Reaktion auf Europawahl

Politik der Bundesregierung Grund für Europawahlschlappe der Ampel

Vertreter von SPD, FDP und Grünen machen Bundespolitik und Koalitionspartner für Verluste verantwortlich / ARD-Journalist: Vertrauensverlust in Politik liegt auch an fehlender Corona-Aufarbeitung

Der Anfang der Ampel: SPD, Grüne und FDP unterzeichnen den Koalitionsvertrag (von links: Annalena Baerbock, Saskia Esken, Robert Habeck, Olaf Scholz und Christian Lindner)
Foto: Sandro Halank, Wikimedia Commons, Lizenz: CC BY-SA, Mehr Infos

(Diese Meldung ist eine Übernahme von multipolar)

Politiker und Journalisten machen im Wesentlichen die Arbeit der Bundesregierung für die Wahlniederlage der „Ampelparteien“ bei den Europawahlen verantwortlich. Vertreter von SPD, FDP und Grünen weisen sich dabei zum Teil gegenseitig die Verantwortung für das Wahlergebnis zu. So erklärte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert den Stimmverlust seiner Partei unter anderem mit einer „Kontaktschande“ der SPD wegen ihrer beiden Koalitionspartner, die von „der Bevölkerung sehr stark abgelehnt“ würden.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) erklärte, ein wesentlicher Grund für das schlechte Abschneiden der Grünen in seinem Bundesland sei „die Arbeit der Bundesregierung in Berlin“, die die Grünen im Südwesten Deutschlands „wie in einem Sog“ mit nach unten ziehe. Zudem wachse die gesellschaftliche Skepsis, „ob Grüne die richtigen Antworten auf die Fragen der Zeit haben“, sagte Kretschmann. Hierzu zähle er etwa das Thema Migration. Svenja Appuhn, Co-Chefin der Grünen Jugend, forderte ihre Partei auf, die „Alltagssorgen“ der Bürger wieder ernst zu nehmen. Die Menschen sorgten sich um den Arbeitsplatz und steigende Preise und befürchteten, dass Klimaschutz das Leben verteuere.

Der Journalist und frühere Leiter des ARD-Studios in Brüssel, Rolf-Dieter Krause, argumentierte in der Phoenix-Runde, es habe in großen Teilen der Bevölkerung einen Vertrauensverlust in die etablierte Politik gegeben. Krause nannte die nicht aufgeklärte Rolle von Bundeskanzler Scholz in der Cum-Ex-Affäre, die nicht aufgearbeitete Pfizer-Affäre rund um EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) sowie die angesichts der Veröffentlichung der Protokolle des RKI und des Expertenrats nicht aufgearbeitete Corona-Krise als Beispiel. Die Kritiker der Corona-Maßnahmen hätten „sehr recht gehabt“, und die Politiker hätten die Bevölkerung belogen, „dass es nur so krachte“. Eine Aufarbeitung dieser Vorgänge, die „bei vielen Leuten eine große Rolle“ spiele, fände weder in den Medien noch in der Politik statt.

Die Parteien der Ampelkoalition haben im Vergleich zur letzten Europawahl zum Teil erhebliche Stimmverluste zu verzeichnen. Hätte es sich am vergangenen Sonntag um eine Bundestagswahl gehandelt, hätte die Ampelkoalition nur noch einen Anteil von 31,1 Prozent der abgegebenen Wählerstimmen erreicht. Erhebliche Zuwächse erhielten folglich die Union und die AfD. Das BSW schaffte es aus dem Stand auf 6,2 Prozent, während die Linke auf 2,7 Prozent abrutschte und in einem neuen Bundestag nicht mehr vertreten wäre. Laut Tagesschau betrachteten rund die Hälfte der Wähler in Deutschland die Europawahl als „gute Gelegenheit, der Bundesregierung einen Denkzettel zu verpassen“.

Die „Berliner Zeitung“ suchte in einem Beitrag Erklärungen für das sich stark vom Westen unterscheidende Wahlverhalten der Ostdeutschen. Das Ergebnis sei ein „Stinkefinger für realitätsferne Parteien“. Seit Jahren weigerten sich „die in ihren West-Zirkeln verharrenden Parteispitzen, den im Osten aufgestauten Ärger ernsthaft wahrzunehmen“. Die Bundespolitik werde immer mehr dominiert von Menschen ohne Lebenserfahrung, teils ohne Bildung, die von vielen Bürgern als wirklichkeitsferne „Weltverbesserer und Volksumerzieher“ wahrgenommen würden, heißt es in dem Kommentar. Der „enorme Asylbewerberzustrom“ überfordere das Sozial- und Bildungssystem hierzulande. Die „grüne Transformation“ erscheine als „bedrohliches Monster statt als Zukunftschance“.

Der erhebliche Stimmenverlust der Grünen von rund acht Prozentpunkten sei laut „Frankfurter Rundschau“ auf einen Einbruch insbesondere bei den jungen Wählern zurückzuführen. Erreichte die Partei bei der Europawahl 2019 bei den unter 30-Jährigen noch einen Stimmanteil von 33 Prozent, so sei dieser 2024 auf zwölf Prozent gefallen. Laut „Tagesschau“ habe sich die Wahl in Deutschland diesmal sehr stark um Fragen der Friedenssicherung, der sozialen Sicherheit und der Zuwanderung gedreht. „Themen, bei denen den Grünen weniger Kompetenzen zugeschrieben werden, als anderen Parteien.“

Die Tagesschau-Analyse (10. Juni) attestiert auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) direkte Mitverantwortung für das schlechte Europawahlergebnis seiner Partei. Obwohl er gar nicht für das EU-Parlament kandidierte und trotz seiner großen Unbeliebtheit in der Bevölkerung habe die SPD bewusst Wahlplakate aufgehängt, auf denen Scholz neben Spitzenkandidatin Katarina Barley abgebildet war.

Die FDP hat mit 5,2 Prozent zwar weniger als halb so viele Stimmen eingefahren wie bei der letzten Bundestagswahl im September 2021, trotzdem bezeichneten Finanzminister Christian Lindner und die Spitzenkandidatin zur Europawahl Marie-Agnes Strack-Zimmermann das Ergebnis als „starkes Signal der Stabilisierung“ und als „persönlichen Erfolg“ Strack-Zimmermanns. Auch die FDP habe als Mitglied der Ampelkoalition viele Sympathien in der Bevölkerung verloren, erläutert die „Tagesschau“. Zudem bröckele infolge der FDP-Bundespolitik laut Umfragen auch der „Markenkern“ der Partei – die Wirtschaftskompetenz.

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