Düngemittel-Krise: Preiserhöhung bei Lebensmitteln droht
Agrarfachmagazin: „Dramatische“ Preissteigerung bei Stickstoffdünger / Treiber sind hohe Gaspreise sowie geplante EU-Zölle auf russischen Dünger und chinesische Futtermittel / Deutsche Lebensmittelpreise seit 2020 um 34 Prozent gestiegen
(Diese Meldung ist eine Übernahme von multipolar.)
Stickstoffdünger hat sich am Weltmarkt „dramatisch“ verteuert. Das geht aus einem Bericht des Münchner Fachmagazins „agrarheute“ hervor. So würden beispielsweise für Kalkammonsalpeter an Importhäfen und Großhandelsplätzen nun 390 Euro je Tonne verlangt. Das seien 43 Euro mehr als noch Ende Dezember. Im Oktober hatten die Preise sogar noch bei unter 320 Euro je Tonne gelegen. Teilweise wöchentliche Preisanpassungen nach oben bei Stickstoffdüngemittel beobachtet auch die Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz und warnt vor Lieferengpässen. Als ein Hauptpreistreiber gelten die hohen Gaspreise. Stickstoffdünger wird aus Erdgas hergestellt. Weiter verschärft werden könnte die Situation durch von der EU-Kommission geplante, höhere Zölle für Düngemittelimporte aus Russland.
Die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen (BSW) warnt vor daraus resultierenden erheblichen Preiserhöhungen bei Lebensmitteln: „Mit dem Beschluss der EU-Kommission, pünktlich zur Pflanzsaison ab März massive Zölle auf landwirtschaftliche Produkte und Düngemittel aus Russland zu verhängen, droht in Deutschland und Europa eine neue Preisexplosion bei Lebensmitteln“, schrieb sie bei „X“. Gleichzeitig werde die heimische Düngemittelindustrie durch hohe Energiepreise als Konsequenz der Wirtschaftssanktionen in die Pleite getrieben. Die Zeche zahle der Bürger. Laut einem im Januar veröffentlichten Bericht der Organisation „Foodwatch“ sind die Lebensmittelpreise seit 2020 bereits „enorm“ gestiegen. Im November 2024 lagen sie demnach 34 Prozent über dem Niveau von November 2020. „Foodwatch“ bezieht sich auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes.
Zuletzt stammte 20 Prozent des in Deutschland verbrauchten Stickstoffdüngers aus Russland. 2024 hatten die russischen Importe für einen Preisrückgang bei Dünger gesorgt – zum Vorteil für Bauern und Verbraucher, zum Nachteil für die Düngerindustrie. Die billigen russischen Dünger sind „eine Art Korrektiv gegenüber der teuren europäischen Ware“, betonte ein deutscher Landwirt kürzlich gegenüber der Berliner Zeitung. (4. Februar) Bauern könnten keine „schön billigen Lebensmittel“ produzieren, wenn sie ausschließlich teure einheimische Waren dazu nutzen sollen. Laut der „Österreichischen Bauernzeitung“ ist der europäische Bauernverband Copa-Cogeca strikt gegen die Zollpläne der EU-Kommission. Die Bauern würden bald „mit dem Rücken zur Wand“ stehen, wird die Organisation zitiert. Der Verband rechnet in der kommenden Saison mit einem Anstieg der Düngerpreise von bis zu 45 Euro je Tonne.
Die Preissteigerung bei den Düngemitteln geht mit einer Verknappung auf dem europäischen Markt einher. Dies liegt daran, dass viele EU-Düngerhersteller ihre Nitratproduktion aufgrund unwirtschaftlicher Rohstoffpreise einstellten oder reduzierten. Das Magazin „agrar-heute“ verweist darauf, dass der norwegische Düngergigant Yara bereits 2022 Werkschließungen angekündigt hatte. Die belgische Zeitung „Grenzecho“ berichtete im Oktober 2024 von einer Betriebsratsversammlung, bei der die Schließung der Ammoniak-Produktionseinheit in der belgischen Provinz Hennegau angekündigt wurde. Der „Spiegel“ hatte Yara-Chef Svein Tore Holsether bereits im Juli 2022 mit Blick auf die schon damals begonnene Verteuerung und Verknappung des Düngers mit den Worten zitiert: „Der Welt droht ein Hurrikan des Hungers”.
Auch die Stickstoffwerke SKW Piesteritz in Wittenberg, nach eigenen Angaben einer der größten Ammoniakproduzenten Deutschlands, drosseln laut einem MDR-Beitrag ihre Düngemittel-Produktion. „Wir werden durch die Politik dazu gedrängt“, wird SKW-Geschäftsführerin Antje Bittner zitiert. Dem „Handelsblatt“ gegenüber nannte sie erhebliche Belastungen durch das CO2-Zertifkatssystem und die Gasspeicherumlage. Bei letzterer handelt es sich um eine Sonderumlage, die 2022 vor dem Hintergrund der Gaspreiskrise eingeführt worden war. Sie soll erst am 31. März 2027 auslaufen. Durch die Umlage sollen bestimmte, von der Bundesregierung festgelegte Füllstände der Gasspeicher erreicht werden, um die Gasversorgung sicherzustellen. Damit dieses Ziel erreicht werden kann, muss Erdgas auch zu höheren Preisen zugekauft werden. Dadurch seien bei SKW Piesteritz 40 Millionen Euro an Zusatzkosten angefallen.
Laut Statistischem Bundesamt wurde in der Saison 2023/2024 nur rund eine Million Tonnen Stickstoffdünger abgesetzt. 2014/15 waren es noch mehr als 1,8 Millionen Tonnen gewesen. Bereits in einer Meldung vom September 2022 wies die Behörde darauf hin, dass die hohen Gaspreise zu massiv gestiegenen Erzeugerpreisen für Düngemittel und zu einem deutlichen Einbruch des Düngemittelabsatzes geführt hatten. Mehr als 80 Prozent der Produktionskosten hängen bei der Düngerherstellung laut „agrarheute“ vom Gaspreis ab.
Zur Preisexplosion bei Düngern kommen als weitere Treiber der Lebensmittelkosten gestiegene Preise bei Futtermitteln. Hintergrund ist ein neuer, hoher Importzoll auf die Einfuhr der Aminosäure Lysin aus China seit Mitte Januar. „agrarheute“ beruft sich auf „Experten“, denen zufolge europäische Futtermühlen bei diesem Zusatzstoff nahezu alternativlos auf chinesische Lieferungen angewiesen sind. Landwirten zufolge soll sich Mineralfutter durch den neuen Importzoll zwischen 10 und 30 Euro je 100 Kilo verteuern. Sowohl der Deutsche Verband Tiernahrung als auch der Deutsche Raiffeisenverband kritisieren die Zollentscheidung der EU-Kommission scharf.