Chatkontrolle

EU-Ratspräsidentschaft will verschlüsselte Messenger als gefährlich einstufen

EU-Staaten uneins über Einführung anlassloser Überwachung digitaler Kommunikation / Deutsche Innenministerin schließt Verbot von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung nicht aus

Messenger könnten künftig stärker überwacht werden.
Pixabay/ LoboStudioHamburg, Mehr Infos

(Diese Meldung ist eine Übernahme von multipolar)

Die derzeitige belgische Ratspräsidentschaft der Europäischen Union (EU) will Messengern, die über eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung verfügen, sowie anonymen Online-Services ein hohes Risiko zuschreiben. Das geht aus einem Bericht (17. April) des IT-Nachrichtenmagazins „Heise Online“ auf Basis einer geleakten beschlussfähigen Verordnungsvorlage hervor. Mithilfe dieser Einstufung könnten laut Heise Online „Aufdeckungsanordnungen“ verhängt werden, die Messengerdienste wie „WhatsApp“, „Signal“ oder „Threema“ verpflichten, Strafverfolgern die Kommunikationsdaten der Nutzer bis zu 24 Monate lang zugänglich zu machen. Dies käme faktisch einem Verbot der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung gleich, da bei dieser Technologie selbst die Serviceanbieter die Kommunikationsdaten der Nutzer nicht einsehen können.

Hintergrund ist das Tauziehen zwischen befürwortenden und ablehnenden EU-Staaten um die Einführung einer anlassbezogenen Überwachung digitaler Kommunikation, auch „Chatkontrolle“ genannt. Der Begriff Chatkontrolle bezieht sich auf verschiedene Aspekte der digitalen Kommunikation. Darunter fallen neben dem generellen Verbot von Ende-zu-Ende-verschlüsselter Kommunikation hauptsächlich die anlasslose Überwachung nicht-verschlüsselter Nachrichten beispielsweise über die Dienste „Skype“ oder „Instagram“. Ebenso dazu zählt das sogenannte „Client-Side-Scanning“, also die anlasslose Überwachung von Endgeräten wie Mobiltelefone und Computer sowie die Altersverifikationspflicht für Kommunikationsdienste. Letztere läuft auf ein App-Verbot für Minderjährige unter 16 Jahre hinaus.

Die belgische Ratspräsidentschaft sowie die übrigen befürwortenden EU-Staaten begründen ihre Pläne mit dem Schutz vor Kindesmissbrauch. Hierzu sollen wesentliche Grund- und Menschenrechte wie das Brief- und Fernmeldegeheimnis beschnitten werden. Diese werden aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrags, dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, von fast allen Staaten der Welt respektiert. In der EU sind sie im Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention und in Deutschland im Artikel 10 des Grundgesetzes verankert. Beschränkt werden können diese Rechte in Deutschland auf Basis des Artikel 10-Gesetzes nur bei Verdacht auf schwere Straftaten, darunter auch Volksverhetzung.

Ende 2023 ist die Einführung einer verpflichtenden Chatkontrolle in der EU nach deren Einordnung durch den Juristischen Dienst des EU-Ministerrats als „grundrechtswidrig“ sowie nach der Aufdeckung eines Lobbyskandals vorerst gescheitert. Die EU-Staaten konnten keine gemeinsame Position zum entsprechenden Gesetzentwurf der EU-Kommission finden.

Wie die Website „Netzpolitik.org“ auf Basis eines internen Verhandlungsprotokolls berichtet (24. April), gelingt es den EU-Staaten auch aktuell nicht, sich auf eine gemeinsame Position zur Chatkontrolle zu einigen. Die deutsche Bundesregierung gehört laut Koalitionsvertrag zu den Gegnern der Einführung. Allerdings hat sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) in einer Stellungnahme trotzdem für Teile der Chatkontrolle ausgesprochen und schloss auch das Verbot von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung nicht generell aus.

Ausgesprochener Gegner einer anlasslosen Überwachung digitaler Kommunikation ist der deutsche EU-Abgeordnete Patrick Breyer von der Piratenpartei. Er weist unter anderem darauf hin, dass eine freiwillige anlasslose Überwachung unverschlüsselter Kommunikationsdienste bereits in der EU erlaubt ist. Kommunikationsdienste wie GMail, Facebook/Instagram Messenger, Skype, Snapchat, iCloud E-Mail oder X-Box würden davon Gebrauch machen. Whistleblower, Menschenrechtsverteidiger und marginalisierte Gruppen seien jedoch auf anonymisierte Kommunikation angewiesen, erklärt Breyer.

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