Internationales Forscherteam kritisiert deutsche Regierungsstudie zu Corona-Maßnahmen
Forscher überprüften „StopptCOVID-Studie“ des Robert Koch-Instituts / Fehlerbehaftete Grundannahmen und unzureichende Datenlage / Gesundheitsminister Lauterbach hielt Rohdaten und Berechnungsmethoden lange unter Verschluss
(Diese Meldung ist eine Übernahme von multipolar.)
Ein internationales Forscherteam hat die Ergebnisse, der vom Robert Koch-Institut (RKI) in Kooperation mit der Universität Bielefeld durchgeführten „StopptCOVID-Studie“ bemängelt. Diese war vom Bundesgesundheitsministerium finanziert worden und erklärte die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung für wirksam. Nach Überprüfung der Regierungsstudie kommt das interdisziplinäre Team aus Physikern, Medizinwissenschaftlern, Epidemiologen und Mathematikern nun jedoch zu dem Ergebnis, dass der Ansatz des Bundesgesundheitsministeriums „unzureichend“ sei, um die gesundheitlichen Auswirkungen von nicht-pharmakologischen Interventionen (NPI) zu ermitteln. Die Autoren der „StopptCOVID-Studie“ sollen aufgrund fehlerbehafteter Einflussfaktoren falsche Schlussfolgerungen gezogen haben.
Die Arbeit des unabhängige Forscherteams wurde als Preprint veröffentlicht. Die Forscher, zu denen auch der weltweit renommierte Gesundheitswissenschaftler und Statistiker John Ioannidis gehört, haben anhand der Originaldaten die Modellrechnung des RKI und der Universität Bielefeld rekonstruiert und diese mit vergleichbaren statistischen Methoden ins Verhältnis gesetzt. Bei der rekonstruierten Modellrechnung fiel den Wissenschaftlern auf, dass darin einflussreiche Faktoren wie beispielsweise eine Steigerung der Anzahl der Corona-Tests nicht berücksichtigt wurden. Zudem seien Abhängigkeiten zwischen als unabhängig angenommenen Faktoren der Modellrechnung nicht ausreichend analysiert worden. Aufgrund dieser Mängel erklären Ioannidis und seine Kollegen, dass die Schätzungen in der RKI-Studie „aus statistischer Sicht nicht gültig sind“. Für keine der deutschen Corona-Maßnahmen ergeben sich „belastbare Effekte“, zitiert die Tageszeitung „Welt“ aus der Studie.
Nach Überprüfung und Anpassung der entsprechenden Einflussgrößen haben die Forscher die Auswirkungen der Maßnahmen auf die Ausbreitung der Krankheit anhand verschiedener statistischer Methoden neu berechnet. Dabei stellte sich heraus, dass die vom RKI und der Universität Bielefeld ermittelten größten positiven Effekte, die Einschränkung von Versammlungen im öffentlichen Raum sowie die Impfung, deutlich geringer ausfallen. Zudem seien die Erwartungsbereiche in der „StopptCOVID-Studie“ allesamt „wesentlich“ zu eng angegeben worden. Dies hat zur Folge, dass viele Maßnahmen auch einen deutlich negativeren Effekt gehabt und die Ausbreitung der Krankheit somit begünstigt haben könnten. Hierunter fallen laut den Angaben der Forscher insbesondere Einschränkungen in Schulen, Kontaktbeschränkungen in privaten Räumen und am Arbeitsplatz, Beschränkungen von öffentlichen Veranstaltungen im Außenbereich, Einschränkungen im Groß- und Einzelhandel sowie die Maskenpflicht.
Die Neuberechnung habe gezeigt, dass lediglich die Impfung eine statistisch größtenteils eindeutige Verminderung der Krankheitsausbreitung leistete. Die Ergebnisse der Überprüfung seien jedoch insoweit eingeschränkt, dass im Zusammenhang mit der Impfung gegen saisonale Atemwegserkrankungen eine höhere Durchimpfungsrate unter bestimmten Bedingungen die Infektionsspitzen erhöhen könne. Ähnliche Krankheitsdynamiken würden seit langem auch für Röteln und Masern untersucht. Um eine solide Bewertung und Anpassung der NPIs zu ermöglichen, sollten künftige Interventionen im Bereich der öffentlichen Gesundheit mit einer ausreichenden Beobachtungszeit vor und nach der Intervention konzipiert werden, um eine aussagekräftige Bestimmung der Auswirkungen zu ermöglichen, erläutern die Forscher.
Die Ende Januar veröffentlichte Validierung der „StopptCOVID-Studie“ befindet sich noch im Preprint-Status. Auch die RKI-Studie selbst hat bis heute noch keinen Peer-Review-Prozess durchlaufen. Die darin verwendeten Rohdaten sowie die zugrunde liegende Modellrechnung waren zunächst nicht öffentlich zugänglich. Erst auf Drängen des Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages Wolfgang Kubicki (FDP) mit Unterstützung des Kanzleramtsministers Wolfgang Schmidt (SPD) hatte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) diese Daten im März 2024 zur Verfügung gestellt.
Bereits kurz nach der ersten Veröffentlichung des Abschlussberichts der Studie im Juli 2023 wurde von wissenschaftlicher Seite deren Aussagekraft und Ergebnisse angezweifelt. Unter dem Begriff „Garbage in – garbage out“ hatten unabhängige Forscher bereits damals die unzureichende Datenlage, nicht berücksichtigte Einflussfaktoren sowie die Intransparenz der zugrunde liegenden Daten kritisiert. Regierungskritische Medien deckten erhebliche Mängel bei den Grundannahmen und den Schlussfolgerungen der Studie auf. Deutsche Leitmedien hingegen berichteten positiv über deren Ergebnisse beziehungsweise erwähnten die Kritik daran nicht. Lediglich die „Neue Zürcher Zeitung“ hatte auch kritischen Stimmen Raum gegeben.