„Klima der Angst“ - Taliban bestimmen Pakistan-Wahlkampf
(07.05.2013/dpa)
Sie kandidieren nicht, haben aber dennoch massiven Einfluss auf den Wahlkampf in Pakistan: Die Taliban greifen weltliche Parteien an und verbreiten Angst im Volk. Mit ihrem Terror könnten sie die historische Parlamentswahl am 11. Mai diskreditieren. Bilawal Bhutto Zardari ist der Sohn der Ende 2007 ermordeten Ex-Premierministerin Benazir Bhutto, für seine Volkspartei PPP sollte er das Zugpferd im Wahlkampf in Pakistan sein. Stattdessen brachte die Partei ihren 24-jährigen Chef bis nach der Abstimmung an diesem Samstag außer Landes. „Wir haben schon Benazir Bhutto verloren, und wir werden nicht riskieren, auch noch Bilawal zu verlieren“, sagte ein PPP-Funktionär der Zeitung Dawn. „Die Morddrohungen sind sehr real.“
Die pakistanischen Taliban (TTP) treten zwar nicht zur Wahl an. Mit ihrem Terror ist es ihnen aber gelungen, einen Keil zwischen den an der Wahl teilnehmenden Parteien zu treiben und die Abstimmung in dem Atomstaat stark zu beeinflussen. Die Parlamentswahl wird von den Taliban prinzipiell abgelehnt. Zum Ziel ihrer Angriffe haben sie allerdings ausdrücklich nur jene Parteien erklärt, die sie für weltlich halten. Darunter fallen neben der PPP – die bisher die Regierung führte – auch deren Koalitionspartner ANP und MQM.
Über 40 Anschläge und Angriffe auf Versammlungen, Wahlbüros, Sympathisanten und Kandidaten wurden seit Beginn des Wahlkampfs am 11. April verübt. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen starben dabei mehr als 100 Menschen, Hunderte weitere wurden verletzt – selbst für pakistanische Verhältnisse ist die Opferzahl erschreckend hoch. Zwar wurden am Montag und Dienstag erstmals auch tödliche Anschläge auf die islamistische Partei JUI-F verübt. Die Masse der Angriffe haben aber die weltlichen Parteien zu verschmerzen.
Erst vor wenigen Tagen bekannte sich die TTP zu einem Attentat auf einen ANP-Kandidaten in Karachi. Die Taliban erschossen nicht nur den Politiker, als er nach dem Freitagsgebet aus einer Moschee kam, sondern auch dessen sechsjährigen Sohn. Wahlen seien Teil eines „unislamischen demokratischen Systems, das nur den Interessen von Ungläubigen und Feinden des Islams dient“, sagt TTP-Sprecher Ehsanullah Ehsan. Er rechtfertigt die Angriffe mit den Worten: „Ein Mann kann nicht gleichzeitig weltlich und muslimisch sein.“
Den Regierungsparteien drohte wegen ihrer miserablen Leistung in den vergangenen fünf Jahren ohnehin eine Wahlniederlage. Nun haben die Taliban ihnen allerdings die Möglichkeit genommen, auf Großkundgebungen vielleicht doch noch Stimmen zu gewinnen. Angesichts der Terrorgefahr finden Massenveranstaltungen der bedrohten Parteien nicht mehr statt.
Davon profitieren vor allem die beiden großen Parteien PTI von Kricket-Legende Imran Khan und PML-N von Ex-Premierminister Nawaz Sharif. Letzterer wird als Favorit und potenzieller Premierminister einer künftigen Koalitionsregierung gehandelt. Weder Imran Khan noch Nawaz Sharif konnten sich bislang zu einer klaren Verurteilung der Taliban-Gewalt gegen ihre Kontrahenten durchringen.
Beide absolvieren vor der Wahl eine Großkundgebung nach der anderen, während die Konkurrenz in Deckung gehen muss. Weder PTI noch PML-N finden sich auf der Abschussliste der Taliban – weil sie den Islamisten weitaus unkritischer gegenüberstehen als ihre politischen Kontrahenten. Imran Khan spricht sich auf Wahlveranstaltungen gegen weitere Militäroperationen gegen die Taliban aus, während Nawaz Sharif zu Friedensgesprächen aufruft.
„Unsere politischen Parteien sind so unreif, dass sie die gemeinsame Bedrohung nicht erkennen“, sagt der Direktor der Pakistanischen Menschenrechtskommission, I.A. Rehman, in der ostpakistanischen Metropole Lahore. Er spricht von einem „Klima der Angst“, das freie Wahlen schon jetzt untergraben habe. Die Folge: „Die Wahlergebnisse werden fragwürdig sein.“