Kritik an staatlicher Journalismus-Finanzierung
(Redaktion/10.8.22) Die Bundesregierung fördert zehn journalistische Projekte mit insgesamt 2,3 Millionen Euro. Sie sollen laut Pressemitteilung die Rechte von Journalistinnen und Journalisten oder die Vielfalt in der journalistischen Landschaft stärken, zeigen die Bedeutung des Qualitätsjournalismus für den gesamtgesellschaftlichen Diskurs auf oder unterstützen Medienschaffende im Exil. Staatsministerin Claudia Roth (Grüne) verwies auf den unabhängigen Journalismus als Pfeiler und Stütze der Demokratie, der zunehmend in Gefahr sei. Insgesamt habe es 31 Anträge gegeben. „Wegen des hohen Bedarfs habe ich die ursprünglich zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel kurzfristig erhöht, um noch stärker unterstützen zu können“, sagte Roth.
Der Medienwissenschaftler Michael Meyen kritisiert die Förderung. Der Professor für Kommunikationswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität in München sagte dem Internet-Radiosender Kontrafunk: „Die Bundesregierung überschreitet damit letztlich die Grenze der Staatsferne oder Staatsfreiheit, die wir im Rundfunk- und Pressebereich festgeschrieben haben.“ Seiner Auffassung nach liegt das Vorgehen auf einer Linie mit einem Gutachten, das die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen im vergangenen Jahr in Auftrag gegeben hatte. Bei dem Gutachten sei es darum gegangen, wie Staatsgeld an Medien verteilt werden könne ohne sich dem Vorwurf der Grenzüberschreitung auszusetzen, fasst Meyen zusammen.
Nach Auffassung der Gutachter ist eine direkte, selektive Journalismusfinanzierung verfassungsrechtlich möglich. „Zwingend dafür ist die Auswahl von Zuwendungsberechtigten und die Vergabe der Mittel nach meinungsneutralen Kriterien“, heißt es in der Zusammenfassung. Eine solche Kommission hat es nach Angaben der Bundesregierung für die jetzige Förderung gegeben. Der „unabhängigen Fachjury“ gehörte unter anderem Ferda Ataman als damalige Vorsitzende des „Vereins Neue Deutsche Medienmacher*innen“ an. Deren Projekt „Stark für Vielfalt. Nachhaltige Strukturen für Diversität im Journalismus schaffen“ wird jetzt gefördert. Ebenfalls im Gremium mit dabei: Die Leiterin der „Deutschen Journalistenschule“, Henriette Löwisch. Ihre Einrichtung bekommt eine Förderung für das Projekt „Vertrauen durch Vielfalt“. Auf Anfrage der NZZ sagte eine Regierungssprecherin, Ataman habe nicht an Beratung und Abstimmung über das Projekt ihres Vereins teilgenommen, das gleiche dürfte für die Leiterin der Deutschen Journalistenschule für das ihre gelten.
Der Chefredakteur von NZZ Deutschland, Marc Felix Serrao, kritisiert allerdings, dass unter den zehn Auserkorenen niemand sei, „der schon einmal auf eine Weise berichtet hätte, die Frau Roth oder ihrer Partei missfallen könnte.“ Und die „Medienmacher*innen“ seien der Verein, der Spiegel TV wegen dessen investigativer Recherchen zur Clankriminalität in Deutschland einen Schmähpreis namens „Goldene Kartoffel“ verliehen hat. „Eine Jury, die in einer solchen Organisation ,Pfeiler und Stütze der Demokratie‘ (Claudia Roth) erkennt, kann kein richtiger Journalist ernst nehmen“, schreibt Serrao. Es gebe im deutschsprachigen Raum genügend unabhängige Medien, die beweisen, dass kritische Berichterstattung und Recherche aus eigener Kraft leistbar sei.
Professor Michael Meyen vertritt die Auffassung, dass sich der Staat durch die Förderung Wohlverhalten erkauft. Er könne verstehen, das angesichts sinkender Auflage und Werbeeinnahmen die Medienbetreiber versuchen, an Haushaltsmittel zu kommen, die eine gewisse Betriebssicherheit garantieren. „Das passiert ja nicht nur über solche Projektförderung, sondern auch über Anzeigen, über Abonnements, die abgenommen werden, und staatliche Unterstützung im Ausbildungsbereich.“ Meyen ordnet die jetzige Förderung in einen größeren Rahmen ein, denn bereits in der vergangenen Legislaturperiode hatte die Bundesregierung versucht, die Presse zu unterstützen. Im April 2021 wurde das Vorhaben zunächst auf Eis gelegt.
Der Medienjournalist Christoph Sterz sagte damals dem Deutschlandfunk, dass mit den damals vom Wirtschaftsministerium als Gründe angegebenen „verfassungsrechtlichen Umstände“ vor allem der Widerstand von Angeboten wie „Correctiv“ oder „Krautreporter“ gemeint gewesen sein dürfte. „Reine Digital-Angebote waren nämlich ausgenommen von der Förderung. Und da haben die Krautreporter gesagt: Das wäre eine Wettbewerbsverzerrung, und das nehmen wir nicht hin, dass da die einen Geld kriegen und die anderen nicht, und klagen im Zweifelsfall.“
Correctiv wird nun von der Bundesregierung für das Projekt „Lokaljournalismus qualifizieren, Demokratie stärken!“ gefördert. Und der Herausgeber von Krautreporter, Alexander von Streit, ist Vorstandsmitglied des „Vereins für Medien- und Journalismuskritik“. Der Verein bekommt jetzt Geld vom Bund, um ein Online-Portal zur Förderung der Gemeinnützigkeit im Journalismus aufzubauen. (hb)