Landesmedienanstalten gehen weiter gegen Journalisten vor
Anwalt kritisiert „eklatante“ Einmischung in journalistische Arbeit / Medienanstalt will mit „Hinweisschreiben“ nach eigener Aussagen formelles Verfahren vermeiden / Anstalten setzen Künstliche Intelligenz ein
(Diese Meldung ist eine Übernahme von multipolar.)
Der Journalist Alexander Wallasch wehrt sich gegen Vorwürfe der Landesmedienanstalt Niedersachsen (NLM). Diese hatte ihm Verstöße gegen die journalistische Sorgfaltspflicht vorgeworfen und ein „Hinweisschreiben“ verschickt. Dieses hat Wallasch auf seiner Website veröffentlicht. Er wird darin aufgefordert, seine Beiträge „vollständig durchzusehen und anzupassen oder von dem Angebot zu entfernen und die journalistischen Grundsätze in Zukunft einzuhalten“. Wallaschs Anwalt Dirk Schmitz stellt gegenüber Multipolar fest, dass das Schreiben der Landesmedienanstalt bei den Adressaten – Bloggern, Influencern und kleinen Medienunternehmen – Befürchtungen auslöst, da sie nicht über eine Rechtsabteilung verfügten. „Genau das ist von den Landesmedienanstalten geplant und gewollt.“
In den vergangenen Jahren gab es von verschiedenen Landesmedienanstalten Hinweisschreiben ähnlicher Art. Auch Multipolar hat im August 2024 ein solches erhalten und angekündigt, die Forderungen der zuständigen Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen nicht umzusetzen. Die Landesmedienanstalten berufen sich bei ihrem Vorgehen auf Paragraf 19 des Medienstaatsvertrags. Demnach haben Online-Medien mit journalistisch-redaktionellem Inhalt sich an „anerkannte journalistische Grundsätze“ zu halten. Es heißt: „Nachrichten sind vom Anbieter vor ihrer Verbreitung mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Inhalt, Herkunft und Wahrheit zu prüfen.“
Medienrechtler halten diesen Passus im Medienstaatsvertrag für verfassungswidrig. Das Eingriffsrecht der Landesmedienanstalten über die Sorgfaltspflicht sei eine „unverhältnismäßige Beschränkung redaktioneller Presse- und Medienfreiheit“ und deshalb mit Artikel 5 des Grundgesetzes („Eine Zensur findet nicht statt“) „unvereinbar und verfassungswidrig“, erläutert der Rechtswissenschaftler Christoph Fiedler. Er ist Professor für Medienrecht an der Universität Leipzig und Geschäftsführer für Europa- und Medienpolitik beim Medienverband der freien Presse.
Auch Dirk Schmitz wirft den Landesmedienanstalten vor, sich durch ihr Vorgehen eklatant in die journalistische Arbeit einzumischen. „Wir bestreiten generell das Recht der Landesmedienanstalten – unabhängig von Paragraph 19 des Staatsvertrages – Sorgfaltspflichten zu definieren“, sagte Schmitz. „Der Staatsvertrag enthält keinerlei konkrete Sanktionsmechanismen.“ Die NLM weist auf Anfrage von Multipolar darauf hin, dass es sich „nicht um einen förmlichen Verwaltungsakt, sondern lediglich um einen Hinweis auf mögliche Verstöße“ handele. Die NLM setze generell zunächst auf die Kooperationsbereitschaft der Anbieter. „Das Schreiben enthält zur Verdeutlichung der möglichen Verstöße verschiedene, beispielhaft beschriebene Inhalte der Seite, in denen die NLM mögliche Sorgfaltspflichtverstöße sieht“, erläutert eine Sprecherin der Landesmedienanstalt. Das Schreiben verfolge das Ziel, ein förmliches Verfahren zu vermeiden.
In seiner formellen Antwort an die NLM will Dirk Schmitz Auskunft darüber fordern, ob diese die KI-Software „KIVI“ einsetzt, um flächendeckend Internetmedien zu überwachen. Die für den Einsatz von „KIVI“ federführend zuständige Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen teilte auf Anfrage von Multipolar mit, dass diese nicht zur Recherche potenzieller Verstöße im Bereich der journalistischen Sorgfaltspflicht eingesetzt werde. Nach Medienberichten hat die Software in den vergangenen vier Jahren allein in Nordrhein-Westfalen über 40.000 Fundstellen überprüft und es seien 8.600 Verstöße festgestellt worden.
Ein Sprecher der Landesmedienanstalt teilte mit, dass sich darunter auch 1.885 strafrechtlich relevante Inhalte befänden, die an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet wurden. Dabei gehe es um das Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen, das Verwenden von Kennzeichen solcher Organisationen, Volksverhetzung oder Gewaltdarstellungen. Bei den übrigen Verfahren handelt es sich demnach um medienrechtliche Fälle wie Verstöße im Bereich der frei zugänglichen Pornografie oder der Entwicklungsbeeinträchtigung von Kindern und Jugendlichen. Wie viele der Fälle auch zur Anzeige gebracht werden und zu Verurteilungen geführt haben, weiß die Landesmedienanstalt nicht.