Georgien: Regierungspartei gewinnt Wahl
Präsidentin fordert Bevölkerung zu Protesten auf / Internationale Beobachter: Wahl war polarisiert aber „gut organisiert“ / Europarat-Wahlbeobachter befürchtet „Maidan in Georgien“
(Diese Meldung ist eine Übernahme von multipolar.)
Bei der Parlamentswahl in Georgien (26. Oktober) hat die Partei „Georgischer Traum“, die seit 2012 mit absoluter Mehrheit das Land regiert, 54 Prozent der Stimmen gewinnen können. Die Oppositionsparteien sprechen von Wahlfälschung und wollen das Ergebnis nicht anerkennen. Sie stützen sich auf eine Nachwahlbefragung des US-amerikanischen Instituts Edison Research, das den Stimmanteil der Regierungspartei bei lediglich 41 Prozent sieht. Georgiens Präsidentin Salome Surabischwili, die eine Mitgliedschaft ihres Landes in der EU und Nato anstrebt, hat das Wahlergebnis als Folge einer „russischen Spezialoperation“ und „hybrider Kriegsführung“ bezeichnet und fordert die Bevölkerung auf, gegen die Regierung zu protestieren.
Auf einer Pressekonferenz der internationalen Wahlbeobachter am Sonntag (27. Oktober) wurde vor allem das Wahlumfeld thematisiert. Der Wahltag sei „im Allgemeinen verfahrenstechnisch gut organisiert“ gewesen und „ordnungsgemäß“ abgewickelt worden. Außer vereinzelter negativer Vorfälle bot der Rechtsrahmen aus ihrer Sicht „eine angemessene Grundlage“ für demokratische Wahlen.
Die insgesamt 530 offiziellen Wahlbeobachter von der Parlamentarischen Versammlung der OSZE (OSCE PA), der Parlamentarischen Versammlung des Europarats (PACE), der Parlamentarischen Versammlung der NATO (NATO PA), dem Europaparlament (EP) sowie dem OSZE Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) hatten zum Teil eine Langzeitbeobachtung sowie eine Beobachtung am Wahltag durchgeführt. Pascal Allizard, Leiter der OSCE PA-Kommission, stellte fest, dass die Wahlen „den Wählern mit 18 Kandidatenlisten zwar eine große Auswahl“ boten, doch sie hätte in einem Umfeld stattgefunden, das von der Sorge um „die kürzlich verabschiedeten Gesetze, ihre Auswirkungen auf die Grundfreiheiten und die Zivilgesellschaft“ geprägt war.
Damit zielte Allizard hauptsächlich auf das im Juni endgültig verabschiedete Gesetz über die Transparenz ausländischer Einflussnahme, auch als „Agentengesetz“ bekannt, ab. Es war zuvor von einem Veto der georgischen Präsidentin blockiert und von Protesten begleitet worden. Dabei wolle die Regierung die meist westliche Finanzierung zahlreicher georgischer Nichtregierungsorganisationen (NGO) nicht beenden, heißt es in einem Artikel des Magazins „Jacobin“, sondern nur eine eng mit dem früheren Präsidenten Micheil Saakaschwili verbundene, „sehr mächtige Clique von NGOs“ bekämpfen, die einen Machtwechsel in Georgien anstrebe. Die endgültige Verabschiedung des Gesetzes mit der Überstimmung des Vetos durch das Parlament hatte unmittelbar dazu geführt, dass die EU den Beitrittsprozess Georgiens auf unbestimmte Zeit ausgesetzt hat. Die Regierungspartei „Georgischer Traum“ hatte die EU-Integration vorangetrieben und 2022 einen Beitrittsantrag gestellt. Seit Dezember 2023 ist das Land offizieller Beitrittskandidat.
Allizard und seine Kollegen von den anderen Beobachterkommissionen berichteten aufgrund dessen von einer „Polarisierung“ des Wahlkampfes. Während die Regierungspartei die Wahl zu einer „Wahl zwischen Krieg und Frieden“ erklärt habe, sei sie von der Opposition als „Referendum für die geopolitische Ausrichtung Georgiens“ bezeichnet worden, erklärte der konservative EP-Abgeordnete Antonio López-Istúriz White. In der Wahlkampagne habe die Regierungspartei antiwestliche und feindliche Rhetorik gegen Georgiens demokratische Partner, die EU, ihre Politiker und Diplomaten, verwendet und habe „russische Desinformation, Manipulationen und Verschwörungstheorien“ verbreitet. Zudem habe die Regierungspartei angedroht, gewisse Oppositionsparteien zukünftig zu verbieten, sagte López-Istúriz White. Iulian Bulai (PACE) stellte fest, ein „ungleiches Spielfeld“ und die Defizite im Wahlprozess hätten das Vertrauen in das Ergebnis und dessen Fairness untergraben.
Der BSW-Abgeordnete Andrej Hunko, der als Mitglied der PACE-Kommission selbst als Wahlbeobachter in Georgien vor Ort war, zeichnete auf Anfrage von Multipolar eine in Teilen konträre Sichtweise des Wahlumfelds. Er sieht den Hauptunterschied zwischen der Regierungspartei und der Opposition im Umgang mit den abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien. So sei die Ideologie des „Georgischen Traums“, „pragmatisch mit Russland umzugehen“ und Georgien „so attraktiv zu machen“, dass die Menschen in den abtrünnigen Gebieten freiwillig wieder zurückkommen wollen. Die Opposition und vor allen Dingen die westlichen Partner übten hingegen großen Druck auf die Regierung aus, sich an der Konfrontation mit Russland in Form von Sanktionen und militärischer Unterstützung zu beteiligen.
Derzeit „radikalisiere“ sich die EU in der „Geopolitisierung ihrer Außenpolitik“ und schneide sich damit wahrscheinlich sogar „ins eigene Fleisch“, erläuterte Hunko weiter. Die EU selbst hätte die Wahl zu einer Entscheidung zwischen Russland und Europa „hochstilisiert“. Das sei von den Menschen in Georgien jedoch gar nicht so wahrgenommen worden. Die Frage sei nun, wie man in der EU mit dem Wahlergebnis umgeht. Der BSW-Abgeordnete sieht Parallelen zu der Situation in der Ukraine 2012 und 2013. Die Opposition strebe einen Machtwechsel an, „eine Art Maidan in Georgien“.