Juristen kritisieren Kriegsdienstverweigerer-Beschluss des Bundesgerichtshofes
Ukrainischer Kriegsdienstverweigerer darf ausgeliefert werden / Juristen sehen Verfassungsbruch und Verletzung der Menschenwürde / Rechtsprechung könnte auch auf deutsche Bürger übertragen werden
(Diese Meldung ist eine Übernahme von multipolar.)
Nach dem Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Auslieferung eines ukrainischen Kriegsdienstverweigerers haben Juristen dem obersten Zivil- und Strafgericht Deutschlands einen Bruch der Verfassung und die Verletzung der Menschenwürde vorgeworfen. Sie warnen vor den Folgen einer Rechtsprechung, die das Grundrecht auf Verweigerung des Dienstes an der Waffe auch in Deutschland unter Vorbehalt stellen könnte.
Am 16. Januar hatte der 4. Strafsenat des BGH die Auslieferung eines ukrainischen Kriegsdienstverweigerers zur Strafverfolgung in sein Heimatland für zulässig erklärt. Zuvor hatte das Dresdener Oberlandesgericht (OLG) den BGH um eine Rechtsprechung ersucht. Im Leitsatz des Beschlusses (Az: 4 ARs 11/24) konstatieren die Richter, es bestehe mit Bezug auf den Kriegsdienstverweigerer „kein Auslieferungshindernis, wenn sein um Auslieferung ersuchendes Heimatland völkerrechtswidrig mit Waffengewalt angegriffen wird und ein Recht zur Kriegsdienstverweigerung deshalb nicht gewährleistet“ ist.
Der betroffene ukrainische Staatsangehörige sei im Mai 2024 vorläufig festgenommen worden, weil er im Juli 2018 einen Polizeibeamten seines Heimatlandes „beleidigt, bedroht und körperlich angegriffen“ habe. In einem Asylantrag äußerte der Mann gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), dass er „anti-politisch und gegen den Krieg“ eingestellt sei und sich vor den „schlimmen“ Anforderungen fürchte, die die Ukraine an ihre Reservisten stelle. Das zuständige OLG Dresden wies diese Einwände des Mannes im August 2024 zurück und ordnete die Fortdauer der Auslieferungshaft an, bevor es den BGH in der Sache um eine Auskunft anrief.
Artikel 4 Absatz 3 Grundgesetz erklärt, dass niemand gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden darf. Laut Kathrin Groh, Professorin für Öffentliches Recht an der Universität der Bundeswehr München, setzt der Beschluss des BGH dieses Grundrecht aus. Wie die Juristin in einem Beitrag für das „Verfassungsblog“ vom 25. Februar ausführt, habe der BGH vormalige Auslieferungsgesuche mit dem Verweis auf die Menschenwürde abgelehnt, wenn die betroffene Person argumentierte, der ersuchende Staat würde ihre Gewissensentscheidung entweder ignorieren oder sie bestrafen.
Im Gegensatz dazu lege der neuerliche Beschluss des BGH den Gedanken nahe, dass auch deutsche Männer im wehrfähigen Alter „uneingeschränkt zum Kriegsdienst mit der Waffe herangezogen werden dürften“. Das widerspreche jenem „gesetzesvorbehaltlosen“ Recht auf Kriegsdienstverweigerung, welches auch durch die Verfassungsgüter der effektiven Landesverteidigung und der Funktionsfähigkeit der Bundeswehr nicht gebrochen werden könne. Den Verweis des BGH auf eine ungeschriebene, „überragende Treuepflicht“ von Staatsbürgern im Kriegsfall, hält Groh ebenfalls für substanzlos. Laut BGH verbiete diese „Treuepflicht“ die Berufung auf den Grundgesetz-Artikel 4. Das Fazit der Juristin: Der BGH entleere „mit ein paar oberflächlichen, aus ihrem rechtlichen und tatsächlichen Kontext gerissenen Sätzen“ den verfassungsrechtlichen Gehalt des Grundrechts.
Auch der Jurist René Boyke sieht die Gefahr, dass sich die Entscheidung des BGH auf innerstaatliches Recht auswirkt. „Sollte die Politik der Meinung sein, die Bürger müssten nun zu den Waffen greifen, dann wird es in Zukunft schwer bis unmöglich sein, sich dagegen zu wehren“, sagte er in einem Interview mit den „Nachdenkseiten“. (26. Februar) Der BGH ignoriere den „eindeutigen Willen des Grundgesetzes“ und wesentliche Argumente des Bundesverfassungsgerichts. Die Entscheidung sei kein „sauberes Handwerk“, sondern trage „eine politische Handschrift“, kritisierte Boyke. Im Zusammenhang mit den Zwangsrekrutierungen in der Ukraine wies der langjährige BAMF-Mitarbeiter außerdem darauf hin, dass eine Auslieferung dann als unzulässig gelte, wenn dem Betroffenen Folter oder Tod drohten. „Hätten die Richter sich informiert“, dann wüssten sie, dass die Lebenserwartung eines ukrainischen Soldaten an der Front nur wenige Stunden beträgt“, erklärte der Jurist.