RKI-Aussage

Widersprüchliche Aussagen zur Risikobewertung des Robert Koch-Instituts

ARD: Lauterbach verhinderte monatelang Herabstufung der Corona-Risikobewertung / RKI: Bewertung ist auch politische Frage, steht „am Übergang zum Krisenmanagement“ / Schreyer: RKI-Aussage ist „Irreführung der Öffentlichkeit“

(Diese Meldung ist eine Übernahme von multipolar.)

Laut neu aufgetauchten E-Mails zwischen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und dem damaligen Präsidenten des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, verhinderte Lauterbach im Jahr 2022 monatelang eine vom RKI gewünschte Herabstufung der Corona-Risikobewertung. Dies berichtete Markus Grill, Chefreporter der Investigativressorts von NDR und WDR, am Mittwoch (27. November) in der ARD. Grill waren E-Mails der beiden, die dies belegen, offenbar zugespielt worden.

Das RKI habe laut den E-Mails im Februar 2022 argumentiert, dass „die Krankheitsschwere“ der Ende 2021 aufgetauchten Omikron-Variante „geringer“ ausfalle als die der vorher dominanten Delta-Variante, weshalb eine Herabstufung der Risikobewertung nötig sei. Lauterbach hielt das laut den E-Mails hingegen für „problematisch“, verwies auf „hohe Fallzahlen“ und erläuterte, eine Herabstufung sei „insbesondere vor dem Treffen der Ministerpräsidentenkonferenz das falsche Signal“. Im April 2022 entschied der Bundestag über eine allgemeine Impfpflicht. Das Vorhaben scheiterte. Erst im Mai 2022 wurde die Neubewertung erlaubt, verbunden mit dem Hinweis durch das Ministerium, diese „sollte wegen der Grundsensibilität bitte dennoch ohne mediale Ankündigung / Begleitung das Licht der Welt erblicken“, wie die ARD nun berichtet.

Lauterbach hatte wiederholt erklärt, das RKI habe „unabhängig von politischer Weisung gearbeitet“. In die wissenschaftlichen Bewertungen des Instituts hätten er selbst und die Politik sich „nicht eingemischt“. In Reaktion auf die Veröffentlichung der E-Mails erklärte Lauterbach nun, es habe sich bei der Ablehnung der Herabstufung nicht um eine politische Weisung gehandelt. Das RKI sei völlig frei in seiner wissenschaftlichen Arbeit gewesen.

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) erklärte derweil, Lauterbach habe „die Öffentlichkeit offensichtlich belogen, als er erklärte, dass das RKI völlig frei von politischer Einflussnahme entscheiden konnte“. Er habe „dem Vertrauen in die Institutionen unseres Staates erheblich geschadet“. Sein Parteikollege, der Gesundheitspolitiker Andrew Ullmann, forderte, Lauterbach müsse „sofort zurücktreten“. Die Frankfurter Allgemeine kommentierte, das RKI müsse „vor ‚politischen Wünschen‘ geschützt werden“. In der Corona-Zeit habe „der Mut“ gefehlt, „Unterschiede zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis, politischer Botschaft und politischer Entscheidung“ kenntlich zu machen.

Ganz anders als Lauterbach argumentierte das RKI gegenüber der ARD. Die Risikobewertung beruhe zwar „auf wissenschaftlichen Kriterien“, könne aber „nicht als grundgesetzlich geschützte Wissenschaft verstanden werden“, sondern habe „einen normativen Charakter“ und liege „am Übergang zum Krisenmanagement“, für das das Ministerium verantwortlich sei. Laut Multipolar-Mitherausgeber Paul Schreyer, der durch die Veröffentlichung der RKI-Protokolle die gesamte Debatte angestoßen hatte, ist diese Interpretation jedoch eine „Irreführung der Öffentlichkeit“. Denn die öffentliche Leitlinie des RKI zur Riskobewertung formuliere klar, dass die Bewertung allein auf wissenschaftlich messbaren Kriterien beruht.

Konkret heißt es in der Leitlinie, „für die Schwerebeurteilung“ würden die „genutzten drei Indikatoren Übertragbarkeit, Schwereprofil und Ressourcenbelastung mit jeweils quantifizierbaren Parametern beurteilt“. Damit sei klar, so Schreyer, dass die Risikobewertung eine rein fachliche Einschätzung sei, in der politische Erwägungen „nichts verloren“ hätten. Insofern sei die jetzige Deutung des RKI „eine Verfälschung“, was auch juristisch relevant sei. „Das RKI hätte den Vorgaben des Ministeriums widersprechen müssen“, betont der Journalist. Auch die Gerichte müssten nun aufarbeiten, inwiefern sie sich bei Ihren Urteilen zu Unrecht auf die angenommene wissenschaftliche Unabhängigkeit des RKI verlassen hätten. Das Verwaltungsgericht Osnabrück habe mit seinem jüngsten Beschluss in dieser Frage „Pionierarbeit“ geleistet.

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