Russland, China, USA: Reaktionen auf deutsche Bundestagswahlen
Erfolge von AfD und Linken als Zeichen der Wähler-Unzufriedenheit / Russischer Politologe: Merz wird „instabiler Kanzler“ / Chinesische Medien rechnen mit „angespannten Beziehungen“ / Atlantic Council: Oppositionsparteien nutzen Friedensagenda als „Deckmantel“
(Diese Meldung ist eine Übernahme von multipolar.)
Kommentatoren in Russland, China und den USA interpretieren das Ergebnis der Wahl zum Deutschen Bundestag als deutliche Unmutsbekundung der Bevölkerung. Sowohl die Verluste der Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP als auch die Verdoppelung der Zustimmungswerte für die AfD unterstrichen diese These. In Russland haben die befragten Fachleute und Journalisten jedoch kaum Hoffnung, dass sich der politische Kurs unter einem Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) deutlich ändert und die deutsch-russischen Beziehungen wieder verbessert würden. Chinesische Kommentatoren hoffen trotz der vorangegangenen chinakritischen Rhetorik des Wahlsiegers auf ökonomischen „Pragmatismus“ Deutschlands. Der „Atlantic Council“ in Washington warnt vor deutschen Parteien an politischen Rändern wegen deren „Friedensagenda“.
Das Online-Magazin „Tatar-Inform“ aus Kasan erklärt, ohne die „virulent russophobe“ Annalena Baerbock als Außenministerin gebe es möglicherweise Veränderungen in der deutschen Russland-Politik. Der Politologe Nikolai Topornin erklärte gegenüber der russischen Tageszeitung „Gazeta.ru“, Merz werde für eine wahrscheinliche Koalition mit der SPD einige seiner Positionen aufgeben müssen. Vermutlich werde Merz ein „instabiler Kanzler“ und vorgezogene Neuwahlen erschienen abermals nicht unwahrscheinlich. Der Politologe Andrej Kortunow meint, die Haltung der neuen deutschen Regierung gegenüber Moskau werde maßgeblich davon abhängen, ob es gelingt, die Beziehungen zur Trump-Administration zu verbessern. Sollten Berlin und Washington sich verständigen, werde der bisherige Kurs im wesentlichen bestehen bleiben.
Jurij Samonkin, Präsident des Eurasischen Instituts für Forschung und Unterstützung von Jugendinitiativen, gibt sich im Gespräch mit der russischen Nachrichtenagentur „RIA Novosti“ hingegen optimistischer. Ihm zufolge wird Merz zwar voraussichtlich den „russophoben und auf Eskalation in der Ukraine gerichteten“ Kurs fortsetzen, könnte jedoch innerhalb eines Jahres seine Taktik ändern. Bei den Friedensverhandlungen zur Ukraine dürfe die EU nicht mitreden und besitze nicht genug Finanzkraft um Kiew ausreichend allein zu unterstützen, sagte Samonkin. Er vermutet, Merz werde zwar weiter Waffenlieferungen an die Ukraine befürworten, aber zugleich Wladimir Putin anrufen, um die Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Beziehungen zu besprechen, da diese in deutschem Interesse lägen.
Der Kreml selbst gibt sich hinsichtlich der Zukunft der deutsch-russischen Beziehungen verhaltener. Dmitri Peskow, Sprecher von Präsident Wladimir Putin, sagte, in Russland hoffe man bei jedem Regierungswechsel im Westen auf einen „nüchterneren Umgang“ der neuen Politiker mit der Realität und mit gemeinsamen Interessen. „Aber wie es wirklich sein wird, werden wir sehen müssen.“ Der russische Außenminister Sergej Lawrow erklärte, Friedrich Merz Äußerungen über Russland seien „bislang feindselig“ gewesen. Im Gegensatz zum bisherigem Kanzler Olaf Scholz (SPD) sei Merz für die Lieferung deutscher Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine, um Russland damit zu beschießen, betonte Lawrow. „Wenn Deutsche solche Ideen entwickeln, weckt das sicherlich Erinnerungen. In erster Linie sollte es die Deutschen selbst zum Nachdenken anregen.“
Die „South China Morning Post“ aus Hongkong warnt in einem Kommentar des Herausgebers, dass China sich nach dem Sieg von Friedrich Merz auf „angespannte Beziehungen“ zu Deutschland einstellen müsse. Merz bezeichne China regelmäßig als „zunehmende Bedrohung“ für die deutsche Sicherheit, kritisiert das Magazin. In Peking hoffe man nun auf denselben „Pragmatismus“ in Berlin, den die vorangegangenen Regierungen unter Angela Merkel und Olaf Scholz China gegenüber gezeigt hätten. Das wirtschaftliche „Schicksal“ beider Länder sei eng miteinander verflochten: China sei der zweitgrößte Handelspartner Deutschlands, während Deutschland der größte Handelspartner Chinas sei. Merz müsse die bilaterlane Beziehungen „mit Bedacht“ gestalten.
Das staatliche chinesische Auslandsmedium „China Daily“ sieht „viele Herausforderungen“ für die neue deutsche Regierung „am Horizont“. Die Bundesrepublik befinde sich im „Umbruch“. Es gebe wachsende innenpolitische Sorgen und die transatlantischen Spannungen nähmen zu. In wirtschaftspolitischen Fragen werde es „starke Meinungsverschiedenheiten“ zwischen CDU und SPD geben, zitiert das Medium den deutschen Ex-Diplomaten Wolfgang Röhr, der als Generalkonsul in Shanghai tätig war und nun an der Tongji-Universität in der Küstenmetropole als Professor arbeitet. Merz sei ein „Transatlantiker“, der unbedingt versuchen werde, gute Beziehungen zu den USA aufrechtzuerhalten. Allerdings sei unklar, wie weit er dabei gehen werde.
US-Präsident Donald Trump sagte zum deutschen Wahlergebnis, ähnlich wie in den USA sei das deutsche Volk der „Agenda ohne gesunden Menschenverstand“ müde, insbesondere in den Bereichen Energie und Immigration, die seit so vielen Jahren vorangetrieben worden sei. Es sei „ein großartiger Tag für Deutschland und die Vereinigten Staaten“, kommentierte er den Wahlausgang.
Bei der transatlantischen Lobby-Organisation „Atlantic Council“ in Washington betrachtet man die Parteien AfD und Linke als große Wahlsieger. Unter dem „Deckmantel einer Friedensagenda“ stellten beide Parteien Deutschlands Nato-Beteiligung infrage und besäßen große Sympathie für Russland, heißt es. Das Wahlergebnis sei aber auch eine Chance für Friedrich Merz, Veränderungen in der deutschen Wirtschaft oder bei Militärausgaben herbeizuführen. Bezüglich dessen, was Washington von einer neuen Bundesregierung zu erwarten hat, glauben die Kommentatoren des „Atlantic Council“, Merz werde die deutsche Politik wieder mehr Richtung EU orientieren und den USA öfter die Stirn bieten.