Resolutionsweltmeister Israel treibt Siedlungsbau voran – der „tiefen Beunruhigung“ aus Deutschland, den USA & Co. zum Trotz
Am kommenden Montag will der fünfzehnköpfige UN-Sicherheitsrat einen Resolutionsentwurf über die sofortige und vollständige Einstellung der israelischen Siedlungsaktivitäten in den besetzten Palästinensergebieten prüfen. Diesen hatten die Vereinigten Arabischen Emirate eingereicht. Zuvor war bekannt geworden, dass Israel seinen illegalen Siedlungsbau massiv ausweiten will.
Trotz internationaler Kritik, auch von befreundeten Staaten wie Deutschland und den USA, weitet Israel unter der neuen ultrarechten Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu seinen völkerrechtswidrigen Siedlungsbau aus. Neun nach israelischem Recht bisher illegale Siedlungsaußenposten im besetzten Westjordanland sollen nun offiziell legalisiert werden. Das hatte das israelische Sicherheitskabinett am Sonntag beschlossen. Außerdem sollen bestehende Siedlungen ausgebaut werden, sodass rund 10.000 neue Siedlungseinheiten für jüdische Siedler in den Palästinensergebieten genehmigt werden. Im besetzten Westjordanland und Ost-Jerusalem leben bereits 475.000 jüdische Siedler. Zum Anlass für die neuerliche Ausweitung nahm die israelische Regierung zwei tödliche palästinensische Anschläge am Jahresanfang. Die Legalisierung der Siedlungen sei „die wahre Antwort auf den Terror“ und „ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung“, führte der israelische Finanzminister Bezalel Smotrich aus. 1
Ihre tiefe Beunruhigung über Israels Vorgehen hatten in einer gemeinsamen Erklärung Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und ihre Amtskollegen aus Frankreich, Italien, Großbritannien und den USA zum Ausdruck gebracht: „Wir lehnen diese einseitigen Maßnahmen entschieden ab, die lediglich dazu geeignet sind, die Spannungen zwischen Israelis und Palästinensern zu verschärfen und die Bemühungen um die Aushandlung einer Zweistaatenlösung zu untergraben.“
Von ihrer Siedlungspolitik ließ sich die frisch gewählte israelische Regierung aber auch nicht von der Resolution der UN-Generalversammlung abbringen, die Ende 2022 für eine Prüfung der seit 1967 andauernden Besatzung palästinensischer Gebiete durch den Internationalen Gerichtshof gestimmt hatte. „Wie Hunderte von anderen verqueren Resolutionen der UN-Vollversammlung gegen Israel wird auch die heutige Resolution die israelische Regierung nicht verpflichten“, gab sich Netanjahu unbeeindruckt. „Das jüdische Volk hält sein Land nicht besetzt und besetzt auch nicht seine ewige Hauptstadt Jerusalem.“ 2 Er habe das israelische Außenministerium angewiesen, alle Kontakte zu den Vereinten Nationen zu überprüfen, inklusive der Finanzierung der UN und der Anwesenheit von israelischen Vertretern bei der UN, setzte Netanjahu noch einen drauf. 3
Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas hatte vor Kurzem bei einer Konferenz der Arabischen Liga in Kairo betont, dass Palästina den UN-Sicherheitsrat um eine Resolution zum Schutz der Zweistaatenlösung ersuchen werde. „Wir werden zu den Vereinten Nationen und ihren verschiedenen Agenturen, inklusive Sicherheitsrat, gehen, um gegen die israelischen Praktiken vorzugehen, die alle roten Linien überschritten haben“, so Abbas. Die Palästinenser würden sich um eine Vollmitgliedschaft bei den Vereinten Nationen und den Stopp des israelischen Siedlungsbaus bemühen. 4
Endlose Reihe von Resolutionen und kein Effekt
Die erwartete Resolution des UN-Sicherheitsrates ist nur eine in einer langen Liste. Zwischen 2015 und 2022 hat die Organisation UN Watch insgesamt 140 Resolutionen der UN-Generalversammlung zu Israel gezählt. Im selben Zeitraum hat der UN-Menschenrechtsrat 99 Resolutionen gegen Israel verabschiedet. Allein 2022 waren es fünfzehn Resolutionen, die die UN-Generalversammlung gegen Israel verabschiedet hatte. Diese trugen Titel wie „Der besetzte syrische Golan“, „Israelische Siedlungen im besetzten palästinensischen Gebiet“, „Eigentum und Einkommen palästinensischer Flüchtlinge“, „Das Recht des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung“ oder allgemein „Palästina-Frage“. Auf den Rest der Welt entfielen 2022 lediglich zwölf Resolutionen: eine gegen die USA wegen des Embargos gegen Kuba, jeweils eine wegen Menschenrechtsverletzungen gegen Nordkorea, Afghanistan, Myanmar, Syrien und Iran, und sechs gegen Russland im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg. Einsamer Spitzenreiter in Sachen Resolutionen war Israel auch in den Jahren zuvor. So entfielen in dem Zeitraum von 2015 bis 2022 lediglich 68 Beschlüsse der UN-Generalversammlung auf andere Länder gegenüber den 140 Resolutionen zu Israel. 5
Nachdem Israel auch im vorletzten Jahr vierzehn Resolutionen kassiert hatte, kritisierte Hillel Neuer, Geschäftsführer von UN Watch, die Vereinten Nationen und warf ihnen eine Dämonisierung Israels vor: „Der UNO-Angriff auf Israel mit einer Flut von einseitigen Resolutionen ist surreal. Es ist absurd, dass im Jahr 2021 von etwa zwanzig Resolutionen der UN-Generalversammlung, die spezifische Länder kritisieren, vierzehn – das entspricht 70 Prozent – auf ein einziges Land ausgerichtet waren: Israel. Machen Sie sich keine Illusionen: Der einzige Zweck dieser einseitigen Verurteilungen ist es, den jüdischen Staat zu dämonisieren.“ Zugleich monierte Neuer, dass die Versammlung mit einer überwältigenden Mehrheit von 168 zu fünf Stimmen bei zehn Enthaltungen für die Resolution „Recht des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung“ gestimmt hatte. Es gebe Hunderte Selbstbestimmungsansprüche in der Welt, aber die UN-Generalversammlung greife ausgerechnet den palästinensischen heraus, ohne die Palästinenser zu verpflichten, vor der Gründung eines Staates die terroristischen Strukturen zu beseitigen, so Neuer. „Der unverhältnismäßige Angriff der UNO auf den jüdischen Staat untergräbt die Glaubwürdigkeit eines angeblich unparteiischen internationalen Gremiums. Wenn die Generalversammlung der Politisierung und Parteilichkeit nachgibt, indem sie Israel einseitig diskriminiert, dann verletzt sie die in der UN-Charta garantierte Gleichbehandlung aller Nationen, ob groß oder klein.“ 6
Die NGO UN Watch machte sich bereits einen Namen, indem sie häufig die ihrer Ansicht nach israelfeindlichen und antisemitischen Äußerungen bei den Vereinten Nationen kritisierte. Ihr Geschäftsführer dürfte von israelischer Seite nicht der einzige sein, der nicht nur uneinsichtig auf die internationale Verurteilung von Israels Umgang mit den Palästinensern reagiert, sondern sogar von ungerechter Behandlung und Diskriminierung spricht. Und wenn man sich die Entwicklung des international von Beginn an höchst umstrittenen israelischen Siedlungsbaus über die Jahre ansieht, so hat sich auch die israelische Regierung nicht durch die wiederholte Verurteilung beirren lassen, wofür die jüngste Legalisierung der neun Siedlungen ein frischer Beleg ist. Wie der israelische Journalist und Ökonom Shvir Hever im Interview mit acTVism Munich erklärte, gebe sich die neue ultrarechte Regierung Netanjahus inzwischen auch nicht mehr die Mühe, den illegalen Siedlungsbau auf der internationalen Bühne zu rechtfertigen. Sie räume vielmehr offen ein, dass dieser permanent und somit illegal ist. 7 Dass sie das tut, spricht dafür, dass sie keine echten Konsequenzen vonseiten der Weltgemeinschaft fürchtet, Resolutionen hin oder her. Und das, obwohl der UN-Sicherheitsrat Israel bereits Ende 2016 zu einem vollständigen Siedlungsstopp in den besetzten Palästinensergebieten aufgefordert hatte. Sollte sich im Umgang mit dem Nahostkonflikt nicht grundsätzlich etwas ändern, bedeutet das für die Palästinenser wohl mittelfristig, dass sie auch noch die letzten Gebiete verlieren werden. Oder wie ein russisch-jüdischer Fremdenführer der Autorin bei einem Besuch in Jerusalem bereits 1995 mit Blick auf den arabisch geprägten Ostteil der Stadt sagte: Wir werden es noch zu unseren Lebzeiten sehen, wie dieses ganze Gebiet jüdisch wird.
Quellen
1https://www.tagesschau.de/ausland/israel-siedlungsbau-117.html
2https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/netanjahu-kritisiert-un-entscheidung-zu-israel-18571792.html
3https://www.deutschlandfunk.de/resolution-gegen-siedlungsbau-israel-ueberprueft-100.html
4https://www.middleeastmonitor.com/20230212-palestinian-president-says-to-seek-un-resolution-to-protect-2-state-solution/
5https://www.israelnetz.com/resolutionen-verurteilen-vor-allem-israel/
6https://www.mena-watch.com/uno-in-2021-14-anti-israel-resolutionen-und-4-gegen-alle-anderen-laender/
7www.youtube.com/watch?v=BqEfk6-WhB4