Eine Schneise durch das Dickicht der Propaganda
Die „Kriegsfolgen“ des Ukrainekrieges sind noch nicht absehbar. Allerdings haben die Autoren des aktuellen Buches unter dem Titel viele wichtige Aspekte dazu zusammengetragen. Am Mittwoch (14.6.) stellen der Herausgeber und zwei Autoren das Buch gemeinsam mit Ronald Thoden von der Hintergrund-Redaktion in Berlin vor. Aus diesem Anlass haben wir für Sie in das Buch geschaut.
Bücher sind in bewegten Zeiten ein Ruhepol. Sind sie gedruckt oder mindestens als PDF zum Download erworben, lassen sie sich nicht mehr zensieren. Sie sind da und bleiben. Ein digitales Rechtemanagement oder weitere potenzielle Zensurformen greifen nicht. Aber natürlich haben Bücher gerade zu aktuellen Themen auch ein Problem: Am Tag nach dem Redaktionsschluss sind sie bereits veraltet.
Der Wiener Promedia Verlag bringt in den vergangenen Jahren dennoch regelmäßig lesenswerte aktuelle Bücher auf den Markt. Vielleicht auch gerade aus dem eben genannten Grund, denn Zensur im digitalen Raum ist ein Thema von Verleger Hannes Hofbauer. Gemeinsam mit seinem Kollegen Stefan Kraft hat er jüngst wieder eine beachtliche Anzahl an Autoren zusammengebracht, die im Buch „Kriegsfolgen“ über die verschiedenen Aspekte des Ukraine-Kriegs aufklären. Am Mittwoch, 14. Juni, stellt Hannes Hofbauer das Buch in einer Diskussion mit den beiden Autoren Sabine Kebir und Florian Warweg sowie Ronald Thoden von der Hintergrund-Redaktion vor. Los geht es im Sprechsaal in Berlin-Mitte (Marienstraße 26) um 19.30 Uhr.
Nachdenkseiten-Redakteur Warweg hat über „Nord Stream als Kriegsgrund“ geschrieben und dabei die Bedeutung der Sprengung für die US-Wirtschaft hervorgehoben:
Erst die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines hat letzten Endes den Weg freigemacht, um die EU und insbesondere Deutschland langfristig zu Abnehmern der US-amerikanischen Erdgas-Überschüsse zu machen und den Preis auch langfristig auf einem für US-Frackinggas-Produzenten profitablen Niveau zu halten. Die damit verbundene neue Erdgas-Abhängigkeit ihres EU-„Partners“ passt den US-Amerikanern fraglos ebenfalls ins globalstrategische Dominanz-Konzept.
Der Beitrag Warwegs ist auch auf der Website der Nachdenkseiten nachzulesen. Die Publizistin Sabine Kebir befasst sich in ihrem Text mit dem allgegenwärtigen Narrativ von den Guten und Bösen. Sie sieht die Welt in Jahr 24 der neuen Weltkriegsordnung. Nun sei die Gelegenheit günstig, „sie dem Ausnahmeverbrecher Putin in die Schuhe zu schrieben“. Kebir weist auf die Propaganda der East StratCom Task Force hin, die Medien europaweit auf Kurs gegen Russland bringen. Propaganda sei nötig,
denn die Menschen, die nie einen Vorteil vom Krieg haben, müssen in diesen hinein manipuliert werden, indem sie von dessen Legitimität und Notwendigkeit überzeugt werden. Das geschieht in Russland und der Ukraine ganz offen, in Deutschland und Europa subtil.
Über die Abstufung könnte man sicher streiten. Subtil ist hier heute wenig, insbesondere wenn, so Kebir, „auffallend junge Frauen als Analystinnen und Politikberaterinnen auftauchen, die in klaren Feindbildern denken und unbedingt für die Fortführung des Krieges plädieren“.
Der Herausgeber Hannes Hofbauer ist gleich mit zwei Beiträgen im Buch vertreten. Er schaut darin zum einen auf die Vorbereitung des Krieges – ohnehin ist die Vorgeschichte und die Geschichte selbst ein wichtiger und lesenswerter Teil des Buches – sowie zum anderen auf das Sanktionsregime gegen Russland. Wer sich mit dem Thema intensiv beschäftigt hat, der wird hier und anderswo nicht so viele neue Details finden. Das aber ist gar nicht schlimm, die Sammlung ist für sich genommen wertvoll. Und das gerade in den bewegten Zeiten der Gegenwart, in der vieles vorbeirauscht und durch die Permanenz von Kriegsberichterstattung und Propaganda einzelne wichtige Aspekte in Vergessenheit geraten. Denn es gilt das, was der Journalist und Schriftsteller Thomas Fazi in seinem Beitrag im Buch schreibt. „Bei einer permanenten Krise stecken wir in einer immerwährenden Gegenwart fest, in der alle Energien auf den Kampf gegen den ,Feind‘ des Augenblicks konzentriert sind“.
Und wir vergessen, übersehen, verdrängen. So wie der Autor dieses Textes – um nur ein Beispiel zu nennen – die 180-Grad-Wende der EU beim Thema extraterritoriale Anwendung von Sanktionen. Daran erinnert Hannes Hofbauer. Im Falle der USA hatte sich die EU über solcherart Sanktionen beschwert, die wie alle Sanktionen völkerrechtswidrig sind, wenn sie nicht von der UNO beschlossen werden. Mit den eigenen extraterritorialen Sanktionen habe die EU Anfang Oktober 2022 eine weitere rote Linie im Wirtschaftskrieg überschritten, schreibt er. „Nun können auch Unternehmen wegen der Umgehung von EU-Sanktionen bestraft werden, die nicht in der EU registriert sind.“
Das Buch enthält insgesamt 17 Beiträge, die sich dem Thema von verschiedenen Seiten nähern. Die Doppelstandards des Westens, dessen Unterstützung des Putsches von 2014 oder die NATO-Aufrüstung der Ukraine spielen dabei genauso eine Rolle wie die autoritären Regierungsformen in Kiew und Moskau. Werner Rügemer weist auf die Ukraine als extremes Muster neoliberaler Neuordnung hin. Seit dem Putsch seien fünf Millionen Arbeitsmigranten unterwegs, Leihmutterschaft von Ukrainerinnen spiele eine große Rolle und die Gewerkschaften werden zurückgedrängt. BlackRock ist mittlerweile Hauptberater der ukrainischen Regierung, schreibt Rügemer weiter. Im Land verdienen sie, weil ihnen große Fabriken gehören, und am Krieg verdienen sie, weil sie Großaktionär unter anderem bei Rheinmetall sind.
Der Band mit seinen jeweils übersichtlichen, meist gut lesbaren und in sich geschlossenen Texten – eine gewisse Redundanz ist bei diesem Thema nicht vermeidbar – ist empfehlenswert. Er schlägt eine Schneise durch das Dickicht der Kriegspropaganda und enthält zudem ermutigende Sätze wie den folgenden von Thomas Fazi. Sein Beitrag schlägt einen Bogen von Corona zum Krieg: „Angst und Repression sind kein Ersatz für einen tatsächlichen Konsens, und in dessen Lücke werden zwangsläufig neue Formen des Widerstands und neue politische Möglichkeiten entstehen.“
Hannes Hofbauer/Stefan Kraft (Hrsg.), Kriegsfolgen. Wie der Kampf um die Ukraine die Welt verändert, Promedia Verlag 2023, 255 Seiten, 23 Euro