Stimmkorrekturen rücken BSW näher an Fünf-Prozent-Hürde
Falsche Zuordnung von BSW-Stimmen geht laut Partei bereits in vierstelligen Bereich / Abgeordneter: Mehrere große Bundesländer verweigern Herausgabe von Wahllokal-Daten / Nordrhein-Westfalen ordnet Überprüfung aller Wahlkreise an
(Diese Meldung ist eine Übernahme von multipolar.)
Im Nachgang der Bundestagswahl haben sich Hinweise auf die falsche Zuweisung von BSW-Stimmen an die rechtskonservative Kleinpartei „Bündnis Deutschland“ (BD) gemehrt. Darauf wies unter anderem der BSW-Europaabgeordnete Fabio De Masi in mehreren Postings auf dem Kurznachrichtendienst „X“ hin. Menschen, die für das BSW gestimmt hatten, waren in den Tagen nach der Wahl darauf aufmerksam geworden, dass ihr Wahllokal trotzdem null Stimmen für die Partei verzeichnete. Die Betroffenen informierten daraufhin das BSW.
In einer aktuellen Stellungnahme geht de Masi davon aus, dass dieses Phänomen bundesweit in „die Tausende“ gehe und mindestens ein Drittel der für den Bundestagseinzug fehlenden rund 13.400 Stimmen ausmache. Zudem weigerten sich laut de Masi bisher einige große Bundesländer, die Daten ihrer Wahllokale zur Verfügung zu stellen. Für eine rechtzeitige Prüfung vor Verkündung des endgültigen Wahlergebnisses würden diese Informationen dringend benötigt. Die Prüfung müsse immer auf lokaler Ebene erfolgen. „In einigen Fällen sagen Kreiswahlleiter Überprüfungen von klaren Anomalien seien ihnen zu aufwändig oder es sei zu spät.“ De Masi kündigte juristische Konsequenzen für diese Fälle an.
Die Tageszeitung „Westfälischer Anzeiger“ berichtete, die Landeswahlleitung Nordrhein-Westfalen habe am 4. März alle Wahlkreise des Bundeslandes aufgefordert, eine möglicherweise falsche Zählung von BSW-Stimmen zu überprüfen. Auch an andere kleine Parteien wie die MLPD oder die Partei der Humanisten gingen laut Medienberichten Wählerstimmen, die in Wirklichkeit das BSW gewählt hatten. Zudem gebe es De Masi zufolge eine weitere „häufige Fehlerquelle“: Stimmzettel, die kein Kreuz bei der Erststimme sondern nur ein Kreuz bei der Zweitstimme aufwiesen, seien oft fälschlicherweise als ungültig erklärt worden, schrieb er. Da das BSW in vielen Wahlkreisen keinen Direktkandidaten aufgestellt hatte, seien so zahlreiche Zweitstimmen für das BSW nicht gezählt worden.
Der BSW-Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko gab gegenüber Multipolar die Größenordnung der Verwechslung und der falschen Ungültigkeitserklärung im mittleren bis oberen vierstelligen Bereich an. Je näher der endgültige Abstand der Stimmen für das BSW an der Fünf-Prozent-Hürde liege, desto „Mandats-relevanter“ würden die aufgrund zu spät versandter Briefwahlunterlagen nicht abgegeben Stimmen der Auslandsdeutschen. Im Extremfall könnte das Bundesverfassungsgericht sogar Neuwahlen anordnen, erklärte Hunko.
Ein Datenteam der Frankfurter Rundschau stellte fest, das es an einigen Orten „Auffälligkeiten zulasten des BSW“ gebe und gleichzeitig dort das BD „überraschend großen Zuspruch“ erhalten habe. Das BD habe bundesweit einen Anteil von 0,2 Prozent der Stimmen erhalten, in 43 Gemeinden jedoch mehr als zwei Prozent. Es gebe weitere Gemeinden, in denen das BD überproportional besser abschneidet als im Gesamtergebnis. In Brecht in Rheinland-Pfalz habe das BD 8,3 und das BSW null Prozent erhalten. Auch in einem Wahllokal in Aachen habe das BD 7,2 und das BSW null Prozent erreicht. Ähnliche Unstimmigkeiten seien in Delmenhorst, Heidelberg, Rostock und Berlin zu verzeichnen, heißt es bei der Frankfurter Rundschau.
Das Magazin „Der Spiegel“ weist darauf hin, dass es bereits bei der Europawahl 2024 offensichtlich zu ähnlichen Verwechslungen gekommen war. In der Korrekturtabelle der Bundeswahlleiterin zur Europawahl falle ins Auge, dass dem BD nachträglich 1.205 Stimmen abgezogen und dem BSW zusätzlich 2.808 Stimmen zugeschlagen wurden. Zählte man die im vorläufigen Ergebnis fehlenden BSW-Stimmen zusammen mit den im endgültigen Ergebnis womöglich noch immer falsch dem BD zugeordneten 1.600 Stimmen, erhalte man für die Europawahl etwa bis zu 4.400 Stimmen, die im vorläufigen BSW-Ergebnis gefehlt haben könnten. Als möglichen Grund für die Verwechslung gab der Spiegel an, das Wahlvorsteher beim Weitermelden der Ergebnisse aus den Wahllokalen die Zeilen mit den beiden Parteien vertauscht haben könnten.
Wie bei der Europawahl standen auch bei der Bundestagswahl die beiden namensähnlichen Parteien auf dem Stimmzettel direkt untereinander. Auf Nachfrage von Multipolar, warum diese bekannte Fehlerquelle nicht behoben worden sei, antwortete die Pressestelle der Bundeswahlleiterin, dies sei „rechtlich nicht möglich“ gewesen. Gemäß Paragraf 30 Absatz 3 des Bundeswahlgesetzes richte sich die Reihenfolge der Landeslisten von Parteien nach der Zahl der Zweitstimmen, die sie bei der letzten Bundestagswahl im Land erreicht haben. Die übrigen Landeslisten schlössen sich in alphabetischer Reihenfolge der Namen der Parteien an.