Erdogan: Kehrtwende im Kurdenkonflikt?

(01.10.2012/dpa)

Zehn Jahre nach der Umwandlung seiner Todesstrafe in lebenslange Haft könnte der inhaftierte Kurdenführer Abdullah Öcalan („Apo“) doch noch eine wichtige Rolle bei Verhandlungen übernehmen. Nachdem Ankara in den vergangenen Monaten vor allem auf militärische Härte im Kampf gegen Öcalans verbotene Kurdische Arbeiterpartei PKK gesetzt hat, signalisiert Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan seit einigen Tagen wieder Verhandlungsbereitschaft des Staates, die sich auch auf den auf einer Insel im Marmarameer einsitzenden Öcalan erstreckt.

Nach seiner Festnahme 1999 galt jeder Dialog mit Öcalan zunächst als Hochverrat. Als Chef der PKK sei er für den Separatismus der Kurden und Tausende von Morden an „unschuldigen Babys, Kindern, Frauen und alten Leuten“ verantwortlich, so seine Richter. Dasselbe Staatssicherheitsgericht, das ihn zum Tode verurteilt hatte, wandelte das Urteil am 3. Oktober 2002 in lebenslange Haft um – allerdings ohne Aussicht auf Entlassung durch Begnadigung.

Vor zwei Jahren gab es bereits politische Gespräche des Staates mit Öcalan. Zudem gab es Treffen türkischer Geheimdienstvertreter mit PKK-Leuten, die in der norwegischen Hauptstadt Oslo organisiert worden sein sollen. Als vor einem Jahr ein langer Gesprächsmitschnitt eines solchen Treffens im Internet veröffentlicht wurde, führte das in der Türkei zu einem Aufschrei der Opposition.

Auf dem Parteitag seiner islamisch-konservativen Regierungspartei AKP hat Erdogan am Sonntag mit großer Geste angekündigt, einen neuen Anlauf zur Lösung des Streits um die Rechte der Kurdischen Volksgruppe zu unternehmen. Trotz aller Provokationen wolle seine Regierung ein Kapitel des Friedens und der Brüderlichkeit aufschlagen, so der türkische Ministerpräsident.

Der als Staatsfeind Nr. 1 behandelte Öcalan wurde im September von seinem jüngeren Bruder Mehmet auf der Gefängnisinsel im Marmarameer besucht. Die PKK-Führer habe im Gespräch die jüngste Angriffswelle seiner Organisation scharf kritisiert, weil sie die Brücken zwischen den Volksgruppen in der Türkei zerstöre, sagte sein Bruder danach. Öcalan habe auch erklärt, nur er könne die PKK dazu bringen, die Waffen niederzulegen. Der türkische Staat müsse den Frieden schon mit den Kräften schließen, mit denen er sich den Kampf liefere.

In der Türkei kam es in den vergangenen Wochen zu wachsender Kritik  aus den Reihen der Opposition anlässlich der aggressiven Destabilisierungspolitik der türkischen Regierung gegenüber dem Nachbarland Syrien. Insbesondere die militärische Unterstützung der Freien Syrischen Armee und der mit ihr verbündeten islamistischen Kräfte stößt auf zunehmenden Protest der Bevölkerung. Als Reaktion auf die türkische Aggression überließ die syrische Armee weitgehend kampflos die mehrheitlich von Kurden bewohnten Gebiete Syriens an der Grenze zur Türkei, was scharfe Reaktionen Ankaras hervor rief. Erdogan drohte daraufhin mit Militäraktionen in Syrien, um gegen Stellungen der PKK vorzugehen. Wiederholt hat das türkische Militär in den letzten Jahren Aktionen gegen die PKK auf irakischem Gebiet durchgeführt. Erst in der vergangenen Woche bombardierten türkische Kampfjets trotz Warnungen aus Bagdad verschiedene Orte in der Autonomen Republik Kurdistan im Nordirak.

Mit seiner Drohung, ein autonomes Kurdengebiet in Syrien militärisch zu verhindern und den gleichzeitig stattfindenden großangelegten Militäraktionen im Südosten der Türkei, ließ  Erdogan den Kurdenkonflikt eskalieren. Seitdem sterben beinahe täglich türkische Sicherheitskräfte in Gefechten mit PKK-Kämpfern oder bei Anschlägen.

Viele Türken halten die Politik ihres Ministerpräsidenten für verantwortungslos und fürchten, die von ihm betriebene Destabilisierung Syriens könne auf die Türkei selbst zurückfallen. Ob Erdogans nun ausgesprochene Offerte wirklich eine Kehrtwende in der Kurdenfrage darstellt, ist zweifelhaft. Zum einen dürfte es sich dabei um den Versuch handeln, der wachsenden Kritik seitens der Opposition, die ihm vorwirft, das Schicksal der Türkei leichtsinnig aufs Spiel zu setzen, den Wind aus den Segeln zu nehmen. Zum anderen hat der türkische Staat in der Vergangenheit nie ernsthaft versucht, ein „Kapitel des Friedens und der Brüderlichkeit“ einzuleiten und sämtliche Friedensangebote der PKK letztlich in den Wind geschlagen.

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