Verfassungsschutz Thüringen

Schwere Vorwürfe gegen Thüringer Verfassungsschutz-Präsidenten

Disziplinarverfahren gegen Stephan Kramer wegen Verstoß gegen Amtsverschwiegenheit / Entlastendes Gutachten im AfD-Verfahren zurückgehalten / Weiterer Vorwurf: Gewaltdrohung gegen Mitarbeiter

(Diese Meldung ist eine Übernahme von multipolar.)

Gegen den Präsidenten des Thüringer Amtes für Verfassungsschutz (AfV), Stephan Kramer, gibt es schwerwiegende Vorwürfe. So bestand 2019 der „Verdacht eines schweren Dienstvergehens“, berichtet „Apollo News“ (9. Dezember) und präsentiert dabei Auszüge aus internen Schreiben des Thüringer Innenministeriums. „Kramer soll sich mit Journalisten über unliebsame Mitarbeiter ausgetauscht haben“, heißt es in dem Artikel. Damit hätte der AfV-Präsident gegen die Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit verstoßen, woraus sich der Verdacht ergebe, dass Kramer ein „ernsthaftes Sicherheitsrisiko“ darstellt, zitiert „Apollo News“ aus dem Dokument des Innenministeriums. Das Online-Medium stützt sich bei seiner Berichterstattung auf eine Vielzahl interner Dokumente sowie Insider-Berichte.

Hintergrund des Disziplinarverfahrens gegen Kramer waren Äußerungen gegenüber zwei Journalisten des MDR. Ein Mitarbeiter des Thüringer Verfassungsschutzes soll den beiden Journalisten laut dem Artikel im Jahr 2018 ein Foto angeboten haben, dass Kramer kurz vor seinem Amtsantritt im Jahr 2015 privat bei einer Kranzniederlegung der „Motorrad-Rockerszene“ gemeinsam mit dem russischen Motorrad-Club „Nachtwölfe“ zeigt. Die Veranstaltung sei vom Verfassungsschutz observiert worden. Die beiden MDR-Journalisten lieferten den Mitarbeiter jedoch direkt an dessen Vorgesetzten aus, heißt es bei „Apollo News“. Dies sei in „Chatverläufen“ dokumentiert und von Kramer selbst ans Innenministerium weitergegeben worden.

Der Mitarbeiter verlor anschließend seinen Posten im AfV. Jedoch seien wegen der Gespräche Kramers mit den Journalisten auch disziplinarrechtliche Ermittlungen gegen den Thüringer Verfassungsschutz-Chef selbst aufgenommen worden. Er könnte „streng vertrauliche Informationen über ernsthafte Funktionsstörungen und innerdienstliche Spannungen im AfV weitergegeben“ haben. „Konkret besteht der Verdacht, dass Herr Kramer gegenüber den Journalisten offengelegt hat, dass mehrere Beamte im AfV gegen den Präsidenten arbeiten“, heißt es in dem Papier des Ministeriums.

Die Berichterstattung wirft auch ein neues Licht auf die Bewertung der AfD durch den Verfassungsschutz. Zunächst wurde die Partei 2018 als Prüffall eingestuft, wobei der Präsident laut interner Mitteilungen das zuständige Fachreferat außen vor ließ. Die Abteilung sei „weder unterrichtet – geschweige denn beteiligt – worden“, heißt es. Intern gelte die Einordnung als Kramers „Privatentscheidung“.

Als die AfD drei Jahre später vom AfV als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft wurde, geschah dies auf Basis eines einzigen Gutachtens eines Politikwissenschaftlers. Intern gab es ergänzend jedoch ein weiteres Gutachten, das laut Apollo-News die AfD-Einstufung infrage stellt, da unter anderem die „Indemnität“ missachtet wurde. Sie besagt, dass Abgeordnete weder aufgrund von Äußerungen noch ihres Abstimmungsverhaltens außerhalb des Parlaments verfolgt werden dürfen. Kramer soll die Verwendung des Gutachtens untersagt haben. Er wolle „dem Gegner keine Argumente liefern“, zitiert „Apollo News“ aus Zeugenaussagen. Der Verfasser des Gutachtens ist dem Bericht zufolge beim Innenministerium vorstellig geworden, ihm sei von Stephan Kramer körperliche Gewalt angedroht worden. Weder Kramer noch das Innenministerium nahmen laut „Apollo News“ Stellung zu den Vorwürfen.

Stephan Kramer ist Mitglied der SPD. Er sagte im Oktober in einem Interview mit der Thüringer Allgemeinen, dass er ein Verbot des Thüringer Landesverbands der AfD befürworte. Auf Bundesebene ergebe das keinen Sinn, solange die Bundespartei nicht vom Bundesamt für Verfassungsschutz als erwiesen extremistisch eingestuft ist. Kramer ist Sozialpädagoge mit Fachhochschulabschluss und erfüllt damit nicht die Vorgaben des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes. Regulär müsste er die Befähigung zum Richteramt aufweisen, was 2015 den damaligen Innenminister Holger Poppenhäger (SPD) und den Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Die Linke) nicht von seiner Berufung abhielt.

Mario Voigt (CDU), der diese Woche zum neuen Ministerpräsidenten Thüringens gewählt werden will, schweigt wie fast alle anderen Politiker zum Fall Kramer. Die AfD-Parteivorsitzende Alice Weidel fordert auf „X“ „transparente Aufklärung“. Der BSW-Europaabgeordnete Friedrich Pürner kritisiert ebenfalls auf „X“ den SPD-Innenminister Georg Maier, der für den Verfassungsschutz zuständig ist. Das BSW plant in Thüringen eine Minderheitsregierung mit CDU und SPD. Seine Partei müsse handeln, um glaubwürdig zu bleiben. Maier dürfe nicht Minister bleiben. „Das BSW steht vor der Herausforderung, seine Rolle in diesem politischen Drama zu definieren und zu zeigen, dass es für Veränderung und Integrität in der Politik steht“, erklärt Pürner. „Apollo News“ berichtet zudem von ersten Stimmen aus FDP und CDU, die Kramers Eignung für das Amt infrage stellen.

Der Publizist, Verfassungsschutz-Experte und ehemalige Landesminister in Mecklenburg-Vorpommern, Mathias Brodkorb (SPD), bewertet in einem Beitrag für das Magazin „Cicero“, die Tatsache, dass all diese Informationen nun öffentlich geworden sind, als „Katastrophe für die Verfassungsschützer und den Staat“. Es handele sich um ein „regelrechtes Scheunentor für interne Informationen und geheime Dokumente“. Besonders deutlich werde dies dadurch, das Bestandteile der Personalakte von Kramer öffentlich wurden. Brodkorb resümiert: „Man kann die Demokratie nicht glaubhaft verteidigen, wenn an der Spitze des Verfassungsschutzes ein Mann steht, der nach den unwidersprochenen Recherchen von Apollo News selbst geltendes Recht gebrochen haben könnte.“ Personelle Konsequenzen seien unausweichlich. „Als Alternative bleibt nur, dass das Ministerium die Vorwürfe ausräumt.“

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