Buchreihe Wissen Kompakt

Die Grünen – Von der Protestpartei zum Kriegsakteur

Im Januar 2023 startet der Verlag Hintergrund GmbH eine neue Buchreihe: WISSEN KOMPAKT. Die Titel erscheinen in rascher Reihenfolge. Die beiden ersten sind bereits vorbestellbar und werden ab 9. Januar ausgeliefert. Lesen Sie hier Auszüge aus dem ersten Band, Autor Matthias Rude.

Cover – Die Grünen
Mehr Infos

NATO-Versteher

Dass sie die grüne Anti-NATO-Haltung einer Entsorgung zuführen müssen, wenn sie bei den Mächtigen mitspielen wollen, wurde interessierten Kreisen bei den Grünen schon recht früh nahegelegt. So trafen sich bereits im Juli 1989 SPD-Spitzenpolitiker auf Schloss Crottorf im Bergischen Land heimlich mit sorgfältig ausgesuchten Mitgliedern der Grünen, darunter Joschka Fischer, Otto Schily und Alfred Mechtersheimer, um die Möglichkeiten eines gemeinsamen Regierungsprogramms auszuloten. Schlossherr Hermann Graf Hatzfeldt, Neffe der Zeit-Mitherausgeberin Marion Gräfin Dönhoff, bat die Gäste zum Buffet und salbaderte „von der Verantwortung derer, die Geld haben, sich an gesellschaftlichen Prozessen zu beteiligen“. Es handle sich nicht um Koalitionsgespräche, erläuterte Horst Ehmke (SPD), die Presse solle nichts davon erfahren. Das tat sie dann aber doch. Und so konnte die Öffentlichkeit – und der Rest der grünen Parteimitglieder – schließlich nachlesen, dass Egon Bahr keinerlei Widerspruch von den anwesenden Grünen erntete, als er meinte, ohne ein Bekenntnis zur NATO gehe überhaupt nichts mit der SPD, und für „eine europäische Abschreckungsmacht einschließlich der französischen Nuklearwaffen“ plädierte. (…)

Menschenrechtskrieger

Das „außenpolitische Establishment“ der USA gab grünes Licht für Fischer – Grüne seien ja bereits wiederholt in „Bildungs- und Besuchsprogramme“ der US-Regierung einbezogen worden, Fischer stünden dort alle Türen offen. Anfang Oktober 1998 schrieb die New York Times, Fischer habe den Weg „von den revolutionären Kämpfen der Frankfurter Linken in den 1970er-Jahren bis zu den Korridoren der Macht in Washington“ gemeistert und lobte ihn dafür, dass er sich in den letzten Jahren hartnäckig gegen jenen Flügel der Partei gestellt habe, der sich noch immer ihren pazifistischen Wurzeln verpflichtet fühle. Seine anhaltende Verachtung für Krawatten werde „durch einen wachsenden Respekt für die NATO“ ausgeglichen, und seine Lebensgeschichte – sowie der „Durst“ der Grünen, zwei Jahrzehnte nach ihrer Gründung zum ersten Mal die Macht zu schmecken – lasse vermuten, dass er „für Kompromisse empfänglich sein wird“, was die Beteiligung Deutschlands an einem Einsatz im Kosovo angeht. In interessierten US-Kreisen machte man sich keinerlei Sorgen um seine Unterstützung, sondern stellte sich lediglich noch die Frage: „Can he deliver the Greens?“ (…)

Legal, illegal, scheißegal

Der erste Krieg, der nach 1945 wieder von deutschem Boden ausging, wurde durch eine rot-grüne Regierungskoalition ermöglicht, angezettelt von ehemaligen 68ern, die im Zuge ihres „Marsches durch die Institutionen“ ganz oben angekommen waren. Die Bundeswehr wurde dabei außerhalb des NATO-Gebiets zu Angriffszwecken eingesetzt. Dies stellt nicht nur eine klare Verletzung der Charta der Vereinten Nationen dar und verstößt darüber hinaus gegen den NATO-Vertrag, gegen das Grundgesetz der BRD und gegen den Zwei-plus-Vier-Vertrag vom September 1990, in dem es heißt, dass das vereinte Deutschland „keine seiner Waffen jemals einsetzen wird“, es sei denn in Übereinstimmung mit der UN-Charta. Nach dem rot-grünen Koalitionsvertrag sollten Bundeswehreinsätze an die Beachtung des Völkerrechts sowie des deutschen Verfassungsrechtes gebunden werden. Folglich hat die Regierung auch in diesem Punkt ihren eigenen Koalitionsvertrag gebrochen – dessen Kapitel zur Außenpolitik übrigens mit dem Satz eingeleitet wurde: „Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik“.

Zudem hat die NATO 1999 die „Büchse der Pandora“ geöffnet und einen Präzedenzfall geschaffen, auf den sich nun auch Russland bei seiner Ukrainepolitik berufen kann, sowohl, was die Anerkennung der separatistischen „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk angeht – schließlich hat der Westen die Abspaltung des Kosovo von Jugoslawien auch gegen den Willen der Regierung in Belgrad erzwungen –, als auch, was die Argumentation angeht, dass es einen Völkermord zu verhindern gelte. Sie hat Putin damit geradezu „Blaupausen für die Ukraine“ geliefert. Es entbehrt also nicht einer gewissen Ironie, dass sich ausgerechnet „Joschkas Erbin“,v die grüne Außenministerin Annalena Baerbock, im Februar 2022, als Russland Donezk und Luhansk anerkannte und Putin ankündigte, Truppen als angebliche „Friedensmission“ in die Ostukraine zu entsenden, sich über diesen „eklatanten Bruch des Völkerrechts“ beschwerte. (…)

Mehr erfahren und Bestellung:

Glühende Transatlantiker

Zwischen 2005 und 2021 waren Bündnis 90/Die Grünen nicht mehr an der Regierung im Bund beteiligt. Von der Oppositionsbank aus kritisierten sie deren Militärpolitik allerdings immer wieder lautstark als zu zurückhaltend. So begrüßte etwa Jürgen Trittin 2013 den französischen Kriegseinsatz in Mali und forderte ein „entschiedenes deutsches Engagement“. Was Libyen angehe, spiele sich die Merkel-Regierung bei den transatlantischen Partnern „vollkommen ins Abseits“, klagte Cem Özdemir 2011 im Rahmen eines Gastkommentars in Springers Welt. Als Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) 2014 einen Einsatz deutscher Bodentruppen in Syrien ausschloss, beeilte sich Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt zu betonen, dass ihre Partei einen Bundeswehreinsatz gegen den IS unterstützen würde – die Völkergemeinschaft dürfe sich „nicht wegducken“, und Deutschland müsse dabei „initiativ werden“.

Özdemir und Göring-Eckhardt gehören zu jenen, die sich in einem 1999 veröffentlichten Thesenpapier als „zweite Generation“ der Grünen bezeichneten, die „ja zu diesem System sagen“. Sie äußern darin, das grüne Programm gleiche einem Dachboden: „Alles, was einem früher gut gefallen hat, aber längst ausrangiert ist, landet dort.“ Nun sei es an der Zeit, „den Plunder zu entsorgen“. (…)

Die Grünen am Ziel

Die Grünen gründeten sich als parlamentarischer Arm der Friedens- und Umweltbewegung und übten – zum Teil auch radikale – Kritik an Kapitalismus, Ausbeutung, Krieg und Militarismus. Erste Wahlerfolge lockten Karrieristen an, die den Anspruch, eine „Antiparteien-Partei“ zu sein, die keine Koalitionen eingeht, zunehmend hintertrieben. Um „regierungsfähig“ zu werden, das machten Vertreter der SPD schon Ende der 80er-Jahre klar, musste die ablehnende Haltung gegenüber der NATO fallen. Der linke Parteiflügel geriet mehr und mehr unter Druck und brach nach der „Wende“ größtenteils weg. Die Realos um Joschka Fischer siegten – und mit ihnen die von neoliberalem Denken geprägte, reformerische Aushöhlung einstiger Grundsätze. Der Zusammenschluss mit dem ostdeutschen Bündnis 90 beschleunigte diesen Prozess: Es waren einstige DDR-Bürgerrechtler, die zuerst mittels der Instrumentalisierung von Menschenrechten für militärische Interventionen plädierten.

1998 war die Bedingung für eine rot-grüne Regierungskoalition auf Bundesebene die Teilnahme am NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien – und die Grünen stimmten zu. Schon zu diesem Zeitpunkt hatten sie so ziemlich alles, wofür sie einmal standen, verraten und verkauft. Dass sie es – mit Unterstützung der Medien – bis heute schaffen, vom Image der linksalternativen Friedenspartei zu profitieren, macht sie so gefährlich: Mit einer linksalternativen Aura lässt sich eine Politik, die sich an den Interessen des Kapitals und der Industrie orientiert, leichter durchsetzen. (…)

Heutzutage wird die Partei vom Chef des Rüstungskonzerns Hensoldt im Handelsblatt gelobt: „Wir hatten schon vor der Wahl Gespräche mit der Führungsriege der Grünen, auf deren Einladung übrigens. Ich muss sagen, dass dieser Austausch von Pragmatismus und Realismus geprägt war.“ Wie das Wirtschaftsministerium mit Habeck an der Spitze gegenüber der Rüstungsindustrie agiere – das könne man „nur begrüßen“.

 

Pressestimmen – Rezensionen

Roberto De Lapuente: Unser grüner Weltkrieg, 27.01.2023

Josef-Otto Freudenreich: Grüne und Krieg – Kehrtwende mit ADAC-Schutzbrief, 01.02.2023

Mesut Bayraktar: Gewaltfrei in den Panzer, 20.2.2023

Christian Stache: Grüner Bellizismus von seinen Anfängen bis heute, März 2023

La Décroissance (Interview mit dem Autor, französisch): Des Grünen va-t-en-guerre, März 2023 – Übersetzung (PDF)

Mirco Kolarczik: Gegen die eigenen Wurzeln, 10.03.2023

Yasmina Dahm und Pablo Flock: Rezension: Die Grünen. Von der Protestpartei zum Kriegsakteur, 13. März 2023

 

Drucken

Drucken

Teilen