Neue Energien

Europäische Union will Wasserstoff-Pipelines nach Nordafrika bauen

Absichtserklärung für „Wasserstoffkorridor“ ab 2030 zwischen Algerien und Tunesien sowie EU-Staaten unterzeichnet / Importe sollen 40 Prozent der Energielieferungen aus Russland ersetzen / Kritiker sehen neue Form des Kolonialismus

(Diese Meldung ist eine Übernahme von multipolar.)

Bei einem Treffen auf Ministerebene am 21. Januar in Rom haben Politiker aus Deutschland, Italien und Österreich sowie aus Algerien und Tunesien eine „Absichtserklärung (JDol) zur Entwicklung des südlichen Wasserstoffkorridors“ unterzeichnet. Er firmiert unter dem Begriff „SouthH2 Corridor“ und soll ab 2030 „voll funktionsfähig“ sein. Eingeladen waren zudem Industrievertreter mit Interesse an Aufträgen für den Bau der notwendigen Infrastruktur.

Von Seiten der Europäischen Union (EU) wird das Vorhaben als „Grundpfeiler der europäischen Energiesicherheits- und Dekarbonisierungsstrategie“ gewertet und wurde von der EU-Kommission als „Vorhaben von gemeinsamem Interesse (Projects of Common Interest, PCI)“ anerkannt, heißt es in der Presseerklärung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Ziel sei, das „immense Potenzial Nordafrikas für erneuerbare Energien“ zu nutzen, um die EU-Klimaziele zu erreichen. Mit Pipelines von bis zu 4000 Kilometern Länge zwischen Nordafrika und der EU soll eine „Verbindung der erneuerbaren Wasserstoffproduktion in Nordafrika mit den Nachfragezentren in der Europäischen Union“ hergestellt werden, ist in der Pressemeldung des BMWK zu lesen. Darüber hinaus könne laut Projekt-Webseite ein Wasserstoffmarkt in Süd-Ost-Europa entwickelt werden.

Der „SouthH2 Corridor“ soll mehr als 40 Prozent des EU-Importziels für den Ersatz von fossilen Brennstoffen aus Russland abdecken. Bezogen auf Deutschland könnte das Projekt den „Wasserstoffhochlauf“ nach vorn bringen, da Deutschland 50 bis 70 Prozent des gewünschten Wasserstoffs importieren müsse. Auf EU-Boden sollen bestehende Erdgaspipelines umgerüstet werden. Der größte Teil verläuft über italienisches Territorium. Eine Kooperation mit dem Fernnetzbetreiber Bayernets soll die Weiterleitung des Wasserstoffs nach Bayern sicherstellen. Die geplante Route verläuft unter anderem durch die österreichischen Städte Wien und Linz sowie durch Burghausen und Ingolstadt. Entlang des Korridors sind Wasserstoff-Infrastrukturprojekte „von Sizilien bis Bayern“ vorgesehen. Entsprechend war dem Ministertreffen ein „Business Forum“ der an der Wasserstoff-Lieferkette interessierten Unternehmen angeschlossen. Abnehmer des Wasserstoffs sollen vorzugsweise Industrieunternehmen sein, deren Herstellungsprozesse nicht einfach elektrifiziert werden können.

Als Vorteile für die nordafrikanischen Länder werden die Diversifizierung der Wirtschaft, staatliche Exporteinnahmen sowie Arbeitsplätze durch lokale Wertschöpfung genannt. Tunesien hat im vergangenen Jahr eine Reihe von „Memorandums of Understanding“ (MoU) unterzeichnet mit Energieunternehmen beispielsweise aus Frankreich, Großbritannien, Österreich, Deutschland und Saudi-Arabien, um sich zu einem bedeutenden Produzenten und Exporteur von grünem Wasserstoff zu entwickeln. Bis 2050 will das Land eine Kapazität von acht Millionen Tonnen Wasserstoff erreichen, wovon mehr als drei Viertel für den Export in die EU vorgesehen sein sollen.

Die „Working Group for Energy Democracy in Tunisia“ kritisiert zusammen mit anderen sozialen Organisationen den forcierten Ausbau der Wasserstoffproduktion für den Export als neue Form von „Plünderung und Ausbeutung“. Afrika sei „nicht Europas Batterie“. Statt das eigene Potential an erneuerbaren Energien gegen die heimische Energiekrise zu nutzen, setze Tunesien auf den Export. Dafür wird das Lobbying der staatlich finanzierten Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) bei der Ausarbeitung der tunesischen Wasserstoffstrategie verantwortlich gemacht.

Tunesien müsse hochwertige Industrieprodukte wie Elektrolyseure importieren. Tunesien solle außerdem die notwendigen natürlichen Ressourcen wie Wasser, Land und Sonnenenergie zu geringen Preisen zur Verfügung stellen und habe zudem die ökologischen und sozialen Kosten zu tragen. Für die geplante Menge an Wasserstoff müsse Meerwasser energieaufwändig entsalzt werden, das dem Bedarf der Hälfte der tunesischen Bevölkerung entspreche. Außerdem werden wegen des Landbedarfs für Wind- und Solarparks negative Auswirkungen wie Vertreibungen von Bewohnern sowie die Aneignung großer Flächen durch Konzerne (Landgrabbing) befürchtet.

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