Erneuerbare Energien, finanzielle Unterstützung und „Augenhöhe“ – was Baerbock in Kasachstan anbot und was dahinter stehen könnte
Zum ersten Mal hat die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock Kasachstan besucht. Sie wolle eine Kooperation auf Augenhöhe anbieten, Kasachstan bei der Entwicklung grüner Energie helfen und dem Land eine Zukunft bieten, wo es „nicht nur die Wahl zwischen der engen Zwangsjacke im Vorhof von Russland und der Abhängigkeit von China“ haben solle. Große Worte, aber was steckt dahinter?
War es die Angst, nichts mehr vom Kuchen abzubekommen, oder einfach nur pure Verzweiflung angesichts des nahenden Winters und der selbstverschuldeten Energiekrise in der EU? Kurz vor den vorgezogenen Neuwahlen des Präsidenten und offenbar in der Hoffnung, das Land werde sich danach mehr nach Westen ausrichten, pilgern derzeit ranghohe europäische Politiker nach Kasachstan. Kaum ist EU-Ratspräsident Charles Michel abgereist, kam am Sonntag die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock in Begleitung einer Wirtschaftsdelegation nach Astana. Im Gepäck hatte die Grünen-Politikerin viel Lob für die Haltung der kasachischen Führung im Ukraine-Konflikt. Zuletzt hatte Präsident Toqajew Russlands Präsident Putin wissen lassen, Kasachstan werde Donezk und Lugansk nicht als unabhängige Staaten anerkennen. Zudem hatte sich die zentralasiatische Republik bei der UN-Abstimmung über die Verurteilung des russischen Angriffs der Stimme enthalten. So viel Haltung verdiene „großen Respekt“, so Baerbock. Kasachstan habe immer wieder deutlich gemacht, dass es zu der internationalen Ordnung stehe. 1
Natürlich musste die deutsche Außenministerin, wie es sich ziemt, auch mahnende Worte an den Gastgeber richten. Der Umgang mit den Massenunruhen vom Januar müsse aufgeklärt werden, so Baerbock. Zudem sei es für die Zusammenarbeit beider Länder auch im wirtschaftlichen Interesse, wenn „unsere Werte wie Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und faire Regeln“ eingehalten würden. 2 Dass es mit der Rechtsstaatlichkeit in Kasachstan nicht weit her ist und auch die von Toqajew angekündigten Reformen das Land nicht zu einer Vorzeigedemokratie machen werden, dürfte auch Baerbock klar sein. So erhielt Kasachstan im aktuellen Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International eine durchschnittliche bis schlechte Bewertung, was die Einhaltung von Grund- und Menschenrechten anging, unter anderem wegen Einschränkung der Versammlungs- und Meinungsfreiheit, Repressionen gegen Regimekritiker, Diskriminierung von Menschen mit Behinderung und Minderheiten. 3
Das alles scheint, wie so oft, Deutschland und andere westliche Länder nicht daran zu hindern, mit einem solchen Land Geschäfte zu machen, vor allem vor dem Hintergrund der aktuellen Energiekrise. Wir erinnern uns: Vor kurzem erst gaben sich westliche Spitzenpolitiker in den Golfstaaten die Klinke in die Hand, um dort – trotz der oft angeprangerten Missstände in Sachen Menschenrechte – um Erdöl oder eine Senkung der Preise zu bitten. Ohne messbaren Erfolg. Nun also bietet Deutschland Kasachstan, das sein mit Abstand wichtigster Handelspartner in Zentralasien ist, eine Intensivierung der Wirtschaftskooperation an, und zwar „fair, auf Augenhöhe, ohne Knebelkredite und ohne versteckte Agenda“, wie Baerbock ihrem kasachischen Amtskollegen Muchtar Tleuberdi versicherte. Hierbei wolle man nachhaltige Projekte auf den Weg bringen und mit deutscher Technologie und deutschem Know-how Kasachstans enormes Potential zur Produktion erneuerbarer Energien nutzbar machen. Ein deutsches Unternehmen habe sich bereits den Auftrag für die Entwicklung eines Windparks in der Größe Brandenburgs gesichert. Für die gemeinsame nachhaltige Zukunft stehe zudem ein Wasserstoffprojekt am Kaspischen Meer, wo ab 2030 durch Windenergie drei Millionen Tonnen grünen Wasserstoffs durch Elektrolyse mit Wasser aus dem Kaspischen Meer produziert werden könnten, so Baerbock. In Astana wolle Deutschland ein Wasserstoffdiplomatie-Büro einrichten, das dem Austausch zwischen Fachleuten beider Länder dienen solle.
Zusammen mit der EU wolle Deutschland auch Projekte für Infrastruktur in den Bereichen Digitales, Energie und Transport fördern. Finanziert solle das durch die EU-Initiative „Global Gateway“ werden, die bis zu 300 Milliarden Euro für Infrastrukturprojekte in Schwellen- und Entwicklungsländern bereitstellt und in Zentralasien dem chinesischen Prestigeprojekt „One belt, one road“-Initiative Konkurrenz machen will. 4 Ob Kasachstan sich für die Erneuerbaren Energie aber so sehr begeistern kann, ist fraglich. Die kasachische Führung sagt zwar seit Jahren, Kasachstan wolle ein Vorreiter bei der Entwicklung erneuerbarer Energien werden, passiert ist aber nicht viel. Und das ist bei einem so rohstoffreichen Land wie Kasachstan auch nicht verwunderlich. Es verfügt über enorme Vorkommen an Erdöl, Gas, Kupfer und Schwermetallen, bei Uran ist es sogar der weltweit größte Förderer. Diese Bodenschätze lassen sich für gutes Geld verkaufen, an Abnehmern, deren größter seit 2006 China ist, mangelt es nicht. 5
Obwohl die EU als Ganzes Kasachstans größter Handelspartner ist, sind die direkten Nachbarn Russland und China für Kasachstan mit Abstand die beiden Länder, mit denen es sowohl beim Import (Russland) als auch beim Export (China) die meisten Geschäfte macht. Deutschland ist davon weit entfernt und mischt bisher auch nicht in der Top 10 der Länder mit, die am meisten in Kasachstan investieren. Obwohl es seit 30 Jahren diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und Kasachstan gibt und im Augenblick über 200 deutsche Unternehmen in Kasachstan aktiv sind, scheinen andere westliche Länder das Potential des Rohstoffgiganten viel früher erkannt zu haben. So führen die Niederlande die Top 10 der Länder mit den größten Direktinvestitionen in Kasachstan an, gefolgt von den USA und der Schweiz. Auf Rang sechs und sieben befinden sich Belgien und Großbritannien, auf Rang neun und zehn finden sich mit der Türkei und Frankreich zwei weitere europäische Länder.
In eben jene Riege der größten Handelspartner will Baerbock mit ihrem Angebot an Kasachstan Deutschland wohl hineinmanövrieren, braucht Deutschland doch nach der Absage an russisches Öl und Gas dringend neue Bezugsquellen. Der Import von kasachischem Erdöl prägte im Sommer 2022 für kurze Zeit die öffentliche Diskussion in Deutschland, jedoch musste man sich von dieser Idee schnell wieder verabschieden, weil momentan alle Transportwege durch Russland führen. Doch Leitungen können gebaut werden, wenn es sich für Exporteur und Importeur lohnt, und so könnte Baerbock unter dem Deckmäntelchen der Förderung erneuerbarer Energien den Boden für eine entsprechende Zusammenarbeit in der Zukunft bereiten wollen. Auch geostrategisch ist es im Sinne des Westens, auch Deutschlands, Kasachstan aus der engen Zusammenarbeit mit Russland und China herauszulösen. Oder, wie Annalena Baerbock es ausdrückte, ihm eine Zukunft zu bieten, wo es „nicht nur die Wahl zwischen der engen Zwangsjacke im Vorhof von Russland und der Abhängigkeit von China“ haben solle. 6
Quellen:
1https://www.dw.com/de/baerbock-bietet-kasachstan-engere-%C3%B6konomische-kooperation-an/a-63608283
2https://www.tagesschau.de/ausland/baerbock-kasachstan-usbekistan-103.html
3https://taz.de/Aussenministerin-Baerbock-in-Kasachstan/!5891643/
4https://www.dw.com/de/baerbock-bietet-kasachstan-engere-%C3%B6konomische-kooperation-an/a-63608283
5https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/baerbock-in-kasachstan-kein-gruener-partner-18427560.html
6https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/annalena-baerbock-buhlt-bei-besuch-in-kasachstan-um-zentralasien-18426004-p2.html