Sicherheitsverwahrung ist verfassungswidrig. Karlsruhe verlangt umfassende Reform
(05.05.2011/dpa)
Ausnahmslos sämtliche Regelungen zur Sicherungsverwahrung von Straftätern sind verfassungswidrig. Das hat das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch erklärt.
Das derzeitige System genüge nicht dem sogenannten „Abstandsgebot“. Demnach muss sich die Verwahrung deutlich vom regulären Strafvollzug unterscheiden. Deshalb verletze die Sicherungsverwahrung das Grundrecht auf Freiheit der Person.
Denn die Sicherungsverwahrung trifft Täter, die ihre eigentliche Strafe schon verbüßt haben, aber weiterhin als gefährlich gelten und zum Schutz der Bevölkerung eingesperrt bleiben. Dem müsse der Gesetzgeber durch ein „freiheitsorientiertes und therapiegerichtetes Gesamtkonzept“ Rechnung tragen. Erforderlich sei eine intensive therapeutische Betreuung, die „dem Untergebrachten eine realistische Perspektive auf Wiedererlangung der Freiheit eröffnet“.
Die Verwahrten müssten in besonderen Gebäuden und Abteilungen untergebracht werden, die den therapeutischen Erfordernissen entsprechen, familiäre und soziale Außenkontakte ermöglichen und über genügend Personal verfügen. Mindestens einmal im Jahr muss gerichtlich überprüft werden, ob die Täter in Verwahrung bleiben müssen.
Die Karlsruher Richter fordern eine umfassende Reform durch den Gesetzgeber. Der Gesetzgeber muss nun binnen zwei Jahren ein neues Gesamtkonzept für die gerade erst reformierte Sicherungsverwahrung schaffen (Az. 2 BvR 2365/09 u.a.).
Die Karlsruher Entscheidung bedeutet allerdings nicht automatisch die sofortige Freilassung für mehrere hundert Verwahrte. „Eine solche Situation würde Gerichte, Verwaltung und Polizei vor kaum lösbare Probleme stellen“, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle bei der Urteilsverkündung am Mittwoch in Karlsruhe. „Hochgefährliche Straftäter dürfen unter engen Voraussetzungen in Sicherungsverwahrung bleiben.“
Deshalb ordnete das Gericht eine Übergangsregelung an. Die weitere Unterbringung sei aber nur zulässig, wenn „die Gefahr künftiger schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten besteht“. Derzeit befinden sich bundesweit rund 500 Straftäter in Sicherungsverwahrung, weil sie auch nach Verbüßung ihrer regulären Strafe als gefährlich gelten.
Mit seiner Entscheidung gab das Gericht den Verfassungsbeschwerden von vier Männern aus Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen statt. Ihre Fälle müssen jetzt erneut von den Gerichten überprüft werden.