presseerkla%CC%88rung_Benno_Ohnesorg.pdf