Oppositionelle Medien kritisieren Boris Pistorius
Verteidigungsminister: Regierungskritische Medien werden in Deutschland nicht ausgeschlossen / Ausgeschlossener Journalist Reitschuster wirft Pistorius Realitätsverweigerung vor / Unabhängige Medien unter Druck durch Kontokündigungen, Kanallöschungen und Landesmedienanstalten
(Diese Meldung ist eine Übernahme von multipolar.)
Oppositionelle Medienmacher und Politiker äußern sich ablehnend bis erstaunt zur Aussage von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), regierungskritische Journalisten würden in Deutschland nicht benachteiligt. Pistorius hatte bei der Münchner Sicherheitskonferenz auf die Vorwürfe von US-Vizepräsident J.D. Vance, Europa ziehe sich von der Meinungsfreiheit zurück, erwidert: „In unseren Pressekonferenzen werden übrigens auch Medien zugelassen, die russische Propaganda verbreiten, und die Vertreter der Bundesregierung müssen ihnen Rede und Antwort stehen.“ Niemand werde ausgeschlossen, nur weil er „unser Wording“ nicht teile.
Allerdings sind russische Staatsmedien in Deutschland verboten und auf Pressekonferenzen der Bundesregierung somit nicht zugelassen. Die deutsche Medienaufsicht hatte dem Fernsehsender „RT DE“ bereits Anfang Februar 2022 die Verbreitung seines Programms per Satellit, per App sowie per Online-Livestream untersagt. Einen Monat später waren das gesamte Angebot von „Russia Today“ (RT) und das staatliche russische Nachrichtenportal „Sputnik“ von der Europäischen Union (EU) verboten worden. Auf Multipolar-Nachfrage, welche Medien Pistorius mit seiner Aussage meint, wollte das Wahlkampfbüro des SPD-Politikers nicht antworten. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums erklärte gegenüber Multipolar, er habe „der Rede des Bundesministers nichts hinzuzufügen“.
Albrecht Müller, früherer Planungschef im Bundeskanzleramt unter den SPD-Bundeskanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt, bezeichnete die Aussagen des Verteidigungsministers als „verwegen und deplatziert“. Müller geht davon aus, dass die von ihm herausgegebenen „Nachdenkseiten“ von Pistorius gemeint waren. Das Online-Magazin ist durch Redakteur Florian Warweg in der Bundespressekonferenz (BPK) vertreten. Warweg hatte zuvor mehrere Jahre für „RT DE“, den deutschen Online-Ableger von „Russia Today“, gearbeitet. Als Redakteur für die „Nachdenkseiten“ war ihm der Zugang zur BPK verweigert worden. Erst nach einer juristischen Klage vor dem Berliner Landgericht hatte Warweg Zugang erhalten. Anfang 2024 wurde er von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) auf einer Pressekonferenz als „Berichterstatter Russlands“ bezeichnet. In früheren Artikeln hatten die „Nachdenkseiten“ zudem darauf aufmerksam gemacht, dass das regierungsfinanzierte „Zentrum Liberale Moderne“ gezielt mit Projekten und einem „Diffamierungsportal“ gegen regierungskritische Medien vorgeht.
Der Journalist Boris Reitschuster zeigte sich in einer Video-Stellungnahme erstaunt über die Aussage von Pistorius. Denn Reitschuster selbst sei „das lebende Beispiel“ dafür, dass Journalisten von der Bundespressekonferenz ausgeschlossen werden. Die politischen Führungskräfte Deutschlands leben in einer „parallelen Realität“, kritisierte er. Dies erinnere ihn an das „Ende der DDR“. Im Jahr 2021 hatte der Mitgliederausschuss der Bundespressekonferenz entschieden, Reitschusters Mitgliedschaft zu beenden, nachdem die Süddeutsche Zeitung Vorwürfe wie „Desinformation“ und „Propaganda“ gegen ihn erhoben hatte. Reitschuster hatte in der Bundespressekonferenz insbesondere kritische Fragen zur Corona-Politik der Regierung gestellt.
Andrej Hunko vom Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) sagte Multipolar, die Aussagen von Pistorius seien „geprägt von selbstgefälliger Realitätsverweigerung“. Der Verteidigungsminister ignoriere sowohl die „rechtswidrige Annullierung der Wahl in Rumänien“ als auch „den Ausschluss von kritischen Journalisten aus der deutschen Bundespressekonferenz“. Letztere sei „keine Institution der Bundesregierung“, auch wenn Pistorius „fälschlicherweise“ diesen Eindruck erwecke. Des Weiteren diffamiere der Verteidigungsminister die „unabhängigen Nachdenkseiten“ als „Verbreiter von ‚russischer Propaganda‘“ und offenbare damit „den abweisenden und herabwürdigenden Umgang deutscher Regierungspolitiker mit kritischen Medien“. Das BSW setze sich dafür ein, dass im Zuge der Friedensverhandlungen gegenseitige Medienbeschränkungen aufgehoben werden – „sowohl gegen Russia Today in Deutschland als auch gegen die Deutsche Welle in Russland“, erläuterte Hunko.
Roland Rottenfußer vom Online-Magazin „Manova“ erklärte gegenüber Multipolar, neben direktem Ausschluss erfolge die Ausgrenzung regierungskritischer Medien auch auf anderen Wegen. So sei „Manova“ im Jahr 2024 das Geschäftskonto bei der GLS-Bank „ohne nachvollziehbarem Grund“ gekündigt worden. „Manova“ ist damit eines von vielen oppositionellen Medien oder Journalisten, denen seit 2020 in Deutschland das Bankkonto genommen wurde. Ebenso sei das Magazin offensichtlich vom Phänomen des „Shadowbannings“ betroffen. Manova-Beiträge vor allem im Zusammenhang mit Corona würden in den sozialen Medien „gecancelt oder mit ‚Gegenpropaganda‘ garniert“, erklärt Rottenfußer. Zudem hatte die Plattform „YouTube“ Videobeiträge von „Manova“ gelöscht.
Ebenfalls unter Druck geraten oppositionelle Medien durch Aktivitäten der Landesmedienanstalten – wie kürzlich der freie Journalist Alexander Wallasch oder zuvor das Online-Magazin „Apolut“. Auch Multipolar war von der Landesmedienanstalt Nordrhein Westfalen unter Strafandrohung aufgefordert worden, mehrere Artikel zur Corona-Krise umzuschreiben. Multipolar wies die Forderung zurück. Fachjuristen bezeichnen das Vorgehen der staatlichen Behörden und den zugrunde liegenden neuen Paragraphen des Medienstaatsvertrags als „verfassungswidrig“.
Multipolar hatte auch die Parteien CDU, AfD, SPD, Grüne, Linke und FDP um Stellungnahmen zu den Aussagen von Boris Pistorius gebeten. Zudem wollte Multipolar von den Parteien wissen, welche konkreten Schritte sie nach der Wahl im Falle einer kommenden Regierungsbeteiligung unternehmen, um die Einschränkungen der Pressefreiheit oppositioneller Medien in Deutschland zu beseitigen. Keine der angefragten Parteien antwortete darauf.