Zu gefährlich: Böll-Stiftung zieht Leiterin aus Afghanistan ab

(09.10.2012/dpa)

Gut zwei Jahre vor dem Abzug der internationalen Kampftruppen aus Afghanistan wächst die Sorge vor einer Verschlechterung der Sicherheitslage und einer Eskalation der Gewalt. Die Heinrich-Böll-Stiftung zieht ihre Büroleiterin aus Kabul zum 1. Januar 2013 ab, weil sie die Gefahr für „nicht mehr kalkulierbar“ hält. Vor einer humanitären Krise in dem Land warnte das Internationale Rote Kreuz, während eine nichtstaatliche Beobachtungsorganisation den Zusammenbruch der afghanischen Regierung befürchtet.

„Die ohnehin instabile Sicherheitslage in Afghanistan hat sich seit der Bekanntgabe des Abzugs der internationalen Truppen bis 2014 verschärft“, schreibt das Vorstandsmitglied der Böll-Stiftung, Barbara Unmüßig, am Montag in einem Internet-Statement. Für entsandtes Personal sei die Lage  mittlerweile „dramatisch“. Es gehe um die „Verantwortung für die Sicherheit und körperliche Unversehrtheit“ der Mitarbeiter, deren Bewegungsfreiheit ohnehin stark eingeschränkt sei. „Unsere Projekte in den Provinzen sind auch für lokales Personal meist nicht mehr zugänglich“, schreibt Unmüßig.

Die Büroleiterin Marion Regina Müller, derzeit die einzige deutsche Mitarbeiterin in Afghanistan, soll die Arbeit der Stiftung ab 2013 von Berlin aus steuern, während die afghanischen Mitarbeiter  unverändert vor Ort ihrer Arbeit nachgehen sollen.

Auch für die Bevölkerung werde die Lage immer schlechter, so eine Einschätzung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK). Der scheidende IKRK-Chef in Afghanistan, Reto Stocker, macht bei seiner letzten Pressekonferenz in Kabul auf das wachsende Leid der Zivilbevölkerung aufmerksam. „Seit ich im Jahr 2005 hier ankam, haben sich die lokalen bewaffneten Gruppen stark vermehrt, Zivilisten sind nicht nur zwischen einer, sondern mehreren Frontlinien gefangen, und medizinische Versorgung bei Krankheit oder Verletzung wird zunehmend schwieriger für normale Afghanen.“

Die Ausweitung des Konflikts und eine schlechter werdende Sicherheitslage behinderten humanitäre Hilfe vor allem in den Regionen, wo sie dringend benötigt werde, sagte Stocker. „Es gibt viele Orte im Land, an denen wir sein sollten, aber nicht hingehen können.“

Eine Besserung der Sicherheitslage ist laut einer Studie der International Crisis Group (ISG) nicht in Sicht. „Es besteht ein reelles Risiko, dass die Regierung in Kabul nach dem Abzug der NATO-Truppen 2014 in sich zusammenbrechen kann“, erklärte die ISG-Expertin Candace Rondeaux. „Die afghanische Armee und Polizei gehen überfordert und unvorbereitet in den Übergang“, meinte Rondeaux. Wenn die Wahl 2014 nicht gelinge, drohe ein Bürgerkrieg.

Die afghanische Regierung bezeichnete indes die düsteren Prognosen der ISG als „Unsinn und Müll“. „Unsere nationale Polizei und Armee stehen bereit, um die Seele und die Souveränität des Landes zu verteidigen“, gibt sich die Regierung siegesgewiss.

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