Nach blutiger Nacht: Ägypten weiter ohne Chef einer Übergangsregierung

(08.07.2013/dpa)

Bei der Suche nach einer Übergangsregierung in Ägypten hat es noch keinen Durchbruch gegeben. Gegen den neuen Favoriten für den Posten des Regierungschefs hat sich nach Angaben des Nachrichtensenders Al-Arabija vom Sonntagabend die ultra-konservative Nur-Partei ausgesprochen.

Dem Sozialdemokraten Siad Bahaa El-Din sei das Amt angeboten worden, berichtete die ägyptische Zeitung Al-Ahram am Sonntagabend. Der Wirtschaftsjurist sagte dem Blatt, es gebe noch keine offizielle oder endgültige Entscheidung. Die Salafisten der Nur-Partei wollen für das Amt dagegen eine politische neutrale Persönlichkeit.

Auch Friedensnobelpreisträger Mohammed El-Baradei als Vizepräsidenten lehnen sie ab, wie Al-Arabija weiter berichtete. Laut Al-Ahram sollte El-Baradei dieses Amt übernehmen. Die Ernennung von El-Baradei zum neuen Chef der Übergangsregierung war am späten Samstagabend dementiert worden. Die Nur-Partei hatte sich geweigert, El-Baradei als Regierungschef zu dulden.

Viele Ägypter stehen dem 71-jährigen skeptisch gegenüber: Der Nobelpreisträger sei zu lange im Ausland gewesen, verstehe die Menschen im Land nicht, heißt es oft. Der Jurist trat 1964 in den diplomatischen Dienst seines Landes ein. 1984 kam er zur Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien, wo er 1997 zum Generaldirektor aufstieg. Die Geschicke der Behörde lenkte er bis Ende 2009.

Da er sich währenddessen bezüglich des iranischen Atomprogramms nicht als Scharfmacher erwies, wird von vielen ausgeschlossen, dass er ein Mann Washingtons sein könne. Doch in einem Artikel der Foreign Affairs – dem Hausorgan des Council of Foreign Relations – wurde im März 2010, also vor Ausbruch des Arabischen Frühling,  darauf hingewiesen, dass ausgerechnet dies den Interessen der USA in Ägypten nützlich sein könnte: „Paradoxerweise könnte El-Baradeis frostiges Verhältnis zu den USA während seiner Zeit als IAEA-Chef den US-Interessen nun von Vorteil sein.“ (1)

Doch derzeit sieht es nicht danach aus, als könne der westliche Wunschkandidat das Rennen um die (Übergangs)-Präsidentschaft gewinnen.

Überschattet wird das Gerangel um das höchste Amt des Staates von den blutigen Ereignissen, die sich vergangene Nacht vor dem Offiziersclub der Republikanischen Garde in Kairo zugetragen haben. Zwischen Anhängern des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi und Angehörigen der Armee kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen, bei denen mindestens 42 Menschen getötet und mehr als 300 weitere verletzt wurden.

Nach Angaben der Justizbehörden werde gegen 200 Verdächtige ermittelt, die nach dem Gewaltausbruch vor dem Offiziersclub festgenommen worden waren.

Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu hat die Zusammenstöße als „Massaker“ bezeichnet und scharf verurteilt. „Ich übermittle dem ägyptischen Brudervolk mein Beileid“, teilte Davutoglu am Montag über den Kurznachrichtendienst Twitter mit. Die türkische Regierung steht den vom Militär gestürzten ägyptischen Muslimbrüdern politisch und ideologisch sehr nahe.

Nach der blutigen Nacht erklärte die Nur-Partei ihren Rückzug aus der Übergangsregierung. Die Salafisten hatten sich bislang neutral verhalten und ihre Anhänger weder für noch gegen den Putsch mobilisiert.

Anmerkungen
(1) http://www.foreignaffairs.com/articles/66178/steven-a-cook/is-el-baradei-egypts-hero

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