Sergej Lawrow: Ukraine darf der Nato niemals beitreten
Russischer Außenminister im Interview: „Oreschnik“-Einsatz war Botschaft an Westen, die wiederholt werden kann / Konflikt seit 2014: Ukraine und Westen haben alle drei Abkommen torpediert / Russland durch westliche Sanktionen „stärker geworden“
(Diese Meldung ist eine Übernahme von multipolar.)
Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat bekräftigt, dass die Ukraine aus Sicht Moskaus niemals Mitglied der Nato oder eines anderen Militärblocks werden dürfe. Die Neutralität der Ukraine sei ein „Schlüsselprinzip“ des russischen Sicherheitsinteresses, erläuterte er in einem am 6. Dezember veröffentlichten Interview mit dem US-Journalisten Tucker Carlson in Moskau. Dieses „legitime“ Interesse Russlands sei vom Westen über viele Jahre hinweg beständig zurückgewiesen worden – unter anderem im Dezember 2021 und Januar 2022, als die russische Führung auf ein konkretes Sicherheitsabkommen mit den USA drängte. Neben der garantierten Blockfreiheit der Ukraine dürfe es auch keine Nato-Basen oder gemeinsamen Militärübungen mit Nato-Truppen auf dem Staatsgebiet der Ukraine geben, ergänzte Lawrow.
Der Einsatz der neuen Hyperschallrakete „Oreschnik“ sei eine Botschaft an die USA und ihre Verbündeten gewesen, betonte der 74-Jährige. Sie laute: Russland ist bereit, jedes mögliche Mittel einzusetzen, um eine „strategische Niederlage“ zu verhindern. Das Signal sei besonders an die Länder gerichtet gewesen, die der Ukraine ermöglichen, mit hochentwickelten Waffensystemen auf russisches Staatsgebiet zu feuern. „Wenn einige Leute in Washington, London und Brüssel nicht fähig sind, diese Botschaft zu verstehen und die nötigen Schlussfolgerungen zu ziehen, werden wir weitere solche Botschaften schicken“, kündigte Lawrow an.
Es gebe zwar auch weiterhin direkte, nicht-öffentliche Kanäle zwischen Moskau und Washington, etwa um einen Atomkrieg zu verhindern, erläuterte der Diplomat. Allerdings teile die US-Regierung auf diesen Kanälen nichts anderes gegenüber Russland mit, als das, was sie auch sonst öffentlich sage. Der Westen plane, im kommenden Jahr eine Friedenskonferenz zu organisieren, zu der erstmals auch Russland eingeladen werde. Der Plan bestehe jedoch nicht darin, dort zu verhandeln, sondern Russland ein Ultimatum vorzulegen, sagte Lawrow, der seit 20 Jahren russischer Außenminister ist.
Die bisherigen drei Abkommen zwischen Russland und westlichen Mächten in diesem Konflikt seien allesamt von westlicher und ukrainischer Seite gebrochen worden: In der Endphase des Maidan 2014 hatte man sich auf die Bildung einer ukrainischen Regierung der nationalen Einheit und auf vorgezogene Präsidentschaftswahlen geeinigt. Pro-westliche Politiker wollten die Wahl jedoch nicht abwarten und seien von der US-Führung zum folgenden Putsch in Kiew gedrängt worden. Nach dem verfassungswidrigen Machtwechsel und dem Beginn des Bürgerkriegs in der Ostukraine handelten Russland und westliche Staaten die Minsk-Abkommen aus. Die darin vereinbarten föderalen Zugeständnisse und Minderheitenrechte für die Donbassregion seien jedoch von Kiew nie umgesetzt worden. Stattdessen habe die ukrainische Führung versucht, den Donbass militärisch zu erobern.
Kurz nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine Ende Februar 2022 trafen sich ukrainische und russische Delegationen mehrmals in Weißrussland und in der Türkei zu Verhandlungen. Die Ukraine sei im April 2022 unter anderem bereit gewesen, auf eine Nato-Mitgliedschaft zu verzichten. Dawyd Arachamija, ukrainischer Verhandlungsführer in Istanbul und Fraktionsvorsitzender der Regierungspartei, habe später erklärt, der damalige britische Premierminister Boris Johnson hätte die Ukraine aufgefordert, die Vereinbarung nicht zu unterzeichnen und weiterzukämpfen. Auf Basis der Prinzipien von Istanbul sei Russland auch weiterhin bereit, über ein Ende des Krieges zu verhandeln, unterstrich Lawrow. Allerdings müsse zusätzlich zum damaligen Verhandlungsstand auch die durch Eroberung und Referenden herbeigeführte Zugehörigkeit ukrainischer Regionen zu Russland von Kiew anerkannt werden.
Russland könne den Menschen in dieser Region nicht zumuten, wieder unter „russophobe“ ukrainische Herrschaft zu geraten, sagte Lawrow. Bis heute verhalte sich der Westen völlig „still“ gegenüber der Unterdrückung russischer Minderheitenrechte in der Ukraine. Seit 2017 haben Kiewer Regierungen zahlreiche Schritte gegen die russische Sprache und Kultur in der Ukraine sowie gegen russischsprachige Medien und die ukrainische orthodoxe Kirche unternommen, kritisierte Lawrow, der seit 1972 im diplomatischen Dienst Moskaus tätig ist. „Die Menschenrechte der russischsprachigen Ukrainer wurden in der Ukraine gesetzlich ausgelöscht.“ Westliche Staatsführer, die sonst „bei jedem Konflikt“ auf die Wahrung der Menschenrechte hinwiesen, ignorierten die Handlungen der ukrainischen Regierung jedoch vollständig.
Die USA kämpften dafür, ihre Hegemonie über die Welt aufrecht zu erhalten, deshalb dürften sie einen russischen Sieg in dem Konflikt nicht zulassen. In der Ukraine setze sich Washington zudem für ein „Regime“ ein, das die natürlichen und menschlichen Ressourcen des Landes dem Westen überlassen wolle, kritisierte Lawrow. Hätte es 2014 keinen Putsch in der Ukraine gegeben, so wäre es nicht zum Krieg gekommen und alle inzwischen von Russland besetzten Territorien würden weiterhin zur Ukraine gehören, erklärte der Außenminister. Es sei nicht per se schlecht, eine pro-westliche politische Einstellung zu haben. Schlecht sei, den Einwohnern eines Landes eine Entweder-Oder-Entscheidung hierüber aufzuzwingen. Dies sei sowohl in der Ukraine als auch in Georgien von westlicher Seite forciert worden.
Zu den westlichen Sanktionen gegen Russland sagte Lawrow, zwar wünschten sich viele Menschen in seinem Land die Aufhebung der wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen. „Aber je länger wir unter den Sanktionen leben, desto mehr verstehen wir, dass es besser ist, sich auf sich selbst verlassen zu können.“ Es sei sinnvoller, „Mechanismen“ zu entwickeln, um mit „normalen Ländern“ zu kooperieren, die Russland gegenüber freundlich eingestellt sind und Wirtschaft nicht mit Politik vermischen. Russland habe durch die Sanktionen, die bereits unter US-Präsident Barack Obama begannen, viel gelernt. Auch Donald Trump sei nicht pro-russisch, betonte Lawrow. Während dessen erster Amtszeit von 2016 bis 2020 habe es sehr viele US-Sanktionen gegen Russland gegeben. Die Sanktionen der Biden-Regierung seit 2022 seien zwar „beispiellos“, hätten Russland jedoch „stärker gemacht“.