Flüchtlingscamp am Ärmelkanal

Hollande erstmals in Calais – Räumung des Flüchtlingslagers angekündigt

(26.09.2016/dpa)

Zum ersten Mal in seiner Amtszeit hat Frankreichs Präsident François Hollande am Montag Calais besucht – die Stadt am Ärmelkanal, die wie keine andere in Frankreich die Folgen der Flüchtlingskrise spürt. Vor in Reih und Glied angetretenen Polizisten beteuert der Staatschef, dass die Tage des berüchtigten „Dschungels von Calais“, des Flüchtlingscamps am Ärmelkanal, gezählt seien: „Wir müssen das Lager vollständig und endgültig schließen.“

Sieben Monate vor der Präsidentenwahl ist das Thema hochbrisant. Die Stimmung brodelt in der nordfranzösischen Hafenstadt, wo Tausende Migranten in einer Art Slum ausharren, obwohl die Fähren und Züge nach Großbritannien längst von kilometerlangen Zäunen und Hunderten Polizisten abgeschirmt werden. Wo Händler über Geschäftseinbrüche stöhnen und Lastwagenfahrer über nächtliche Straßenblockaden durch Migranten, die auf die Fahrzeuge klettern wollen.

„Ich hoffe, dass er mit der schweren Artillerie kommt“, sagte Frédéric Van Gansbeke von einem örtlichen Einzelhandelsverband vor dem Besuch des Präsidenten der Zeitung La Voix du Nord. „Ansonsten wird er ausgebuht werden.“

Seit Jahren sammeln sich Migranten in Calais, die illegal auf die andere Seite des Ärmelkanals gelangen wollen. Doch im letzten Jahr nahm der Andrang rapide zu; im Frühjahr 2015 entstand auf einem Brachland in der Nähe des Hafens die Zelt- und Hüttensiedlung. Vor ein paar Wochen hat Paris angekündigt, die Reißleine zu ziehen: Noch vor dem Winter soll das Lager geräumt werden. Die Grenze sei dicht, das Lager eine Sackgasse für die Migranten, betont Hollande.

Nicht nur, dass die Bilder von den erbärmlichen Lebensbedingungen der Migranten am Image des Landes kratzen. Die Rechtsaußen-Partei Front National nutzt jeden Anstieg der Zahlen aus, um ihre Kritik an der Flüchtlingspolitik zu untermauern. Und auch Ex-Staatschef Nicolas Sarkozy hat im Vorwahlkampf um eine erneute Präsidentschaftskandidatur schon Revier in Calais markiert. Vor ein paar Tagen besuchte der Konservative die Stadt und empörte sich über die „Abwesenheit staatlicher Autorität“.

In der Tat hat das Aufrüsten des Staates in Calais zwar den Hafen und den Ärmelkanaltunnel abgeriegelt, ansonsten aber wenig gefruchtet. In dem im Wildwuchs entstandenen Flüchtlingslager kampieren so viele Menschen wie nie: etwa siebentausend nach Angaben der Behörden, mehr als zehntausend nach Zählung zweier Hilfsorganisationen.

Wann es mit der Räumung losgeht, ist unklar. Die Regierung will die Menschen auf Aufnahmezentren im ganzen Land verteilen, mehr als 160 gibt es schon. Wer einen Asylantrag stelle, solle menschenwürdig untergebracht werden. Wer kein Recht auf Asyl habe, werde ausgewiesen.

Teile der Opposition haben umgehend das Schreckgespenst an die Wand gemalt, dass nun überall kleine Elendscamps entstehen könnten. „Man löst Calais nicht, man wird Calais überall in Frankreich kopieren“, sagte der Übergangschef der konservativen Republikaner, Laurent Wauquiez. Dabei verschweigt er, dass die Unterkünfte zwar provisorisch sind, aber in der Regel in leerstehenden Gebäuden eingerichtet werden – kein Vergleich zu dem Slum von Calais.

Doch Fragen bleiben. So kam es bei einer Teilräumung im Frühjahr zu Zusammenstößen – droht nun wieder Gewalt? Und werden nicht trotzdem weiter Migranten nach Calais strömen? Davon kann gerade Sarkozy ein Lied singen: Als Innenminister ließ er das Lager von Sangatte ganz in der Nähe von Calais räumen – in den folgenden Jahren entstanden zahlreiche kleine „Dschungel“ in der Region.

Mehrere Hilfsorganisationen befürchten, dass die Regierung wieder nur kurzfristig wirkende Maßnahmen ergreift. In einem offenen Brief an Hollande schreiben sie: „Schon wieder eine kurzfristige Vision, die nichts für die Dutzenden Personen löst, die weiterhin jeden Tag in Calais eintreffen werden, für die Tausenden, die jeden Tag die Konfliktgebiete verlassen und sich auf den Weg nach Europa machen.“

Der nächste Puzzlestein im Bollwerk Calais wird jedenfalls schon gebaut. Vor ein paar Tagen haben die Arbeiten an einer Mauer begonnen, die einen weiteren Teil des Hafenzubringers abschirmen soll. Finanziert von London. Angesichts der fortdauernden internationalen Flüchtlingskrise müsse die Strategie für die kommenden Jahre gefestigt werden, so die örtliche Präfektur.

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