Militärischer Handlungsbedarf

Frühe Ambitionen unserer Bundeswehr

Zufällig finde ich in meinem Tagebuch folgenden Eintrag aus dem Jahr 1992: Der Generalinspekteur der Bundeswehr hat sich zu den neuen Aufgaben der Bundeswehr geäußert...

General Klaus Naumann (re.) war von 1991 bis 1996 Generalinspekteur der Bundeswehr. Hier im Jahr 1992 mit Generalleutnant Robert Johnston, Befehlshaber der Joint Task Force (JTF) Somalia.
Foto und Lizenz: United States Armed Forces , Mehr Infos

Er geht davon aus, dass sich „militärischer Handlungsbedarf“ außerhalb des NATO-Bereichs ergeben kann und „die Rolle der deutschen Streitkräfte nicht länger als Antwort auf eine konkrete Bedrohung zu sehen sein (wird)“. In seiner „Risikoanalyse“ macht er drei geographische „Risikobereiche“ aus, in denen eine Intervention erforderlich werden kann: die ehemalige Sowjetunion, darüber hinaus der Bereich des früheren Warschauer Pakts und „die Zone vom Maghreb bis Indik“, dem indischen Subkontinent. Defizite sieht er vor allem bei der Akzeptanz in der Bevölkerung. „Wo es noch Defizite gibt, das ist der Konsens in Politik und Volk zum Einsatz der Bundeswehr, und das ist wichtiger als alle Materialplanungen.“ (FR v. 09.12.92, S.18).

Zur Erinnerung: Die Sowjetunion hatte sich ebenso aufgelöst wie der Warschauer Pakt, die Ukraine und Belarus hatten sich für unabhängig erklärt, ebenso die baltischen Staaten, die transkaukasischen und die mittelasiatischen Staaten. In Russland war die Planwirtschaft von einer anarchischen Marktwirtschaft abgelöst. Das Land war wirtschaftlich am Boden und stellte auf lange Sicht keine militärische Bedrohung dar. Bezeichnenderweise muss der Generalinspekteur eingestehen, dass keine „konkrete Bedrohung“ auszumachen ist, was die Frage aufdrängt: welche Bedrohung denn nun?

Heute fällt im Angesicht des Ukrainekriegs neues Licht auf das damalige Statement des Wehrchefs, das im Einklang war mit einigen mehr oder weniger unverhüllten Drohungen von US-Politstrategen und Think Tanks gegenüber allen, die die neue Vorherrschaft der USA in Frage stellen würden. Die Geschichte seit 1992 hat gezeigt, dass der Generalinspekteur ein weitsichtiger Militär war, der wusste, was er sagt. Die Defizite bei der Akzeptanz in der Bevölkerung hat man überwunden, nachdem sich Putin zum Angriff auf die Ukraine provozieren ließ. Erfolgreich suggeriert man den Leuten, Putin werde irgendwann ganz Europa überfallen. Wer hätte damals eine solche Kriegsbereitschaft in manchen Kreisen für möglich gehalten?

 

 

 

Drucken

Drucken

Teilen