Öffentlich-rechtliche Medien

NDR hält eigenen Enthüllungsbericht zurück

Einfluss der US-Regierung auf große Rechercheorganisation laut NDR „von mangelnder Relevanz“ / Recherchenetzwerk wurde mit „Panama Papers“ bekannt / US-Regierung größter Geldgeber mit Mitsprache- und Vetorecht / Direktor übte Druck auf NDR aus

(Diese Meldung ist eine Übernahme von multipolar.)

Die Leitung des NDR hat beschlossen, eine eigene Reportage über den weitreichenden Einfluss der US-Regierung auf die Investigativjournalismus-Organisation „Organized Crime and Corruption Reporting Project“ (OCCRP) nicht zu senden. Als Grund dafür nannten die stellvertretende Programmleiterin Juliane von Schwerin und die Chefredakteure des NDR, Andreas Cichowicz und Adrian Feuerbacher, dass die Erkenntnisse „von mangelnder Relevanz“ für die Zuschauer seien und das Thema der Untersuchung „redaktionelle und rechtliche Fragen“ aufwerfe. Dies berichtet die französische Internet-Zeitung Mediapart, die an der Recherche zu dem nun zurückgehaltenen Beitrag beteiligt war.

Die Arbeit des OCCRP wurde in Deutschland bekannt durch die „Panama Papers“ und die „Pandora Papers“. Dabei kooperierte die Organisation unter anderem mit dem NDR, dem WDR und der Süddeutschen Zeitung. Kritische Stimmen bemägelten in der Vergangenheit, die Auswahl der in den Berichten bloßgestellten Steuersünder falle „recht einseitig“ aus und passe zudem „außergewöhnlich gut in das Konzept der US-Regierung“. So richteten sich die Enthüllungen vor allem gegen Menschen aus dem Umfeld Wladimir Putins, während in den Recherchen kein einziger Steuerhinterzieher aus den USA auftauche. Ein weiterer Kritikpunkt bestand in der Tatsache, dass die zugehörigen Rohdaten nie veröffentlicht wurden.

Die Recherche zu der Reportage über OCCRP begann laut Mediapart Anfang 2023 und wurde zunächst von zwei NDR-Journalisten geleitet, einer davon der mehrfach ausgezeichnete US-amerikanische Investigativjournalist John Goetz. Im August 2024 lud der NDR Mediapart sowie drei weitere Zeitungen aus den USA, Italien und Griechenland ein, sich an dem Projekt zu beteiligen. Die Erkenntnisse von Mediapart zum Einfluss der US-Regierung auf OCCRP basieren unter anderem auf verschriftlichten Interviews und Gesprächen, die Goetz und sein Kollege Armin Ghassim mit leitenden Mitarbeitern der US-Entwicklungshilfeagentur USAID und mit dem OCCRP-Direktor Drew Sullivan im Zeitraum von Juni bis September 2023 geführt haben.

Dass das Budget des OCCRP in wesentlichen Teilen von der US-Regierung stammt, gibt die Organisation in ihrem Finanzbericht zu. Allerdings wird die Unterstützung dort als „bedingungslos“ bezeichnet. Bereits in der Vergangenheit hatte unter anderem Wikileaks die Unabhängigkeit von OCCRP aufgrund der maßgeblichen Finanzierung durch die US-Regierung angezweifelt. Dies hat zu einer offiziellen Stellungnahme eines Sprechers des US-Außenministeriums geführt, der die Unabhängigkeit der Organisation bekräftigte. Deutsche Medien wie die ARD und das ZDF haben in der Vergangenheit immer wieder über Rechercheergebnisse von OCCRP berichtet, ohne auf die finanzielle Abhängigkeit der Organisation von der US-Regierung hinzuweisen.

Mediapart erklärt nun jedoch, dass diese Finanzierung nicht frei von Bedingungen sei. So habe die US-Entwicklungshilfeagentur USAID, über die die Zahlungen der US-Regierung an OCCRP abgewickelt werden, ein „Mitspracherecht“ beim jährlichen Arbeitsplan der Organisation sowie ein „Vetorecht“ bei der Ernennung von „Schlüsselpersonal“. Dies gehe aus den Gesprächen hervor, die die NDR-Journalisten mit den leitenden Angestellten von USAID, Mike Henning und Shannon Maguire, geführt haben. OCCRP-Direktor Sullivan sowie der Verwaltungsrat der Organisation hätten diese Bedingungen in einem weiteren NDR-Interview beziehungsweise in einer Antwort auf schriftliche Fragen des NDR bestätigt. Aus den Gesprächen mit den USAID-Verantwortlichen gehe zudem hervor, dass die Finanzierung, die die Gründung der Organisation ermöglichte, heimlich vom Bureau of International Narcotics and Law Enforcement (INL) des US-Außenministeriums ausgezahlt wurde. Die NDR-Leitung habe aufgrund der Informationen im September 2023 „die Teilnahme an allen von OCCRP geleiteten Projekten bis auf weiteres eingestellt“, heißt es in einer Antwort des Senders auf eine Anfrage von Mediapart.

Mediapart berichtet, dass Sullivan vor der Veröffentlichung dieser Erkenntnisse Druck auf den NDR und mehrere der an der Recherche beteiligten Medienpartner ausgeübt hat. So habe er diese beschuldigt, Methoden anzuwenden, die er als „bösartig und unprofessionell“ bezeichnete. Zudem habe er den NDR-Journalisten John Goetz als möglichen „russischen Agenten“ dargestellt. Auf Nachfrage von Multipolar an Goetz unter seiner E-Mail-Adresse beim NDR, ob er die Authentizität des Interviews mit den leitenden Angestellten von USAID und der darin getätigten Aussagen bestätigen könne, antwortete die Pressestelle des Senders, dass er sich „aktuell dazu nicht äußern“ möchte. Weitere Anfragen von Multipolar ließ der NDR unbeantwortet.

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