Wenn wohnen zum Luxus wird
(14.08.2012/dpa)
Die Zahlen sind bedrückend: Fast die Hälfte ihres monatlich verfügbaren Geldes müssen Menschen aus einkommensschwachen Haushalten nur für ein Dach über dem Kopf ausgeben. 2010 gingen in der schwächsten Gruppe 452 von 927 verfügbaren Euro für Miete, Nebenkosten und Instandhaltung der Wohnung drauf. Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes ist die Tendenz seit Jahren deutlich steigend. Gutverdiener mit bis zu 5000 Euro Haushaltseinkommen wenden hingegen nicht einmal 25 Prozent fürs Wohnen auf.
Dabei seien weniger die Kaltmieten die Preistreiber, wie der Verband Haus&Grund immer wieder betont. Dem Bundesamt zufolge stiegen die Mietzinsen in den vergangenen zehn Jahren mit 11,4 Prozent deutlich geringer als die Verbraucherpreise insgesamt, die um 17,3 Prozent zulegten. Mietern in Ballungsräumen oder Universitätsstädten hilft das aber wenig, denn hier gehen die Mieten vor allem bei Wohnungswechseln seit Jahren steil nach oben.
Wer in seiner bezahlbaren Wohnung bleibt, muss sich Gedanken über die steigenden Heizkosten machen, den Löwenanteil der „zweiten Miete“ neben ebenfalls steigenden Steuern oder Gebühren. Nach Untersuchungen zum bundesweiten „Heizspiegel“ sind 2011 trotz des weit geringeren Verbrauchs im milden Winter die Kosten für ölbeheizte Wohnungen um fünf Prozent gestiegen. In der langfristigen Betrachtung sieht es noch weit schlimmer aus, erklärt Helmut Röscheisen vom Deutschen Naturschutzring: Die Energiekosten seien seit 1995 um 173 Prozent gestiegen, die Kaltmieten hingegen lediglich um 24 Prozent.
Darunter zu leiden haben vor allem Rentner und Menschen mit schlecht bezahlten Jobs. Die Sozialleistung Wohngeld beziehen in Deutschland nur noch rund 800.000 Menschen. 2010 wurde hier der Energiekostenzuschuss gestrichen.
Der einzige Ausweg aus dem Dilemma scheint die auch fürs Klima sinnvolle energetische Sanierung der Gebäude zu sein, doch hier ist längst ein erbitterter Streit ums Geld ausgebrochen. Denn wo Häuser aufwändig in Dämmstoff eingepackt werden, stehen schnell saftige Mieterhöhungen an, die viele Altbewohner nicht mehr tragen können. „Die rechtlichen Möglichkeiten führen zu einem sprunghaften Anstieg der Mieten, die für die Mieter über eingesparte Energie kaum wieder reinzuholen sind“, sagt der Sprecher des Deutschen ‚Mieterbundes, Ulrich Ropertz.
Die Verdrängung über den Preis löst in den Ballungsräumen einen stadtplanerisch unerwünschten Domino-Effekt von Viertel zu Viertel aus, den Soziologen als „Gentrifizierung“ bezeichnen. Brennpunkte sind beispielsweise die Berliner Stadtteile Kreuzberg und Neukölln, das Frankfurter Nordend oder das Münchner Quartier Giesing. Die Verlierer stehen von Beginn an fest: Es sind die Menschen mit dem geringsten Einkommen. Sie werden in die Peripherie abgedrängt. Stadt muss man sich künftig leisten können: „Die Wohlhabenden und die Akademiker bleiben unter sich. Und wer wegziehen muss, muss immer weiter außerhalb suchen“, beschreibt die Darmstädter Soziologin Martina Löw den Prozess.
Ein Gegenmittel wäre nach Löws Auffassung das öffentliche Engagement auf dem Wohnungsmarkt. Doch der Trend geht seit Jahren in die andere Richtung, beklagt der Mieterbund: Die öffentliche Hand verkauft weiterhin große Wohnungskontingente an private Betreiber und baut viel zu wenig nach: „Wir bräuchten mindestens das Vierfache der derzeit noch rund 10.000 neuen Sozialmietwohnungen pro Jahr“, so Ropertz. Bis 2017 würden in den Ballungsräumen rund 825.000 Mietwohnungen fehlen, falls nichts passiert.