Digitale Abhängigkeit

Fachleute warnen vor digitaler US-Abhängigkeit Deutschlands

Informatik-Professor: Bundesverwaltung extrem abhängig von Microsoft / US-Regierung hat gesetzlichen Zugriff auf Cloud-Daten ausländischer Nutzer / Bitkom-Chef: Deutschland droht „digitale Kolonie“ zu werden

(Diese Meldung ist eine Übernahme von multipolar.)

Informatik-Experten warnen davor, dass Deutschland zu einer „digitalen Kolonie“ der USA wird. So sei etwa die Abhängigkeit der deutschen Bundesverwaltung von Computerprogrammen des Technologiekonzerns Microsoft „extrem“, kritisiert Professor Harald Wehnes in einem Interview mit dem Wirtschaftsjournalisten Norbert Häring. (21. Oktober) Zudem sei die Gefahr groß, dass vertrauliche Daten, die von deutschen Unternehmen und Institutionen in Cloud-Diensten großer US-Konzerne gespeichert werden, von diesen analysiert und missbraucht würden. Der Experte von der „Gesellschaft für Informatik“ mit Sitz in Bonn erwähnt hierbei drei Konzerne aus der Branche der Informationstechnik (IT): Amazon, Microsoft und Google. Viele deutsche Verantwortliche hätten die Gefahr noch nicht erkannt und glaubten den Marketing-Narrativen dieser Konzerne von einer „Sorglos-IT“.

Der Bundesregierung sei das Problem zwar seit Jahren bewusst. So hatte das Innenministerium bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft „PricewaterhouseCoopers“ selbst eine „Strategische Marktanalyse zur Reduzierung von Abhängigkeiten von einzelnen Software-Anbietern“ in Auftrag gegeben. Im Abschlussbericht aus dem August 2019 heißt es, die Abhängigkeit von US-Anbietern kann die „digitale Souveränität“ Deutschlands gefährden. Doch die Bundesregierung habe noch immer keine Gegenmaßnahmen umgesetzt, wie sie etwa in der „Digitalstrategie 2021“ festgehalten seien. Im Gegenteil: Obwohl es zahlreiche Alternativen gibt, haben sich die Ausgaben der Bundesverwaltung für Microsoft-Produkte in den vergangenen sieben Jahren verfünffacht, erklärt Wehnes. „Bei den Landes- und Kommunalverwaltungen ist die Microsoft-Abhängigkeit leider ähnlich hoch wie beim Bund.“

Außerdem kooperiere die Bundesregierung bei Projekten wie dem „GovTech Campus Deutschland“ (GTC) mit dem Weltwirtschaftsforum, bei dem die IT-Giganten aus den USA eine wichtige Rolle spielen. Der GTC soll laut Eigendarstellung „Deutschland zum Vorreiter bei der Entwicklung und Anwendung digitaler Technologien und Lösungen für den öffentlichen Sektor“ machen. Es sei deshalb ein „Unding“, wenn die „Verursacher der digitalen Abhängigkeit“ an solchen Projekten beteiligt werden, kritisiert Wehnes und nennt ein Gegenbeispiel. Es hätte nie eine „Erfolgsstory“ des europäischen Luftfahrt-Konzerns Airbus gegeben, wenn der US-Konkurrent Boeing an dem Projekt beteiligt worden wäre. „Unsere Bürger, unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft benötigen verstärkte digitale Souveränität“, betont der Informatik-Professor von der Universität Würzburg. Dem widersprächen jedoch die Geschäftsinteressen von „Big Techs“, die auf den Ausbau ihrer „Imperien“ ausgerichtet seien.

Neben den großen IT-Konzernen aus den Vereinigten Staaten habe auch die US-Regierung ein Interesse am Zugriff auf sensible Daten aus Deutschland. So ermögliche das Überwachungsgesetz „CLOUD-Act“ den US-Behörden den Zugriff auf alle Daten, die in US-Rechenzentren außerhalb der Vereinigten Staaten gespeichert werden, heißt es im Interview weiter. Die Eigentümer der Daten müssten über solche behördlichen Zugriffe nicht informiert werden. Wer seine Daten bei US-Konzernen speichert, verliert die Kontrolle darüber und geht ein hohes wirtschaftliches Risiko ein, warnt Wehnes. Eine Dokumentation des öffentlich-rechtlichen Senders „Funk“ hatte vor vier Jahren gezeigt, dass der US-Konzern Amazon systematisch und „skrupellos“ bei ihm von anderen Unternehmen gespeicherte vertrauliche Daten zu Produkten auswertet, um eigene Kopien dieser Produkte zu entwickeln und auf den Markt zu bringen.

Bereits im November 2023 warnte Ralf Wintergerst, Chef des deutschen IT-Interessenverbandes „Bitkom“, davor, dass die Bundesrepublik zur „digitalen Kolonie“ werde. Ohne eigene Software-Produkte werde die deutsche Wirtschaft nicht lange wettbewerbsfähig bleiben. Laut einer aktuellen Studie des Leibniz-Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung geben rund 80 Prozent der befragten 1200 deutschen Firmen aus Informationswirtschaft und verarbeitendem Gewerbe an, bei zentralen digitalen Technologien abhängig von nicht-europäischen Anbietern und Partnern zu sein. „Besonders stark sei das im Bereich der Software und Anwendungen ausgeprägt, dominant seien vor allem Anbieter aus den USA“, berichtet das Magazin „Heise Online“.

Dass auch die deutsche Regierung durch die Nutzung von US-Software-Produkten gefährdet ist, hatten erst im Juni Recherchen der Wochenzeitung „Die Zeit“ und des Vereins „Netzbegrünung“ gezeigt. Die Videotelefonie-Software „Webex“ des US-Anbieters „Cisco“ weist den Berichten zufolge eklatante Sicherheitslücken auf, so dass Tausende Webex-Videokonferenzen deutscher Behörden offen im Netz standen. Selbst Termine von Bundesministern waren öffentlich einsehbar. „Zeit“-Journalisten konnten sich problemlos in Meetings einwählen. Das IT-Magazin „Golem“ fragte nach dem „Taurus-Leak“ im März 2024, warum die Bundeswehr dieselbe Konferenz-Software nutzt, obwohl die Firma nachweislich in Spionageskandale verstrickt ist. Der Whistleblower Edward Snowden hatte bereits 2014 darauf hingewiesen, dass der US-Geheimdienst NSA, der auch das Handy der damaligen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) abgehört hatte, „Hintertüren“ in Cisco-Produkte eingebaut hat.

 

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