Medienkritik

Zu viele Politiker, kein Austausch mit Publikum: Studie kritisiert Rundfunkräte

Otto-Brenner-Stiftung: Rundfunkräte arbeiten intransparent und öffentlichkeitsscheu / Wissenschaftler kritisieren Unprofessionalität und mangelnde Kritikfähigkeit von Rundfunkräten / Forscher: Gremien sind „Auffangbecken“

(Diese Meldung ist eine Übernahme von multipolar.)

Eine Studie der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung (OBS) übt umfassende Kritik an der Gremienarbeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Den Rundfunkräten mangele es sowohl an Transparenz als auch an Austausch mit dem Publikum, schreibt die OBS. Zudem seien deutlich mehr Politiker als erlaubt in den Gremien aktiv. Über 40 Prozent aller Rundfunkräte und mehr als 50 Prozent der Verwaltungsräte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) gehören einer Partei an, erläutert Studienautor Peter Stawowy. Jedoch darf laut einer Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts vom 25. März 2014 der Anteil der staatlichen und staatsnahen Mitglieder „ein Drittel der gesetzlichen Mitglieder des jeweiligen Gremiums nicht übersteigen“.

Studienautor Stawowy, der von April bis September 2024 die soziodemographischen Hintergründe von 772 Rundfunkrats- und Verwaltungsratsmitgliedern in den Aufsichtsgremien von ARD, ZDF, Deutschlandradio und Deutscher Welle analysiert hat, wirft den Räten außerdem Elfenbeinturm-Verhalten vor. Wörtlich heißt es in der Studie: „Insgesamt aber lassen die Ergebnisse nur den Schluss zu, dass die Gremien nach wie vor die Öffentlichkeit scheuen und offenkundig lieber unter sich bleiben möchten.“ Eine ernsthafte, dialogische Rückkoppelung der eigenen Arbeit in die Öffentlichkeit, etwa durch Dialogveranstaltungen und Austausch, suche man vergeblich, kritisiert Stawowy, der als Journalist und Medienblogger arbeitet. Zudem werde die Gesellschaft nur „in sehr begrenztem Umfang“ von den Gremien repräsentiert. Die Studie wurde am 27. Februar bei der OBS veröffentlicht. Die OBS ist die Wissenschaftsstiftung der IG Metall.

Kritiker des ÖRR weisen darauf hin, dass die Erkenntnisse und Vorwürfe alles andere als neu sind. Bereits 2013 habe es eine OBS-Studie mit dem Titel „Im öffentlichen Auftrag“ zum Selbstverständnis der Rundfunkgremien gegeben, erklärt Maren Müller, Vorsitzende der „Ständigen Publikumskonferenz“. Ebenfalls 2013 habe der MDR-Rundfunkrat Heiko Hilker „Zwölf Gedanken zur Reform der Rundfunkgremien“ formuliert. 2015 habe sich das Berliner „Prometheus-Institut“ in einer Untersuchung mit der mangelnden Staatsferne der Gremien befasst. „Die Summe der Kritiken sollte endlich zu einer Verbesserung der Zusammensetzung und der Qualität der Arbeit der Räte führen“, sagte Maren Müller gegenüber Multipolar.

Die Vorsitzende der „Ständigen Publikumskonferenz“ bestätigt aus eigener Erfahrung, dass Rundfunkräte den Austausch mit dem Publikum scheuen. Dies sei nicht weiter verwunderlich: „Viele Gremienmitglieder kennen die eigenen Programmschemen und Angebote nicht hinreichend und wären im Falle einer fachlichen Auseinandersetzung überhaupt nicht aussagefähig.“ Reformvorschläge gebe es reichlich: „Man könnte über ein spezielles Losverfahren ein Gremium wählen, das die Interessen der Rezipienten vertritt.“ Beschwerden könnten nach Schweizer Vorbild durch unabhängige Ombudsstellen behandelt werden.

Jimmy Gerum von der Initiative „Leuchtturm ARD“ erklärt gegenüber Multipolar: „Unsere Bürgerinitiative sieht den fehlenden Dialogprozess als eine Hauptursache für sinkendes Vertrauen in den ÖRR.“ Die Gruppe organisiert seit über zwei Jahren Mahnwachen vor Rundfunkhäusern. Mit ihrem Wunsch nach fairem und transparentem Dialog treffen Gerum und seine Mitstreiter dabei eigenen Aussagen zufolge vor allem auf „Ignoranz“. Nur etwa 15 Mal habe es bisher ein Gespräch mit Redaktionen gegeben: „Immer unter Ausschluss der Öffentlichkeit.“ Das größte Problem in Bezug auf Rundfunkräte sei die sowohl parteipolitische als auch institutionelle Verflechtung. Deshalb komme es zunehmend zu „Verkrustung und Einseitigkeit“. Die Unzufriedenheit des Publikums zeige sich daran, dass über die Plattform „Rundfunkalarm“ in den vergangenen Monaten 40.000 Programmbeschwerden eingegangen seien. „Der ÖRR wird wissentlich und absichtlich als Herrschaftsinstrument missbraucht und ist elementar für die Beeinflussung der öffentlichen Meinung“, kritisiert Gerum.

Sabine Schiffer, Professorin für Journalismus an der Media University in Frankfurt am Main, fordert die Entsendung von Räten, die mit dem Publikum in Kontakt stehen: „Und die für Transparenz und Feedback in beide Richtungen im Sinne einer Ombudsfunktion sorgen.“ Aktuell sei die Zusammensetzung nicht repräsentativ, bestätigt Schiffer gegenüber Multipolar: „Die Entsendeverfahren sind intransparent, die Klüngelei vor Ort ist eine Blackbox.“ Mangels Professionalität könnten viele Räte die journalistische Qualität oft gar nicht prüfen. Auch für Schiffer sind die Erkenntnisse aus der aktuellen OBS-Studie nicht neu. Die Professorin verweist auf die von Frankfurter Journalismus-Studenten 2023 veröffentlichte Analyse „Repräsentativität in Rundfunk- und Fernsehrat”.

Hans Mathias Kepplinger, vormals am Mainzer Institut für Publizistik tätiger Kommunikationswissenschaftler, weist im Gespräch mit Multipolar auf seine eigene Analyse aus dem Jahr 1989 hin. Sie trug den Titel: „Stachel oder Feigenblatt?“ Rundfunkräte fungieren nach den Worten des emeritierten Professors als „Auffangbecken“ für „Honoratioren“. An Kritikfähigkeit hapert es, bemerkte Kepplinger als er selbst an Sitzungen von Rundfunkräten teilnahm: „Einige Wortführer gebärdeten sich bei Kritik am Funk als Verteidiger der Anstalten gegen Kritik aus dem Publikum, daher auch der Titel meiner Studie, sie sollten Stachel sein und waren Feigenblätter.“

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