Knapper Erfolg für moldawisches Referendum zur EU-Anbindung
Einwohner mehrheitlich dagegen – Auslandswähler entscheidend / Diplomat: Moldawische Behörden erschwerten Stimmabgabe für in Russland lebende Moldawier / EU-Kommission bietet Moldawien 1,8 Milliarden Euro
(Diese Meldung ist eine Übernahme von multipolar.)
Eine Volksabstimmung unter moldawischen Bürgern zur zukünftigen verfassungsrechtlich verankerten Bindung an die Europäische Union (EU) ist laut amtlichem Endergebnis mit einem knappen Sieg der EU-Befürworter ausgegangen. Rund 10.000 Stimmen machten am Ende den Unterschied. Demnach stimmten am 20. Oktober 50,35 Prozent der teilnehmenden Wähler (749.719 Menschen) mit „Ja“, während 49,65 Prozent (739.155 Menschen) „Nein“ ankreuzten. Die Wahlbeteiligung des parallel zur Präsidentschaftswahl abgehaltenen Referendums lag bei 51,7 Prozent. Für Verfassungsänderung und EU-Anbindung hat damit tatsächlich lediglich etwa ein Viertel der wahlberechtigten Bevölkerung gestimmt.
Laut dem amtlichen Stimmzettel legt die Verfassungsänderung den „unumkehrbaren Weg in die Europäische Union“ als „strategisches Ziel“ fest und bekräftigt die „europäische Identität des Volkes der Republik Moldau“. Nur noch das Parlament und keine weitere Volksabstimmung solle zukünftig über einen Beitritt zur EU entscheiden dürfen. Zudem wird festgehalten: „Infolge des Beitritts haben die Bestimmungen der Verträge und anderer verbindlicher Rechtsakte der Union Vorrang vor den Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts.“
Als Voraussetzung für die Verfassungsänderung musste mindestens ein Drittel der Wahlberechtigten abstimmen und ein Zustimmungsquorum von 50 Prozent plus einer Stimme erreicht werden. Zwar schreibt die moldawische Verfassung vor, dass für eine Verfassungsänderung, die die Souveränität, Unabhängigkeit, Einheit und die permanente Neutralität betrifft, eine Zwei-Drittel-Mehrheit bei einem Referendum erforderlich ist. Jedoch hatte der Verfassungsgerichtshof unter Verweis auf den EU-Vertrag entschieden, mit einem Beitritt zur EU werde die staatliche Souveränität nicht berührt. Von daher sei ein niedrigeres Quorum ausreichend.
Im Bericht der Wahlbeobachter erklärte die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), der Abstimmungsprozess sei gut organisiert gewesen und ruhig verlaufen. Jedoch kritisiert der Text auch, dass das Referendum zeitgleich mit der Wahl zum Präsidentenamt angesetzt wurde. Die Kampagnen der amtierenden Präsidentin Maia Sandu, der Regierung und der Mehrheitspartei hätten mit den Vorteilen der EU-Mitgliedschaft geworben, statt neutrale und objektive Informationen zu bieten. Dadurch sei „die Fähigkeit der Wähler, eine informierte Entscheidung über die Frage des Referendums zu treffen, beeinträchtigt worden“, heißt es in dem OECD-Bericht.
Noch in der Nacht zum Montag war nach Auszählung von etwa 90 Prozent der Stimmzettel ein Sieg der Gegner der Verfassungsänderung gemeldet worden. Laut moldawischen Medien stimmten in der Mehrheit der staatlichen Regionen die Menschen gegen die Verfassungsänderung. Den Ausschlag für einen EU-Anschluss gaben die etwa 235.000 Stimmen von Moldawiern, die im Ausland leben – vor allem in der EU.
György Varga, ehemaliger ungarischer Botschafter in Moldawien, kritisierte in einem Bericht für die „Nachdenkseiten“ die moldawischen Behörden. Diese hätten die rund 500.000 in Russland lebenden Moldawier bei der Stimmabgabe massiv behindert, da in ganz Russland nur zwei Wahllokale eingerichtet worden waren. Dabei stellten die in Russland lebenden Stimmberechtigten mit 38 Prozent aller für die Wahl registrierten Auslandsmoldawier den mit Abstand größten Teil dieser Gruppe. In Italien, wo 11,5 Prozent der als Wähler gemeldeten Auslandsmoldawier leben, hatten die moldawischen Behörden hingegen 60 Wahllokale eingerichtet. In den USA, wo knapp sieben Prozent der moldawischen Auslandswähler wohnen, waren es Varga zufolge 16 Wahllokale.
Moldawiens Präsidentin Maia Sandu warf Russland vor, ihr Land mit „Dutzenden von Millionen Euro, Lügen und Propaganda angegriffen und die schändlichsten Mittel eingesetzt“ zu haben, um die Bürger in Unsicherheit und Instabilität gefangen zu halten. Michael Gahler, Leiter der Delegation des Europäischen Parlaments, beklagte, eine „beispiellose massive, bösartige und illegale russische Einmischung, insbesondere durch Stimmenkauf, hybride Angriffe und Desinformation“.
Jedoch hatte die moldawische Regierung unter Notstandsrecht seit 2022 bereits zwölf TV-Sendern und vier Radiostationen im Land wegen der „Verbreitung russischer Narrative“ ihre Lizenzen entzogen, informiert die OSZE. In der aktuellen Wahlkampagne seien von moldawischen Behörden zudem zehn Webseiten blockiert worden. Die russische Außenamtssprecherin Maria Sacharowa warf den moldawischen Behörden vor, „massiv“ gegen Opposition und unabhängige Medien vorgegangen zu sein. Die Einwohner des Landes hätten sich trotzdem entschieden gegen die EU-Integration ausgesprochen. Sacharowa macht Wahlfälschungen der Regierung in Chisinau für den knappen Sieg verantwortlich.
Die Opposition Moldawiens kritisiert zudem die Einflussnahme durch den Besuch der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in der moldawischen Hauptstadt Chisinau kurz vor der Abstimmung. Die CDU-Politikerin hatte Moldawien ein „Unterstützungspaket“ in Höhe von 1,8 Milliarden Euro angeboten, um Infrastrukturprojekte zu finanzieren und der moldawischen Wirtschaft den Zugang zum EU-Binnenmarkt zu erleichtern. Allerdings sind die in Aussicht gestellten EU-Gelder an Bedingungen gebunden. So müsse Moldawien zuerst „Reformen“ durchführen, die unter anderem „ausländische Investitionen anziehen“ und die „Rahmenbedingungen“ für Unternehmen verbessern. „Die Zahlungen erfolgen nach der Durchführung der vorab vereinbarten Reformen“, erklärte die EU-Kommission.
Der ungarische Diplomat György Varga sagt, in dem kleinen Land werde der aktuelle Ost-West-Konflikt ausgetragen. „Logistisch ist das Land zu einem Aufmarschpunkt für den globalen Westen geworden.“ Ein Teil der Nato-Militärlieferungen an die Ukraine werde über moldawisches Gebiet abgewickelt. Auch Nato-Militärübungen wurden bereits in Moldawien abgehalten. Der geopolitische Analyst Hauke Ritz erklärt auf Multipolar-Anfrage, ein Sieg der EU stellvertretend für die USA sei lediglich ein „Pyrrhussieg“ und hochgefährlich dazu.